Prof. Dr. Reinhard Herzog
Es ist höchste Zeit, sich bei den Tarifen ehrlich zu machen und über eine neue Gehaltsstruktur nachzudenken. (© AdobeStock/ALF photo)
Der Nachwuchs meidet die Apotheke immer mehr. Neben den Arbeitsbedingungen und -zeiten sind ein weiterer Grund die prohibitiv niedrigen Tarifgehälter. Als Aushängeschild spielen diese eine erhebliche Rolle, denn wie viel tatsächlich über Tarif bezahlt wird, erschließt sich Außenstehenden nicht. Und so vergleichen Interessenten eben die zugänglichen Quellen, und da steht der Apothekentarif dann neben den Tabellenwerken der Industrie, des Einzelhandels oder des öffentlichen Dienstes. Selbst Jobportale wie Kununu, Stepstone, Gehalt.de und andere führen nicht wirklich weiter. Während für große Firmen zahlreiche belastbare Gehaltseinträge (neben vielen sonstigen Bewertungen zu Arbeitsbedingungen, Stimmungen usw.) vorliegen, fehlen diese im Detail zu den ja in der Regel kleinen Einzelapotheken. Auch macht ein Tarifwerk irgendwann keinen Sinn mehr, wenn dessen Löhne niemand zahlt. Man stellt sich nach außen schlechter dar als man ist.
Eine Reform ist überfällig. In deren Gefolge sollte sich die Differenz zwischen Tariflöhnen und effektiv gezahlten Gehältern minimieren, sprich, es wird dann größtenteils tatsächlich nach Tarif bezahlt, und dies offen einsehbar. Das ist in den konkurrierenden Branchen insbesondere mit größeren Arbeitgebern schon immer so. „Außertarifliche“ Stellen bewegen sich oberhalb der höchsten Tarifstufe und sind nur sehr wenigen, herausgehobenen Positionen vorbehalten. Dies wäre auch für die Apotheken ein anzustrebendes Ziel. Nicht zuletzt liefert dies der Politik gewichtige Argumente für angemessene Honorare, aus denen heraus faire Löhne bezahlt werden können. Dies lässt sich heute nicht in der nötigen Tiefe darstellen, sondern verbirgt sich nur in einem Gesamt-Personalkostensatz (der publiziert wird). Der größte Benefit dürfte aber darin bestehen, die Apotheke für Interessenten wieder attraktiver erscheinen zu lassen.
Ein erster Vorschlag
Tabelle 1 zeigt einen Vorschlag, bezogen auf den Stand Anfang 2024. In jeder Berufsgruppe gibt es nun zwei Entwicklungslinien: Einmal horizontal wie bisher nach Berufsjahren, dies aber vereinheitlicht und etwas verkürzt. Neu ist eine vertikale Einwicklungslinie nach „Qualifikations- und Verantwortungsstufen“ (QVS), was sozusagen den möglichen Karrierepfad im jeweiligen Beruf markiert.
So etwas sehen wir in anderen Tarifen in Form einer gewissen Zahl an Tarif- oder Entgeltgruppen, die typischerweise von einer Berufsgruppe erreicht werden können. Das Erreichen dieser QVS wird man sinnvollerweise, neben Berufserfahrung, an Fort- und Weiterbildungen sowie schlicht an eine Übertragung von erweiterter Verantwortung knüpfen. Dies kann im Tarifvertrag auch normiert werden, die Vorbilder sind zahlreich.
Grundsätzlich basieren die Tabellenwerte auf 12 Monatsgehältern im Jahr und 40 Wochenstunden. Dieses „12er-Modell“ hat einige Vorteile, wobei klargestellt sein soll, dass damit nicht weniger bezahlt wird. Es wird nur anders verteilt. So entfallen die überproportionalen Abzüge bei Weihnachts- und Urlaubsgeld (oder gar einer ganzen Gehaltssonderzahlung einmal im Jahr). Zwar lässt sich das im Rahmen des Lohnsteuerjahresausgleichs wieder zurückholen, aber mit Verzögerung, und dies muss eben gemacht werden und bedeutet Aufwand. Zudem entfällt das Thema der anteiligen Ansprüche auf das 13. Gehalt bei unterjährigem Ausscheiden (oder auch Eintritt).
Leistungsprämien obendrauf
Zusätzlich möglich sind leistungsabhängige Prämien, hier ist jeder Inhaber frei. Ob man dem auch einen tariflichen Rahmen geben sollte, sei an dieser Stelle offen gelassen. Tatsächlich sind die Kriterien derart vielfältig, dass man dies besser jedem Betrieb überlässt. Im Zuge der Tarifreform bietet es sich weiterhin an, 36 Tage Urlaub (entspricht vollen 6 Wochen bei einer 6-Tage-Woche) vergleichbar der Industrie aufzunehmen. Diese Tage sind zudem einfach unterjährig umzurechnen – es gibt 3 Tage pro Beschäftigungsmonat.
„Haustarife“ einführen?
Insbesondere für größere Apotheken bzw. -verbünden ist es heute schon eine Überlegung wert, eine Art „Haustarif“ bzw. offen kommunizierte Gehaltsbänder festzuschreiben, nicht zuletzt, um die Übersicht und eine gewisse Gerechtigkeit sicherzustellen. Schnell entgleitet einem nämlich sonst ein Gehaltsgefüge, was bisweilen unschöne Folgen auf die Stimmung im Team haben kann. Man lese einmal in Portalen wie Kununu, was die Mitarbeiter am meisten in ihren Betrieben (ganz unabhängig von der speziellen Apothekensituation) nervt. Gehaltsungleichheiten (und seien es vermeintliche) sowie Probleme mit Vorgesetzten stehen stets ganz oben. Ein ebenfalls häufig geschildertes Ärgernis: Neue Mitarbeiter werden zu deutlich besseren Konditionen – dem Fachkräftemangel geschuldet – eingestellt, während die Gehälter der Alteingesessenen quasi eingefroren sind.
Wer soll das nur bezahlen?
Manch einer mag sich nun beim Blick auf die Beträge die Haare raufen: Wie soll ich das nur bezahlen? Schaut man näher hin, sind die Differenzen zu den heute tatsächlich bezahlten Löhnen in den unteren Qualifikationsstufen (QVS 1) gar nicht so dramatisch. Bei den Approbierten liegen die Gehälter rund 16 % bis 22 % über dem (noch seit Anfang 2023 gültigen) Tarif, bei den PTA 24 % bis 27 %, bei den PKA 20 % bis 29 %. Bei den PTA und PKA ist die derzeitige Tariflücke besonders eklatant.
Die „Karrierestufen“ (QVS 2 und 3) sind nochmals deutliche Verbesserungen, und das ist ja das Ziel. Es obliegt den Inhabern, Teammitglieder entsprechend zu befördern. In vielen kleineren Apotheken wird z. B. die Stufe QVS 3, vorgesehen für herausgehobene Leitungsfunktionen wie die Leitung einer (größeren) Filiale, gar nicht erreicht werden können.
Leistungskomponenten sind in dieser neuen Struktur das Sahnehäubchen obenauf, welche tatsächlich nur den (Ertrags-)Kuchen weiter aufschneiden, der vorher durch herausragende Leistung „gebacken“ wurde. Die praktische Erfahrung zeigt, dass deren Anteil nicht allzu hoch werden wird, denn die Generation heutiger Arbeitnehmer bevorzugt das sichere Einkommen.
Fazit
Es handelt sich hier ausdrücklich um einen Denkanstoß, der einer Detailerörterung und eines weiteren „Feinschliffs“ bedarf. Unstrittig ist, dass etwas geschehen muss, um die Attraktivität des Arbeitsplatzes Apotheke zu erhalten bzw. wiederzuerlangen. Es sei denn, man schenkt den jüngsten, rabenschwarzen ABDA-Drohungen („14.000 oder gar nur 10.000 Apotheken in drei Jahren“) Glauben, welche dem Personalthema nochmals eine ganz andere Wendung geben würden.
Die grobe Tendenz dürfte unabhängig davon dahin gehen, künftig mit weniger Personal für die klassischen operativen Tätigkeiten auszukommen. Eine weiter fortschreitende Automatisierung und irgendwann einmal eine „Digitalisierungs-Dividende“ (die nach Anlaufschwierigkeiten zu erwarten ist) lassen dies wahrscheinlich erscheinen. Dafür werden hoffentlich höher wertschöpfende, qualifiziertere Tätigkeiten mit einer auch volkswirtschaftlich besseren Aufwands-Nutzen-Relation an Bedeutung gewinnen. „Weniger“ ist dann tatsächlich mehr, dies aber top qualifiziert, fair entlohnt und durch Technik bestmöglich unterstützt. „Ready for Wertschöpfung“ als Zukunftsmotto!
Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(11):14-14