Dr. Hubert Ortner
Die sehr engmaschige medizinische Versorgung hierzulande hat ihren Preis. Insofern bräuchten wir mehr Eigenverantwortung – gerade im Gesundheitsbereich. (AdobeStock_Thares2020)
Wie zukunftssicher und krisenfest ist das deutsche Gesundheitssystem, Frau Peine?
Janine Peine: Wir haben in Deutschland einen sehr hohen Standard in unserem Gesundheitssystem. Den versuchen wir zu halten und auch langfristig zu finanzieren. Das wird angesichts der demografischen Entwicklung eine riesige Herausforderung: Es gibt immer mehr ältere Menschen mit einem steigenden Versorgungsbedarf, zugleich stagniert die Zahl der Beitragszahler und wird absehbar sogar sinken. Deshalb braucht es grundlegende Reformen.
Was die Krisenfestigkeit anbetrifft, haben mich die Erfahrungen während der Corona-Pandemie zuversichtlich gestimmt. Da wurde klar: Wenn es darauf ankommt, dann kann auch schnell und einheitlich gehandelt werden. Ob die beschlossenen Maßnahmen und ihre Umsetzung in allen Punkten ideal waren, steht auf einem anderen Blatt.
Bekommen die Deutschen im internationalen Vergleich eine angemessene Gegenleistung für die rund 300 Mrd. Euro p. a., die den gesetzlichen Krankenkassen zufließen? Allein die Wartezeiten für Facharzttermine lassen daran einige Zweifel aufkommen …
Janine Peine: Da stellt sich mir zunächst die Frage: Was bedeutet Gegenleistung? Welche Gesundheitsleistungen sind einerseits notwendig und sinnvoll, welche sind andererseits gewünscht? Ich möchte nochmal betonen, dass wir in Deutschland ein sehr hohes Versorgungsniveau haben. So ist die Zahl der Arzt-Patienten-Kontakte bei uns im internationalen Vergleich deutlich höher als in den meisten anderen Ländern Europas. Und eines ist klar: Je engmaschiger wir versorgt werden wollen, desto teurer wird es.
Die zentrale Frage in diesem Kontext lautet: Wer hat die Verantwortung für unsere Gesundheit – die Politik, die Krankenkassen – oder liegt diese letztlich nicht bei jedem Einzelnen …?
Das liegt wohl auch an der Mentalität in unserem Land: Wenn die Bürger vor die Wahl gestellt werden – mehr Staat oder mehr Eigenverantwortung – dann zieht letztere Option meist den Kürzeren.
Janine Peine: Ja, so sind wir geprägt. Deshalb neigen die Deutschen mehrheitlich auch dazu, im Zweifelsfall doch lieber zum Arzt zu gehen und alles gründlich abklären zu lassen. Dieses Bedürfnis, immer auf 100 % sicher zu gehen, kostet aber richtig Geld. Deshalb bin ich überzeugt: Es braucht mehr Eigenverantwortung – gerade im Gesundheitsbereich!
Janine Peine, Leitung ETL Advision
Immer mehr niedergelassene Ärzte scheuen den Sprung in die Selbstständigkeit und arbeiten stattdessen als Angestellte, oft in Teilzeit. Würde ein höheres Maß an Flexibilität im Apothekenumfeld helfen, die zuletzt stark rückläufige Zahl an Neugründungen wieder nach oben zu treiben?
Carmen Brünig: Ich glaube aber nicht, dass sich dieser Trend durch mehr Flexibilität aufhalten ließe und diese zu mehr Neugründungen führen würde. Das liegt nach dem, was ich täglich von meinen Mandanten höre, vor allem an zwei Faktoren – dem Fachkräftemangel und der Kostenentwicklung.
Carmen Brünig: „Mit unserem ‚360 Grad+ -Sorglos-Konzept‘ decken wir den gesamten „Lebenszyklus“ von Apotheken ab: Das beginnt bei der Existenzgründung bzw. Betriebsübernahme und geht über die Expansion bis hin zur Unternehmensnachfolge oder den Verkauf.“
Lassen Sie uns diesen Punkt konkretisieren: Ist die Rechtsform des persönlich haftenden Kaufmanns (e. K.) noch zeitgemäß? Oder bräuchte es nicht längst eine ergebnisoffene Debatte über alternative Rechtsformen wie die GmbH, die nur von approbierten Apothekern geführt werden dürften?
Carmen Brünig: Eine Öffnung für neue Gesellschaftsformen wäre durchaus wünschenswert. Die persönliche Haftungsbeschränkung einer GmbH wäre mit Sicherheit auch für Apotheken ein großer Vorteil und würde die Hemmschwelle für den Sprung in die Selbstständigkeit deutlich herabsetzen. Ich kann mir gut vorstellen, dass potenzielle Apotheken-Neugründer vor der persönlichen Haftung oft zurückschrecken.
Carmen Brünig, Branchenleitung Apotheken, ETL Advision
Würde man dadurch mit Blick auf das Fremd- und Mehrbesitzverbot nicht die sprichwörtliche Büchse der Pandora öffnen?
Carmen Brünig: Das ließe sich ja gesetzlich regeln, indem man z. B. den Fremdbesitz für nicht approbierte Pharmazeuten ausschließt. Ich höre in der täglichen Beratungspraxis immer wieder, dass Apothekeninhabern die Last der alleinigen Verantwortung zu viel wird. Da bietet sich zurzeit nur das Modell der OHG an. Bei einer Öffnung für Gesellschaftsformen mit eingeschränkter Haftung käme auch eine GmbH & Co. KG in Frage.
Janine Peine: „Beim E-Rezept ist in den letzten Wochen ein Wettlauf entbrannt, welcher Einlöseweg sich am stärksten durchsetzen wird. Dabei geht es vor allem um zwei zentrale Fragen: Welcher Einlöseweg ist aus Anwendersicht am komfortabelsten, und welcher findet am meisten Akzeptanz bei den Patienten?“
Was können Apothekeninhaber darüber hinaus noch von den anderen Heilberuflern – allen voran den Ärzten – lernen?
Janine Peine: Ich sehe es genau andersrum. Betrachten wir beispielsweise die Digitalisierung: Da ist es erstaunlich, wie weit die Apotheken bereits sind, insofern können da die anderen Gesundheitsberufe etwas von ihnen abschauen. Da kann die Apothekerschaft zu Recht stolz sein und muss sich überhaupt nicht verstecken: Sie machen das großartig und haben es überhaupt nötig, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen!
Wie kommt ETL Advision beim Ausbau des Apothekenmarktes voran? Eigentlich sollte der zuletzt wachsende Druck auf die Erträge den Bedarf nach fundierter Beratung doch sprunghaft ansteigen lassen?
Carmen Brünig: Wir kommen sehr gut voran. Der Bedarf nach spezialisierter Steuerberatung hat insgesamt stark zugenommen. Das zieht sich durch das komplette Gesundheitswesen und gilt auch für Apotheken. Durch unsere Präsenz auf Messen, Veranstaltungen und in der Fachpresse wird ETL Advision auch im Apothekenumfeld immer stärker als Spezialist für die Gesundheitsbranche wahrgenommen. Wir sehen das auch bei unseren Partnerkanzleien, die ihre Kapazitäten im Bereich der Apothekenberatung deutlich ausgebaut haben.
Gilt das von Ihnen vor drei Jahren ausgegebene Ziel, wonach ETL Advision auch im Apothekenmarkt die Marktführerschaft unter den Steuer-, Rechts- und Wirtschaftsberatern erobern möchte, nach wie vor uneingeschränkt, Frau Peine?
Janine Peine: Das ist gar nicht unser Kernziel. Mit unseren 120 Steuerkanzleien bieten wir sektorenübergreifend eine auf die Gesundheitsbranche spezialisierte Beratung. Das ist einmalig. Und, wie Frau Brünig schon sagte: Wir erleben zunehmend, dass wir im Markt anders wahrgenommen werden – gerade auch im Apothekenumfeld. Man sieht in ETL Advision nicht nur die klassische Steuerberatung, sondern auch unsere Kompetenzen in den Bereichen BWL, Strategie- und Rechtsberatung. Damit sind wir sehr zufrieden.
Wer als Selbstständiger einen Heilberuf ausübt, der muss sich zu einem Gesundheitsunternehmer entwickeln – und dafür braucht es einen starken Partner an der Seite.
Janine Peine: „Die digitalen Prozesse im Gesundheitswesen sind nicht sektorenübergreifend gedacht und entwickelt worden, sondern als punktuelle Insellösungen. Und jetzt soll vieles auf Biegen und Brechen durchgedrückt werden, obwohl die Lösungen noch gar nicht ausgereift sind. Das verursacht viel Schmerz und auch Frust bei den Leistungserbringern.“
Das führt uns nahtlos weiter zum Kernpunkt Ihres Markenprofils – die 360 Grad+ -Beratung. Welche Bereiche deckt diese genau ab, und warum sollte sich ein Apothekeninhaber für eine Zusammenarbeit mit ETL Advision entscheiden?
Carmen Brünig: Bei uns bekommen Apotheken eine Komplettberatung aus einer Hand – dafür steht unser 360 Grad+ -Konzept. Das bietet zahlreiche Vorteile. So ist z. B. eine gute Steuerberatung oft untrennbar mit einer Rechtsberatung verbunden. Wir verfügen deutschlandweit über ein großes Netzwerk sowohl aus spezialisierten Steuerberatern als auch Anwälten für alle relevanten Fachgebiete – vom Medizinrecht übers Arbeitsrecht bis hin zum Gesellschaftsrecht.
Mit diesem „360 Grad+ -Sorglos-Konzept“ decken wir neben dem Kerngeschäft der Steuerberatung den gesamten „Lebenszyklus“ von Apotheken ab: Das beginnt bei der Existenzgründung bzw. Betriebsübernahme und geht über die Expansion und Filialisierung bis hin zur Unternehmensnachfolge oder den Verkauf.
Themenwechsel. Sind Karl Lauterbachs Reformpläne wirklich gleichzusetzen mit dem Untergang des Apotheken-Abendlandes, wie von der ABDA gebetsmühlenartig vorgetragen?
Carmen Brünig: Ich sehe es überhaupt nicht so. Wir haben gerade so viel Bewegung im Apothekenmarkt wie lange nicht. Aber ganz egal, wie der Gesetzesentwurf von Karl Lauterbach auch aussehen mag und was davon letztlich umgesetzt wird – eines steht von vorneherein fest: Es wird nicht ohne Apotheken gehen!
Carmen Brünig: „Die persönliche Haftungsbeschränkung einer GmbH wäre mit Sicherheit auch für Apotheken ein großer Vorteil und würde die Hemmschwelle für den Sprung in die Selbstständigkeit deutlich herabsetzen. Ich kann mir gut vorstellen, dass potenzielle Apotheken-Neugründer vor der persönlichen Haftung oft zurückschrecken.“
Bei der Umstellung aufs E-Rezept können die Vor-Ort-Apotheken angesichts ihrer nahezu monopolistischen Marktanteile im Rx-Segment (bis 2023 ca. 99 %) gegenüber den Versendern eigentlich nur verlieren. Wie bewerten Sie die Perspektiven in diesem „Kampf ums E-Rezept“?
Carmen Brünig: Das Cardlink-Verfahren soll ja der „goldene Weg“ für die Versender sein, und DocMorris hat bereits eine Zulassung für seine App bekommen. Die Plattform-Anbieter arbeiten ebenfalls mit Hochdruck an Cardlink-Lösungen, damit die Vor-Ort-Apotheken nicht ins Hintertreffen geraten. Für mich stellt sich die Frage: Wozu braucht es diesen vierten Einlöseweg überhaupt, wenn es mit der Gematik-App doch bereits ein rein digitales Verfahren gibt? Und was ist mit den von verschiedenen Seiten geäußerten Sicherheitsbedenken?
Janine Peine: Es ist in den letzten Wochen ein Wettlauf entbrannt, welcher Einlöseweg sich am stärksten durchsetzen wird. Dabei geht es vor allem um zwei zentrale Fragen: Welcher Einlöseweg ist aus Anwendersicht am komfortabelsten, und welcher findet am meisten Akzeptanz bei den Patienten?
Was ist Ihre Erwartung: Welcher Einlöseweg fürs E-Rezept wird sich letztlich am stärksten durchsetzen – die eGK-Stecklösung oder das Cardlink-Verfahren?
Carmen Brünig: Eine Prognose dazu abzugeben, ist zum jetzigen Zeitpunkt äußerst schwierig. Auf der einen Seite ist die eGK-Stecklösung vertraut, weil dasselbe Verfahren ja auch bei Arztbesuchen zur Anwendung kommt. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Patienten, die gar nicht erst in die Apotheke gehen wollen und ihre Arzneimittel lieber online bestellen. Für die ist dann das Cardlink-Verfahren die erste Option.
Janine Peine: Es wird sich durch die Digitalisierung vieles verändern, das geht weit über die Rezepteinlösung hinaus. Stehenbleiben ist insofern keine Option.
Ein weit verbreitetes Mantra lautet, durch Digitalisierung ließe sich Zeit einsparen, die letzten Endes den Patienten zugutekommen würde. Beim E-Rezept stimmt diese Annahme schon mal nicht. Und auch in der Krankenpflege ist es genau andersrum: Da frisst die ungleich aufwändigere digitale Dokumentation auch noch die letzten Minuten an persönlicher Zuwendung für die Patienten. Sind wir einem „Märchen“ aufgesessen?
Janine Peine: Das Problem ist, dass die digitalen Prozesse im Gesundheitswesen nicht sektorenübergreifend gedacht und entwickelt wurden sondern als punktuelle Insellösungen. Und jetzt soll vieles auf Biegen und Brechen durchgedrückt werden, obwohl die Lösungen noch gar nicht ausgereift sind. Das verursacht viel Schmerz und auch Frust bei den Leistungserbringern.
Ich bin aber überzeugt: Wenn wir erst an dem Punkt angekommen sind, dass wir einheitliche digitale Prozesse ohne allzu viele Bruchstellen haben, dann wird es diese Zeiteinsparungen auch tatsächlich geben.
Janine Peine: „Die Zahl der Arzt-Patienten-Kontakte ist bei uns im internationalen Vergleich deutlich höher als in den meisten anderen Ländern Europas. Und eines ist klar: Je engmaschiger wir versorgt werden wollen, desto teurer wird es. Deshalb braucht es mehr Eigenverantwortung – gerade im Gesundheitsbereich!“
Kommen wir zum Schluss: Was ist nach Ihrer Einschätzung die derzeit größte Herausforderung für Apothekeninhaber, und wie lässt sich dieser am besten beikommen?
Carmen Brünig: Das ist mit Sicherheit der starke Fachkräftemangel. Um diesem beizukommen, müssen Apothekeninhaber lernen, anders zu denken und zu agieren, um neue Bewerber zu gewinnen und dann auch an die Apotheke zu binden. Es gilt, ein zeitgemäßes Arbeitgeber-Marketing zu betreiben, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren. Dabei kommt es insbesondere darauf an, die eigenen Unternehmenswerte und Ziele sichtbar zu machen und aktiv zu kommunizieren.
Das Interview führte Dr. Hubert Ortner
Dr. Hubert Ortner, Biochemiker, Chefredakteur AWA – APOTHEKE & WIRTSCHAFT, 70191 Stuttgart, E-Mail: hortner@dav-medien.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(10):6-6