Alle Jahre wieder – die Inventur in der Apotheke

Wer die Wahl hat, hat die Qual


Carmen Brünig

Die Inventur als lückenlose jährliche Bestandsaufnahme aller vorhandenen Vermögenswerte und Schulden zu einem bestimmten Stichtag X gehört zu den gesetzlich festgeschriebenen Pflichten von Apotheken. Doch was ist der ideale Zeitpunkt, und welches Inventurverfahren passt am besten zu welchem Betrieb? Der Artikel liefert einen aktuellen Überblick.

Jährlich wiederkehrendes Ritual - die Inventur. (© AdobeStock/C_Drazen)

Im Rahmen der ordnungsgemäßen Buchführung ist ein Apothekeninhaber dazu verpflichtet, regelmäßig eine Übersicht über alle Vermögensgegenstände und Schulden seiner Apotheke aufzustellen, welche auch als Inventar bezeichnet wird. Als im Handelsregister eingetragener Kaufmann ist er auch zu einer jährlichen Inventur nach handelsrechtlichen Vorschriften verpflichtet, die auch für das Steuerrecht anzuwenden sind.

Dabei kommen bei der Umsetzung der Inventur in der Praxis immer wieder Missverständnisse auf, was die Art und Durchführung betrifft. Nachfolgend geben wir Ihnen einen Überblick über die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die unterschiedlichen Verfahrensweisen.

Klar geregelt im HGB

Die Inventur ist die lückenlose Bestandsaufnahme aller vorhandenen Vermögenswerte und Schulden eines Unternehmens zu einem bestimmten Stichtag. Im Rahmen der ordnungsgemäßen Buchführung ist grundsätzlich jeder Apotheker als Kaufmann gemäß § 240 Handelsgesetzbuch (HGB) und § 140 der Abgabenordnung (AO) zur Inventur verpflichtet, und zwar

  • bei Gründung oder Übernahme eines Unternehmens,
  • zum Ende eines jeden Geschäftsjahres sowie
  • bei Veräußerung oder Auflösung des Betriebs

... sofern Wirtschaftsjahr = Kalenderjahr jeweils zum 31. Dezember.

Abhängig vom Zeitpunkt der Inventuraufnahme unterscheidet man zwischen Stichtags- und permanenter Inventur. Welches Verfahren gewählt wird, bleibt dem Unternehmen selbst überlassen und hängt vom genutzten Warenwirtschaftssystem ab. So ist die permanente Inventur nur in Verbindung mit einem PoS-System zugelassen.

Das größte Missverständnis in der Praxis betrifft sicherlich das Stichwort „Permanente Inventur“. Das Wort „permanent“ bezieht sich nämlich darauf, dass eine körperliche Bestandsaufnahme der Vorräte nicht nur an einem Stichtag stattfindet („Stichtagsinventur“), sondern permanent – also während des laufenden Jahres – erfolgen darf. Es bedeutet nicht, dass aufgrund der laufenden Bestandsführung des PoS-Systems überhaupt keine körperliche Bestandsaufnahme erfolgen muss.

Bestandsaufnahme nach Menge und Wert

Die Inventur erfasst Vermögensgegenstände und Schulden grundsätzlich einzeln nach Art (z. B. Bezeichnung des Medikaments), Umfang (z. B. Packungsgröße) und Wert (in Euro). Diese erfolgt zum einen körperlich – durch Zählen, Messen oder Wiegen und notfalls durch Schätzungen –, zum anderen in Form einer Buchinventur. Letztere erfasst wertmäßig alle nicht körperlichen Gegenstände und Schulden – wie beispielsweise Forderungen, Verbindlichkeiten oder Bankguthaben – anhand von buchhalterischen Aufzeichnungen (Belegen) oder anderen Unterlagen (z. B. Kontoauszügen).

Die Inventur gliedert sich somit in die mengenmäßige Bestandsaufnahme zum Inventurstichtag sowie in die zeitlich sich anschließende Bewertung.

Zeitpunkt der Inventur

Grundsätzlich ist eine Inventur zum Ende eines Geschäftsjahres (zum Bilanzstichtag) durchzuführen, also am 31.12. eines Kalenderjahres oder am letzten Tag des Geschäftsjahres. Ein Geschäftsjahr darf nicht mehr als zwölf Monate umfassen und kann wie ein Kalenderjahr am 1. Januar beginnen und am 31. Dezember enden.

Viele Apotheken arbeiten auch mit vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahren. Da eine Inventur je nach Apothekengröße sehr umfangreich und organisatorisch herausfordernd sein kann, sind für Güter des Warenlagers verschiedene Vereinfachungsverfahren zulässig. Diese bieten einen gewissen zeitlichen Spielraum, um die Bestände der Apotheke zu einem Stichtag zu ermitteln.

Die verschiedenen Inventurverfahren – ein Überblick

Stichtagsinventur

Die klassische Inventurmethode stellt bei Apotheken die Stichtagsinventur dar. Hier werden die Warenbestände an einem festgelegten Aufnahmetag mengenmäßig erfasst und in Inventurlisten eingetragen. Die Inventur muss nicht direkt am Bilanzstichtag erfolgen. Die zeitnahe Stichtagsinventur erlaubt es, den Bestand innerhalb von zehn Tagen vor oder nach dem Stichtag zu erfassen. Die Zu- und Abgänge zwischen dem Aufnahmetag und dem Stichtag sowie die Warenbewegungen am Stichtag selbst werden anhand von Belegen mengen- und wertmäßig fortgeschrieben, beziehungsweise zurückgerechnet.

Die Bewertung der Ware erfolgt zu den Anschaffungskosten. Bei der Bewertung wird das Warenlager nach Gängigkeit der Artikel unterteilt. Waren mit abgelaufenem Verfallsdatum gelten als unverkäuflich und bleiben außer Wertansatz.

Die Stichtagsinventur bildet die Warenbestände so ab, wie sie am Ende des Geschäftsjahres tatsächlich sind. Sie ist jedoch verbunden mit einem großen Arbeitsaufwand innerhalb weniger Tage, der erhebliche Störungen im Betriebsablauf zur Folge haben kann.

Zeitverschobene Inventur

Ist eine Stichtagsinventur nicht möglich, oder sind die Voraussetzungen für eine permanente Inventur nicht erfüllt, ist die zeitverschobene Inventur eine Option.

Diese Art der Inventur ermöglicht es einem Unternehmen, die körperliche Bestandsaufnahme zeitlich zu verlegen. Dabei kann die Inventur innerhalb der letzten drei Monate vor oder der ersten beiden Monate nach dem Schluss des Geschäftsjahres durchgeführt werden. Das Inventurverfahren ist im HGB ausdrücklich zugelassen und geregelt. Die Voraussetzung für eine vor- oder nachverlagerte Inventur ist eine vollständige Fortschreibung bzw. Rückschreibung des Bestandes zum Bilanzstichtag. Der am Tag der Inventur ermittelte Bestand wird wertmäßig (nicht mengenmäßig) auf den Bilanzstichtag fortgeschrieben bzw. zurückgerechnet, das Inventar ist dabei auf den Tag der tatsächlichen Bestandsaufnahme datiert.

Diese Form der Inventur gibt den Unternehmen Flexibilität bei der Festlegung des Inventurdatums. Allerdings kommen dabei die gleichen Nachteile wie bei der Vollinventur zum Bilanzstichtag zum Tragen: Der große organisatorische, zeitliche und personelle Aufwand bleibt bestehen.

Permanente Inventur

Im Gegensatz zu den anderen Inventuransätzen ist es bei diesem Verfahren möglich, den am Stichtag vorhandenen Bestand auch ohne gleichzeitige körperliche Bestandsaufnahme festzustellen. Vielmehr wird bei der permanenten Inventur der Bestand mithilfe des Warenwirtschaftssystems ganzjährig erfasst und Bestandsveränderungen entsprechend dokumentiert. Dieses Verfahren ist allerdings nur in Verbindung mit einem PoS-System zugelassen, das alle Bestände (Zu- und Abgänge) in einem Verzeichnis nach Tag, Art und Menge erfasst.

Damit eine permanente Inventur auch von der Finanzverwaltung akzeptiert wird, muss gewährleistet sein, dass der Bestand jedes am Lager befindlichen Artikels zumindest einmal im Geschäftsjahr körperlich kontrolliert wird. Diese Bestandsaufnahme muss genau protokolliert werden – Bestandsveränderungen müssen entsprechend belegt werden. Um die Dokumentation der Inventur zu erleichtern, stellen Warenwirtschaftssysteme in der Regel entsprechende Module bereit.

Nahezu jedes Warenwirtschaftssystem hat mittlerweile einen Programmteil „Inventur-Ausdruck“. Der tatsächliche Bestand muss mindestens einmal jährlich mit den im System hinterlegten Daten abgeglichen werden. An einem frei wählbaren Tag muss daher eine körperliche bzw. Stichprobeninventur durchgeführt und der Sollbestand der Lagerbuchführung mit dem Istbestand abgeglichen werden. Abweichungen führen zu einer Berichtigung des Sollbestandes. Inventurdifferenzen fließen voll erfolgswirksam in die Gewinn- und Verlustrechnung ein.

Die Vorteile der permanenten Inventur liegen u. a. darin, dass die körperliche Bestandsaufnahme über das ganze Jahr verteilt und sinnvoll geplant werden kann, beispielsweise wenn die Bestände am niedrigsten sind. Sie lässt sich zudem einfach in den Tagesablauf integrieren.

Im Apothekenalltag ist allerdings darauf zu achten, dass die körperliche Inventur neben dem Tagesgeschäft nicht in Vergessenheit gerät und am Ende doch große Bestandsmengen auf einmal zu überprüfen sind.

Es ist daher ratsam, die permanente Inventur als feste Aufgabe für bestimmte Mitarbeiter einzuplanen. Dabei kann z. B. täglich eine Bestandsliste über einen kleinen Teil der Lagerartikel aus dem Warenwirtschaftssystem erzeugt und mit dem tatsächlichen Bestand abgeglichen werden. Manuelle Bestandskorrekturen können auf diesen Listen vermerkt und mit Namenszeichen versehen werden.

Um dabei den Überblick nicht zu verlieren, bietet es sich an, den Bestand z. B. in alphabetischer Reihenfolge oder nach Sortimentsgruppen zu prüfen. Warenwirtschaftssysteme bieten hier in der Regel Lösungen für ein einfaches Prozedere in der praktischen Umsetzung an. Am Ende des Jahres sollten dann fortlaufende, lückenlose Listen von A bis Z vorliegen, die zehn Jahre lang aufbewahrungspflichtig sind.

Stichprobeninventur

Neben der Stichtagsinventur und der permanenten Inventur gehört die Stichprobeninventur zu den zugelassenen Inventurmethoden, die das Gesetz vorgibt. Bei dieser handelt es sich um ein handelsrechtlich zulässiges Verfahren zur Optimierung der Inventur, welches zudem eine wesentliche Kostenreduzierung ermöglicht.

Nach § 241 Abs. 1 HGB darf der Bestand der Vermögensgegenstände nach Art, Menge und Wert auch mithilfe anerkannter mathematisch-statistischer Methoden (z.B. Mittelwertschätzung) aufgrund von Stichproben ermittelt werden. Das bedeutet, dass nicht der gesamte Bestand körperlich erfasst wird, sondern nur ein Teil davon, und von diesem auf den Gesamtbestand geschlossen wird. Die Stichprobeninventur ist deshalb auch als „Teilerhebung“ bekannt.

Der Aussagewert des auf diese Weise ermittelten Inventars muss dem Aussagewert eines aufgrund körperlicher Bestandsaufnahme ermittelten Inventars gleichkommen. Eine zulässige, EDV-gestützte Lagerverwaltung ist Voraussetzung für die Stichprobeninventur. Zudem muss das Verfahren den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung entsprechen. Nur die hochwertigen Artikel werden körperlich gezählt, sodass ein Großteil des Lagerwertes damit bereits erfasst ist. Aus dem Restbestand wird nach dem Zufallsprinzip eine Stichprobe entnommen, aus der anschließend der Gesamtbestand hochgerechnet wird.

Gegenstände des Anlage- und Umlaufvermögens

Die Inventur, die die körperliche Bestandsaufnahme aller Vermögensgegenstände (und Schulden) bezeichnet, führt zur Aufstellung eines vollständigen Inventars. Insofern müssen nicht nur die Warenvorräte aufgenommen werden, sondern auch die Gegenstände des Anlagevermögens und weitere Gegenstände des Umlaufvermögens, zu denen in der Apotheke vor allem die Rezeptursubstanzen, Drogen und Gefäße wie z. B. Kruken und Weithalsgläser gehören.

Für letztere, die zu den sogenannten „Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen“ gerechnet werden können, und auch für die Gegenstände des Anlagevermögens gibt es hinsichtlich der Bestandsaufnahme allerdings eine Erleichterung: Diese können für drei aufeinanderfolgende Jahre mit einem gleichbleibenden Wert angesetzt werden (sogenanntes „Festwertverfahren“). Eine körperliche Bestandsaufnahme muss insoweit nur alle drei Jahre erfolgen. Dies gilt für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe zwar nur dann, wenn sie für die Höhe des Inventars von nachrangiger Bedeutung sind. Dies dürfte aber in den allermeisten Apotheken der Fall sein.

Fehlende Inventur

Wird eine Inventur nicht ordnungsgemäß umgesetzt, kann das für die Apotheke durchaus negative Folgen nach sich ziehen. Als Teil der Buchführung wird sie grundsätzlich auch zur Besteuerung herangezogen. Stellt die Finanzbehörde Defizite in diesem Bereich fest, kann sie den Bestand schätzen, was eine höhere Besteuerung zur Folge haben kann.

Wichtige Kontrollfunktion zur Buchführung

Grundsätzlich kommt keine Apotheke an einer jährlichen körperlichen Bestandsaufnahme durch Inventur vorbei. Diese bildet die wichtigste quantitative Grundlage für die Bilanzierung. Aber die Inventur hat mehr als nur steuerlichen Charakter. Inventur und Inventar erfüllen auch eine Kontrollfunktion zur Buchführung, weil die Bestände unabhängig von ihr aufgenommen werden.

Eine permanente Inventur ist Grundlage dafür, dass das Warenwirtschaftssystem aussagekräftige und korrekte Informationen liefert. Hierbei ist zu beachten, dass die monatlichen Bestandsveränderungen, welche durch eine permanente Inventur zum Monatsende festgestellt werden, in die monatlichen Buchführungsergebnisse einfließen. Das ermöglicht es Ihnen als Apothekeninhaber, zeitnah und zielgerichtet auf die wirtschaftliche Entwicklung Ihrer Apotheke zu reagieren.

 

Carmen Brünig, Steuerberater, Leiterin Apotheken-Branche, ETL Advision – Steuerberatung im Gesundheitswesen, 10117 Berlin, E-Mail: carmen.bruenig@etl.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(05):10-10