Investieren statt lamentieren!?

Chancen und Risiken in einem Zukunftsmarkt


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Eigentlich bewegen sich die Apotheken in einem der zukunftsträchtigsten Märkte – Gesundheit und Life Sciences. Doch gilt der Apotheker auch als der „Beruf der verpassten Chancen“. Gelingt noch einmal ein zweiter Aufschlag, oder sind die Weichen auf Niedergang gestellt?

Um nicht abgehängt zu werden, braucht es eine gewisse Risikobereitschaft sowie den Willen, die Chancen neuer Märkte, die sich auftun, zu nutzen. (© AdobeStock/_C_freshidea)

Zurzeit läuft es alles andere als rund für die Offizin-Apotheken – wobei die oberen 25 % oder 30 % immer noch ganz achtbare Ergebnisse vorweisen können, erst recht, wenn Filialbetriebe gut zusammenwirken.

Dabei stehen die größten Umbrüche erst noch bevor. Abbildung 1 zeigt eine Auswahl zu erwartender Innovationen und Verfahren, die allesamt ein hohes disruptives Potenzial entfalten werden, aber eben auch neue Profilierungschancen bieten (Prävention und Frühdiagnostik, Pharmakogenomik, proaktive Nutzung von IT-Systemen u. a. m.).

Abb. 1: Mit welchen Entwicklungen sollten wir absehbar rechnen?

Grundsätzlich ist es aber so, dass das momentane Geschäftsmodell Apotheke bereits heute zu einem hohen Grad automatisierbar ist. Lagerautomat plus Kunden-Frontend plus künftig Anbindung an die digitale Medikations- und Patientenakte, garniert mit einer Medikations-Prüfsoftware (gern mit dem modischen Attribut „KI“ versehen) – und fertig ist die Automaten-Apotheke. Bei Investitionskosten von vielleicht um die 300.000 € ist so eine „Automaten-Emma“ für gut und gerne eine Million Euro Umsatz selbst (oder gerade) an peripheren Landstandorten gut, an welchen sich heute keine Vor-Ort-Apotheke mehr halten mag. Das steht für 200.000 € Rohertrag, bei laufenden Unterhaltskosten, die kaum mehr als die Hälfte davon betragen dürften. Leichter ließe sich also auf den ersten Blick kaum Geld verdienen!

Im Grunde weiß das jeder. Warum wohl wurde gegen einen „Hüffenhardt-Automaten“ von Doc Morris seinerzeit tatsächlich aus allen Rohren („erfolgreich“) geschossen? Doch kann man nicht für immer auf einen gesetzlichen Schutz vor dem Offensichtlichen bauen.

Vergessen wir zudem nicht, dass die Apotheken-Jobs immer weniger Menschen machen wollen. Mehr Geld wäre auch nicht die erhoffte alleinige Universallösung. Die Tätigkeiten an sich sind einfach zu unattraktiv und zu wenig zukunftsweisend geworden.

Automation – das perspektivische Thema schlechthin

Automaten wären insoweit nur eine logische Konsequenz. Was spricht also dagegen? Die Story von „Alfred und Emil“ (siehe Testkasten) illustriert den eigentlichen Knackpunkt: Wer betreibt dann die Automaten? Man tut gut daran, sich damit zumindest mental frühzeitig auseinanderzusetzen, selbst wenn es noch nicht akut ist. Denn längerfristig wird die Losung heißen müssen: Automation – ja bitte! Andere Branchen machen es vor. Und schon heute können Sie einiges tun, um im Zweifel zu den Investoren und nicht den Wegrationalisierten zu gehören.

Zukunft jetzt gestalten

Angesichts des immer schwierigeren Umfelds gilt es, laufend die Zukunftsfähigkeit der Betriebe sowie das eigene „Mindset“ zu prüfen und entsprechend anzupassen. Im Hier und Jetzt gilt es, vorrangig an folgenden Themenkomplexen zu arbeiten:

  • Kundenbeziehungen,
  • Investitionsverhalten,
  • daran anschließend die Technisierung und Digitalisierung,
  • sowie am eigenen „Sentiment“, sprich Beobachten, Erkennen und Ausrichten der Handlungen an einem sich wandelnden Umfeld.


Die Kunden im Griff

Es ist ein alter Hut, aber die Kundenbindung steht an erster Stelle, gemäß der Formel: „Abholen, wo die Menschen stehen!“ Das geht von der alten Analogwelt bis in die digitale Welt, von hochmobilen bis mobilitätseingeschränkten Kunden. Für alle gilt es, Wege zur Apotheke vor Ort zu ebnen. Augenmerk ist auf die Topkunden zu lenken: Mit 2 % bis 3 % der Kunden machen Sie 50 % des Rezeptumsatzes, das sind in der typischen Apotheke nicht einmal 100 Personen. „Kunden im Griff“ bedeutet aber auch optimierte Öffnungszeiten, eine professionelle Gesprächsführung (im Sinne von Führen, auch zeitlich) sowie die Erkennung der Bedürfnisprofile vor Ort – sprich, die Kenntnis des lokalen Marktes.

Klug investieren

Investitionen sollten primär dazu dienen, Ihre Marktstellung und Ihre Rentabilität zu erhöhen, und nicht der Befriedigung von technischen Spieltrieben oder der Selbstverwirklichung womöglich zielgruppenferner Ideen (Klassiker: der Einrichtungsstil). Heute entscheidet zudem die Rationalisierung und Straffung zeitraubender Prozesse durch technische Lösungen. Klug Investieren spannt sich dabei bis in den Privatbereich. Wie steht es um Ihre Kapitalanlagen?

Automatisieren und digitalisieren

Ein wesentlicher Schwerpunkt der Investitionen liegt somit in der Automatisierung möglichst vieler (unproduktiver) „Zeitfresser“ und der vielbeschworenen Digitalisierung. Betrachten Sie bewusst das „Undenkbare“, nämlich die Vollautomatisierung und letztlich Automaten-Apotheke. Wären Sie bereit, falls das ermöglicht würde?

Neben der Innensicht auf die Betriebsabläufe gehört immer die Außensicht aus dem Blickwinkel der Kunden dazu. Wie machen Sie diesen das Leben leichter? Wie öffnen Sie Türen (eben auch digitale), wie werden Sie sichtbarer im Wettbewerb, wie präsentieren Sie sich lösungsorientiert, wie bauen Sie Barrieren und Hindernisse ab? „Versorger“ klingt technisch mit einem Anhauch von Amt und Bürokratie. Nein, Sie lösen Probleme und ebnen Wege!

Die Antennen auf Empfang

„Orientiert sein“ gehört zu den wichtigsten Unternehmer-Eigenschaften – in Bezug auf Ihren Markt, Ihr Umfeld, Ihre Mitarbeiter, Ihre Betriebszahlen, für technische Entwicklungen und die Geschehnisse in der weiten Welt. Zur Wahrnehmung gehört auch zu erkennen, wann es Zeit zum Ausstieg ist – die Geschichte mit dem toten Pferd. Wie an der Börse sind strikte Verlustbegrenzungsstrategien („stop loss“) tatsächlich wichtige Garanten für den Erfolg, und bisweilen sogar für das wirtschaftliche Überleben.

Biss haben

Zu guter Letzt: Haben Sie den Biss, mindestens zu den Top 3 in Ihrem Konkurrenzumfeld zu zählen, gern auch die Spitze anzustreben! Fairer Leistungswettbewerb und eben das entscheidende „stets etwas besser als andere“ lassen Sie die Stufen auf die Medaillenplätze nehmen. Das dürfte Ihre Zukunft für eine ganze Weile sichern und Ihnen entscheidende Optionsräume öffnen, die sich für andere zunehmend schließen.

 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

 

Ein humoristischer Exkurs: Die Geschichte von Alfred und Emil

Eines Tages ruft der Boss den Alfred herein und eröffnet ihm: „Alfred, es tut mir leid, aber ich habe einen Roboter angeschafft, der Deine Arbeit fortan übernimmt. Ich muss Dich leider entlassen.“

Alfred – ein bedauernswertes Rationalisierungs-Opfer!

Ganz anders der Emil. Er geht seinerseits eines Tages zu seinem Chef: „Hey, Boss! Ab morgen komme ich nicht mehr. Stattdessen habe ich einen Roboter gekauft, der an meiner Stelle die Arbeit macht – besser, schneller, ohne Urlaub. Du brauchst Dich um nichts zu kümmern, außer mir weiter mein monatliches Salär – nun eine Nutzungsgebühr – zu zahlen. Und weil Du es bist, gebe ich Dir sogar noch 20 % Rabatt ...“

Emil – auch ein Rationalisierungsopfer, oder doch eher ein cleverer Investor?

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(05):4-4