Glaube keiner Statistik …

Einige (weniger?) nette Zahlenspielereien


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Ein Professor und seine 50 Studierenden im Raum unterhalten sich über die Unterschiede von Mittelwert, Median sowie Streuungsmaße und Verteilungen. Die Umfrage unter den Studierenden ergibt einen bunt streuenden „Vermögensstand“ von einigen hundert Euro Schulden bis hin zu 5.000 € Guthaben. Der Professor bringe es auf immerhin eine halbe Million Euro Nettovermögen. Im arithmetischen Durchschnitt haben damit alle rund 12.000 €. Im Median sind es jedoch nur um 2.000 €. Doch zufälligerweise ist Elon Musk (Vermögen geschätzt 150 bis 200 Mrd. €) zu einer Stippvisite auf den Campus gekommen, er erscheint bisweilen ja hierzulande, und schaut in die Gruppe hinein. Auf einen Schlag sind nunmehr alle im Durchschnitt mehrfache Milliardäre! Und im Median? Da hat sich gar nichts geändert. Als der exzentrische Milliardär kurz darauf den Saal verlässt, sind alle wieder im Mittel wie Median ziemlich mittellos.

Anderes Beispiel: Eine (südamerikanische) Kleinstadt mit 2.000 Haushalten. Ein Dutzend Familiendynastien beherrschen seit jeher den Großteil des Grundbesitzes und der Arbeitsplätze, und jede nennt so ein höher zweistelliges bis gar deutlich dreistelliges Millionenvermögen ihr Eigen, in Summe zwei bis drei Milliarden Euro. Die übergroße Mehrheit hat nichts oder wenig. Und selbst wenn es dort zu einem mittleren fünfstelligen Besitz reichen würde – die Summe verblasst weit gegenüber den Reichsten. Sogar eine halbwegs wohlhabende Mittelschicht von zwei-, dreihundert Haushalten, die bestenfalls einfache Millionäre sind, ändert an der Ungleichverteilung noch sehr wenig.

Statistisch handelt es sich aber um ein wohlhabendes Städtchen, denn der durchschnittliche Haushalt ist Millionär oder nahe dran. Der Median-Haushalt freilich nicht, der bleibt arm wie eine Kirchenmaus. Nun könnte man auf die Idee verfallen, die paar Reichen zum Teufel zu jagen oder gar einen Kopf kürzer zu machen, und deren Besitz dem Volk zu übereignen. So sollten dann alle Haushalte Millionäre sein. Dummerweise werden die Betriebe kaum mehr einen Wert haben, die Produktivität stürzt ab, „volkseigene“ Immobilien verfallen und über Grund und Boden herrscht ein korrupter Revolutionsrat, so dass kein transparenter Wert mehr erkennbar ist. Am Ende bleiben (fast) alle gleich arm – oder werden noch ärmer als vorher. Diese Umverteilungsexperimente sind bislang alle gründlich gescheitert. Trotzdem birgt eine zu große, zudem als ungerecht empfundene Ungleichheit gesellschaftliches Sprengpotenzial, weswegen eine staatliche Umverteilung mit Augenmaß durchaus geboten ist (und bei uns im Wesentlichen erfolgt).

In den Apotheken haben wir ebenfalls eine Schieflage, wie die jährlich von der ABDA publizierte Umsatzverteilung impliziert, basierend auf einem Panel von 2.500 Apotheken der Treuhand Hannover. Die Verteilung sieht „runder“ aus, wenn man sie in gleich starke Umsatzklassen von je einer Million Euro Klassenbreite (also bis 1 Mio. €, über 1 bis 2 Mio. € usw.) zusammenfasst. Dann ergibt sich eine sanft auslaufende rechtsschiefe Verteilung – mit einem „weißen Fleck“ über 10 Mio. (fast 1,5 % der Apotheken oder rund 250 Betriebe).

Diese höchste Klasse dürfte eine eigene Verteilung ausbilden (einen zweiten „Buckel“, wir haben also eine bimodale Verteilung), und der ist wiederum das Problem. Summiert man nämlich die Klassen bis 10 Mio. € auf, kommt man nur auf rund 56 Mrd. € oder gut 84 % des publizierten Branchenumsatzes von 66,4 Mrd. €. Im zweiten „Buckel“ verbergen sich womöglich um 10 Mrd. €. Allein an die 6 Mrd. € sind Parenteralia, es gibt zudem die Krankenhausversorgung und manch Spezialsegmente mehr – für einen elitären Apothekenzirkel.

Der Durchschnittsumsatz 2023 über alle beträgt 3,78 Mio. € (66,4 Mrd. € durch 17.570 Betriebe). Ziehen wir nur die Apotheken bis 10 Mio. € heran, sind es noch etwa 3,25 Mio. €. Publiziert werden 3,44 Mio. €. Der Medianwert über alle, welche die nach Anzahl obere und untere Hälfte trennt, liegt dagegen bei knapp unter 3,0 Mio. . Die obere und untere kumulative Umsatzhälfte trennt sich indes erst bei gut 4 Mio. €. Gar nicht beleuchtet wird die Umsatzagglomeration mitsamt der Einkommensimplikationen auf Ebene der Inhaber bzw. „Steuerfälle“, Stichwort Filialen. Wie heißt doch der bekannte, böse Spruch? „Statistik ist die Steigerung der Lüge …“.

 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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