Worst Cases, „schwarze Schwäne“ und „weiße Elefanten“

Das (vermeintlich) Unmögliche vorausdenken


Prof. Dr. Reinhard Herzog

„Wenn es etwas schief gehen kann, dann geht es auch schief“ – so lautet Murphys Gesetz. Der Komiker Otto Waalkes gab zum Besten: „Und aus dem Chaos sprach eine Stimme zu mir: Lächle und sei froh, es könnte schlimmer kommen! Und ich lachte und war froh – denn es kam schlimmer.“ Weiterhin ist seit dem Buch von Nassim N. Taleb „Der schwarze Schwan“ diese Spezies in das allgemeine Bewusstsein gerückt – als Synonym für äußerst folgenreiche Ereignisse, die offenkundig kaum jemand „auf dem Schirm“ hatte, und die deshalb umso stärker treffen.

Die aktuelle Apothekenlage könnte man beinahe als toxische Mixtur aus alldem sehen, wobei insbesondere der Dritte im Bunde, der schwarze Schwan, noch ganz anderes auf Lager haben könnte, wenn er denn überhaupt so schwarz und unsichtbar ist. Von diesem „Unmöglichen“ oder „Undenkbaren“ soll hier die Rede sein. Allzu schnell verliert man über die Verstrickungen und Probleme des täglichen (Berufs-)Alltags das große Ganze aus den Augen. Die Erfahrung zeigt nämlich: „Gefahr erkannt – Gefahr gebannt“. Hat man sich erst einmal aus den eigenen Denkblockaden befreit, gelingt es auch, mit solchen Szenarien rational umzugehen und einen Plan B oder gar C zu entwickeln.

Fangen wir mit Großereignissen an, die eher „weiße Elefanten“ denn „schwarze Schwäne“ sind. Weit oben steht das Risiko einer nicht mehr kontrollierbaren Ausweitung des fürchterlichen Ukraine-Krieges. Nach zweieinhalb Jahren irrsinniger Barbarei stehen wir dem Geschehen immer noch erstaunlich unbeholfen gegenüber, ohne erkennbare strategische Weitsicht und ohne realistisch-konkrete Zielvorstellungen, trotz meilenweiter Überlegenheit des Westens in allen relevanten Dimensionen. Doch würden Sie einen „heißen Krieg“ hier aushalten wollen, oder wie sähe eine Alternative „far away from Europe“ aus?

Eine viel tödlichere Pandemie (heißer Kandidat: H5N1, schon lange keine „Vogelgrippe“ mehr), im Moment kurios erscheinende Natur-Großereignisse wie die gigantische Eruption eines Supervulkans (um Neapel brodelt es gerade kräftig), oder „nur“ eine weitere Finanzkrise (2008 reloaded mit nochmals weit höherem Einsatz im Finanzroulette) haben das Potenzial, alles auf den Kopf zu stellen und unsere schon angeknackste Gesellschaftsarchitektur kollabieren zu lassen. Stay or leave?

Zu guter Letzt könnte die Erkenntnis reifen, dass auch ohne solche dramatischen Einzelereignisse eine grundlegende Erosion der wirtschaftlich-gesellschaftlichen Grundlagen stattfindet – und die persönliche Lebensuhr so weit vorangeschritten ist, dass man eine lange Talfahrt mit einer erst irgendwann wieder möglichen Erholung nicht mehr mitgehen mag. Ist absehbar der Wertverlust aller Assets höher als mit Gewinnen noch gegengehalten werden kann, greift die Story vom toten Pferd mitsamt Stop loss-Strategien. Und dann bleiben die individuellen Risiken und Ereignisketten: eine persönliche Lebenskrise, oder eine Krankheit, welche die Perspektiven und Zeitachsen verschiebt. Muss und will man das hier durchstehen?

Da stellt sich die Frage nach einer Alternative weit weg vom Geschehen, nach einem sicheren Flucht- und Rückzugsort. Sich eine solche Alternative zu schaffen, erfordert viel kluge Vorarbeit, von der Vermögensplanung und -aufteilung bis hin zur Herausforderung, sich aus allerlei Verpflichtungen im Bedarfsfall schnell befreien zu können, Übergaben rasch regeln zu können, und Rückkehroptionen zu durchdenken. Oder Sie gehen erst gar nicht mehr solche Verpflichtungen ein, die Sie kaum lösbar an einen Ort ketten. Wo wäre dann der geeignete Zufluchtsort, den Sie kennen, wo Sie mit den Sitten, Gebräuchen und den rechtlichen Fragen (u. a. Einwanderungsmodalitäten temporär oder auf Dauer) vertraut sind, und wo Sie schnell unterkommen könnten, weil Sie bereits eine Immobilie vor Ort haben?

Long story short: Der Kluge hat immer Alternativen und erarbeitet sie sich frühzeitig, bis hin zu einem völlig neuen Drehbuch: Andere Location, andere Darsteller, anderes Setting, aber stets unter eigener Regie. Das in der Hinterhand zu haben, beruhigt ungemein und lässt Sie besser schlafen, erst recht, wenn Sie das niemals brauchen, sondern Ihre potenzielle Zuflucht lediglich ein Urlaubsort bleibt.

 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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