Zweite Chance für deutsche Apotheker

Finales Rückspiel in Luxemburg


Dr. Bettina Mecking

Mit fragwürdigen Anreizen und Boni suchen immer mehr „Goldgräber“ ihr Glück im milliardenschweren deutschen Rx-Arzneimittelmarkt. Bevor diese vom BGH letztinstanzlich in ihre wettbewerbsrechtlichen Schranken gewiesen werden können, muss jedoch erst (am 27. Juni) der EuGH ran: Der hatte mit seinem umstrittenen Urteil von 2016 die Büchse der Pandora überhaupt erst geöffnet.

Selbst die besten Rechtsnormen nützen wenig, wenn sie nicht konsequent durchgesetzt werden. Das gilt insbesondere für die Apothekenbranche, die gerade stark unter Druck steht, weil im Zuge der E-Rezept-Einführung eine wachsende Zahl von Drittanbietern ihre Chance sieht, den schnellen Euro zu verdienen. Das allerdings häufig mit fragwürdigen, nicht rechtskonformen Mitteln und Angeboten. Umso wichtiger ist es, dass die Gerichte wettbewerbsrechtliche Pflöcke einschlagen, um diesen Wildwuchs wirksam einzudämmen.

Ein aktuelles Beispiel ist die rechtswidrige Werbung gegenüber Endverbrauchern für telemedizinische Behandlungen mit dem Ziel einer Verschreibung von medizinischem Cannabis (vgl. AWA 9/2024, S. 14 f.). Gemäß § 23 Abs. 1 Gesetz zur Versorgung mit Cannabis zu medizinischen und medizinisch-wissenschaftlichen Zwecken (MedCanG) macht sich derjenige, der sich mittels falscher Angaben Zugang zu medizinischem Cannabis verschafft, strafbar.

Insoweit wird man den Plattformen, wenn die Unrechtmäßigkeit des Angebots festgestellt ist, eine Beihilfe hierzu attestieren können.

Spiel mit dem Feuer

Es stellt sich aber genauso die Frage, ob nicht eine Apotheke ebenfalls eine solche Beihilfe leistet, denn ohne die Bereitschaft, über solche Plattformen ausgestellte Verschreibungen zu beliefern, gäbe es das Geschäftsmodell nicht. Insofern könnte sich hier durchaus ein persönliches Risiko für den Apothekenleiter ergeben.

Dass man den ausländischen Versendern in Zeiten von E-Rezept und Cardlink auch weiterhin über eine Ausnahme vom Rx-Boni-Verbot eine goldene Brücke zum deutschen Arzneimittelmarkt bauen müsste, ist abwegig. Zumal es von Seiten des Bundesgesundheitsministeriums in den letzten Jahren ohnehin eine starke Brückenbau-Tätigkeit in Richtung Niederlande gegeben hat ...

Spätestens wenn die ersten Urteile in den gerade laufenden Verfahren gesprochen sind, sollte dies die Apothekerschaft argwöhnisch machen und zur Folge haben, dass man es sich genau überlegt, ob man solche Verschreibungen weiter beliefert. Wer ausschert und so tut, als wüsste er von nichts, holt sich die Staatsanwaltschaft ins Haus.

Teilnehmer haften wettbewerbsrechtlich mit

Ein weiteres Beispiel ist die Klage der Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) gegen die zum DocMorris-Konzern gehörende Telemedizin-Plattform Teleclinic, bei der das Landgericht München erst kürzlich (am 23. Mai) ein wichtiges Urteil gefällt hat (Az.: 1 HK O 10032/22).

Der bemerkenswerteste Punkt des Urteils betrifft das Zusammenwirken von DocMorris und Teleclinic. Immer wieder stellt sich in einer solchen Konstellation die Frage, ob hier nicht einerseits Verschreibungen zugewiesen und/oder andererseits Patienten zugeführt werden.

Mit ihrem Urteil untersagten die Richter dem Unternehmen, sich von DocMorris Patienten zuführen zu lassen. Teleclinic leiste im konkret gerügten Fall Beihilfe zu einem Verstoß des Arzneimittelversenders gegen das in § 11 Apothekengesetz verankerte Zuführungsverbot. Im Übrigen umfasst die Norm auch Apotheken in anderen EU-Mitgliedstaaten, sodass der Sitz in den Niederlanden kein Hindernis ist.

Weiters stellte das Gericht fest, dass die Verlinkung von der DocMorris-Website auf die Seiten von Teleclinic eine dauerhaft von DocMorris begünstigende Handlung zu Gunsten der Ärzte der Beklagten darstelle – und nicht bloß ein gelegentlicher Vorgang sei. Spätestens mit der Abmahnung habe Teleclinic davon gewusst und akzeptiert, dass dieser Link fortbesteht. Damit habe man sein Einverständnis gezeigt. Das ist insofern wegweisend für zukünftige Verfahren, weil man damit denjenigen beikommen kann, die sich ahnungslos geben!

Ein berechtigtes Interesse für diese Absprache konnte der Versender nicht anführen. Im Gegenteil ging es bei der Verlinkung offensichtlich nur um wirtschaftliche Erwägungen innerhalb des Konzerns, und nicht um fachlich-medizinische Gesichtspunkte. Weil das Urteil des Landgerichts München über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass Teleclinic in die Berufung geht.

It ain‘t over till it‘s over

Der milliardenschwere deutsche Gesundheitsmarkt lockt immer mehr Goldgräber an, die sich ihren Teil vom Kuchen einverleiben wollen – häufig jedoch mit unlauteren Mitteln. Zwar gibt es zahlreiche Entscheidungen der Instanzgerichte. Bis es jedoch zu einer rechtskräftigen Verurteilung in letzter Instanz kommt, vergehen oft Jahre der Rechtsunsicherheit. Das führt nicht selten zu Unverständnis und Resignation.

Besonders gravierend sind Verstöße gegen die Preisbindung und das Boniverbot bei der Abgabe von Rx-Arzneimitteln. Hier locken die niederländischen Versandapotheken deutsche Verbraucher vielfach mit unzulässigen Boni – und das mit Erfolg. Besondere Aufregung hat unlängst die Werbeaktion eines Internetversandhändlers hervorgerufen, bei der anlässlich der Neueinführung des Cardlink-Verfahrens 10 € gutgeschrieben werden – und zwar explizit auf die Zuzahlung bei der Einlösung eines E-Rezepts über die App. Hier geht es um den Verdacht unlauterer Werbung durch den Verzicht auf die gesetzliche Zuzahlung beim Einlösen von Kassenrezepten.

Bestärkt durch das vor kurzem ergangene Urteil des Oberlandesgerichts München zur Rx-Preisbindung für EU-Versender (Az.: 6 U 1509/14) haben verschiedene Player aus dem deutschen Apothekenmarkt angekündigt, gegen diese nach Ihrer Auffassung rechtswidrigen Werbemaßnahmen gerichtlich vorzugehen.

Allerdings wird derzeit wohl jedes Gericht eine Entscheidung bis zum Abschluss des Verfahrens DocMorris gegen AKNR beim Bundesgerichtshof aussetzen. Der BGH hatte den Streit um solche Werbemaßnahmen im letzten Sommer dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Erst wenn der EuGH seine Entscheidung getroffen hat, besteht Hoffnung, den „Wildwest-Methoden“ der ausländischen Konkurrenz nach dem Motto „Es gibt zwar ein gerichtliches Rx-Boni-Verbot, das interessiert uns aber nicht“ endlich einen Riegel vorzuschieben.

Der Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem EuGH in Luxemburg wurde kurzfristig auf den 27. Juni 2024 (9.30 Uhr) festgesetzt. Es wurden entsprechende Fragen übermittelt, die in der mündlichen Verhandlung erörtert werden sollen. Entscheiden wird die 5. Kammer des EuGH. Die mündliche Verhandlung ist öffentlich – beschränkt sind nur die Plätze im Zuschauerraum.

Zum Generalanwalt wurde erneut (wie in dem Verfahren C-148/15 – Deutsche Parkinson Vereinigung) Maciej Szpunar bestimmt. Das Urteil des EuGH vom 19. Oktober 2016 in dieser Sache war bekanntermaßen verheerend: Deutsche Apotheken sollen danach weiterhin an die festen Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel gebunden sein, während EU-Versandapotheken wie DocMorris ihren Kunden Rx-Boni gewähren dürfen.

Doch dieses Urteil des EuGH ist mitnichten in Stein gemeißelt. Vielmehr weckt eine neuere Entscheidung des EuGH Hoffnung, dass juristisch noch nicht das letzte Wort gesprochen ist: So haben die Luxemburger Richter im Dezember 2022 eine wegweisende Entscheidung zur Wertreklame für Arzneimittel in Lettland getroffen.

Diese justiert die Vorgaben der einschlägigen EU-Richtlinie 2001/83 (Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel) neu und führt zu Verschärfungen bei der Wertreklame für Arzneimittel (EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2022 – C 530/20).

Nach diesem Urteil bleibt von der zunehmend isolierten, folgenschweren Entscheidung vom Oktober 2016 nicht mehr viel übrig: Diese hatte im einheitlichen Apothekenverkaufspreis preisgebundener Arzneimittel beim grenzüberschreitenden Arzneimittelverkehr einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit EU-ausländischer Versandapotheken nach Art. 34 AEUV gesehen.

Insofern darf man vorsichtig optimistisch sein, dass sich dieser neue „Spirit“ in Luxemburg auch bei der Beurteilung der Situation in Deutschland durchsetzen wird. Es gilt, die deutschen Vor-Ort-Apotheken zu schützen, die sich durch die ungleichen Spielräume der ausländischen Versender zurecht diskriminiert fühlen.

Über allem steht das Ziel der Aufrechterhaltung einer gesicherten flächendeckenden Arzneimittelversorgung der deutschen Bevölkerung unter fairen Wettbewerbsbedingungen für alle Akteure.

 

Dr. Bettina Mecking, M. M., Fachanwältin für Medizinrecht, Justiziarin und Geschäftsführerin der Apothekerkammer Nordrhein, 40213 Düsseldorf, E-Mail: E-Mail: b.mecking@aknr.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(12):14-14