Update zum Apothekenreformgesetz und der AKNR-Klage gegen DocMorris

Generalangriff auf die Säulen des Apothekenwesens


Dr. Bettina Mecking, M. M.

Während der vor Ignoranz strotzende Referentenentwurf zum Apothekenreformgesetz (ApoRG) hierzulande für Empörung sorgt, steht beim EuGH gerade eine der Säulen der deutschen Arzneimittelversorgung – die Gleichpreisigkeit von Rx-Präparaten – auf dem Prüfstand. Es geht um sehr viel – nicht nur, aber auch für die gegen DocMorris klagende Apothekerkammer Nordrhein.

Der gravierendste Punkt in dem Referentenentwurf ist der nicht hinnehmbare Systembruch hinsichtlich der „Apotheke ohne Apotheker“, der im Falle einer Umsetzung die bisher qualitativ hochwertige und flächendeckende Arzneimittelversorgung hierzulande de facto demontieren würde.

Das kommt alles nicht unerwartet. Schon vor fünf Jahren war – analog zu den „Medikamenten-Abgabestellen ohne Apotheker“ – von sog. „Ohne-Arzt-Praxen“ die Rede (DAZ online, 05.11.2019 – https://tinyurl.com/
3x68jyrf) Es lässt aufhorchen, wenn schon vor der Pandemie ein „ländliches Fernbehandlungs- und Diagnostikzentrum“ beschrieben wird (https://tinyurl.com/ywnaeukv).

Auch hört man von Telemedizin gegen Ärztemangel“: Was wie Science-Fiction klingt, ist jetzt schon Realität und soll Teil der zukünftigen Medizin auf dem Land sein (SWR, 13.06.2024 – https://tinyurl.com/bddrrmza).

Sollen Gesundheits-Tankstellen trockengelegt werden?

Was sagen die Ärzte dazu? Ist ihnen das recht? Möglicherweise bietet sich hier ein Schulterschluss mit der Ärzteschaft an, um gemeinsam für die Beibehaltung einer angemessenen Professionalität der beiden Heilberufe einzustehen. Und auch den Patientenverbänden dürfte es nicht egal sein, ob multimorbide Verbraucher bei einer Bronchitis ihr Antibiotikum von einem Apotheker, PTA, per Drohne oder aus dem Abgabeautomaten erhalten.

Mancherorts heißt es, dass die Rolle der „Apotheke als unverzichtbare hybride Tankstelle der Gesundheit“ neu gedacht werden müsse. Dabei sollte die Notwendigkeit von Apotheken „in Pantoffel-Nähe“ als Herzensangelegenheit bei den Patienten verankert werden.

Showdown in Luxemburg auf Herbst vertagt

Die Gleichpreisigkeit von Rx-Präparaten ist eine wesentliche Säule unserer Arzneimittelversorgung und hat in der Praxis viele Gesichter. Über einige zentrale Aspekte wurde am 27. Juni 2024 vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Vorabentscheidungsverfahren C-517/23 Apothekerkammer Nordrhein gegen DocMorris diskutiert. Dabei ging es um plakative Boni-Werbung des Versenders, die nach Ansicht der AKNR riskante (Fehl-)Anreize für Verbraucher setzt – insbesondere im Rx-Bereich.

Der EuGH hat in seiner neueren Rechtsprechung eine strikte Linie zur Auslegung von Werbevorschriften im Arzneimittelrecht eingeschlagen, die es fortzuführen gilt. Der deutsche Gesetzgeber hatte schon 2004 mit der Zulassung des Versandhandels und fairen Marktbedingungen für EU-Versandapotheken – vor allem in Zeiten des E-Rezepts – einen sehr liberalen Rahmen geschaffen. Das erwies sich zuletzt jedoch als Einfallstor für eine unsachliche Beeinflussung der Patienten. Daher ist es jetzt dringend geboten, Auswüchse wie Rabatt- und Gutscheinwerbung deutlich einzuschränken. Die schlimmen Folgen eines unkontrollierten Wettbewerbs im Rx-Segment konnte man u. a. in den USA anlässlich der Opioid-Krise beobachten.

Die Gesundheitswelt dreht sich in Zeiten von KI& Co. immer schneller – Heilberufler können hier unverzichtbare Leitplanken bilden und sollten diese Chance nicht durch eine Komplettblockade gefährden. Wird das Modell der inhabergeführten Apotheken jedoch substanziell geschwächt und die Arzneimittel-Distribution (kurzfristig) anderweitig sichergestellt, dann lässt sich dieses Rad nicht mehr zurückdrehen!

Die EU-Versandapotheken fühlen sich in Deutschland immer noch diskriminiert und kämen im Rx-Segment deshalb nicht über einen Marktanteil von 1 % hinaus. Der Gesetzgeber finde immer neue Varianten, die EuGH-Rechtsprechung zu umgehen, monieren die Versender, etwa mit den über das VOASG neugeschaffenen Boni-Verbotsregeln im SGB V. Mit den Werbemaßnahmen sei weder ein Anreiz für unrechtmäßige Verschreibungen verbunden, noch führten sie zu einem Mehr- oder Fehlgebrauch. Kunden könnten ihre Boni genauso gut für Produkte des Randsortiments wie für Arzneimittel einsetzen. Schließlich seien die behaupteten Gefahren nicht mit Tatsachen belegt. Als mildere Mittel für komplette Verbote kämen z. B. richterrechtliche Höchstgrenzen für Rabatte in Betracht.

Für den Vertreter der EU-Kommission war die Kernfrage des Verfahrens die Abgrenzung arzneimittel- und apothekenbezogener Werbung: Nur wenn ein (auch abstrakter) Arzneimittelbezug vorliege, gelte das totale Werbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Als zentraler Punkt wurde vor dem EuGH diskutiert, ob Ärzte sich von Patienten zur Ausstellung von Verschreibungen drängen lassen könnten. Immerhin seien sie an ihr Berufsrecht gebunden. Der Vertreter der Kommission war der Ansicht, dass das zwar denkbar, die Gefahr aber eher gering sei.

Tatsächlich stehen Ärzte heute vielfach unter extremen Druck und folgen durchaus Patientenwünschen, um Diskussionen mit ihnen zu vermeiden; außerdem gibt es im Bereich der Telemedizin durchaus missbrauchsanfällige Angebote wie reine Fragebogen-Verschreibungen.

Es geht um Leistungs-, nicht um Preiswettbewerb

Ein aktuelles Beispiel aus der Praxis, das eindrucksvoll belegt, wie die Off-Label-Verschreibung von Arzneimitteln auf Drängen von Patienten zu massiven Lieferengpässen führt, ist die Knappheit von GLP-1-Rezeptor-Agonisten. Dazu hat die European Medicines Agency (EMA) am 26. Juni 2024 mitgeteilt:

„Die MSSG (Lenkungsgruppe für Arzneimittelknappheit) ist besorgt über den übermäßigen Off-Label-Einsatz einiger GLP-1-Rezeptor-Agonisten, der die Verfügbarkeit dieser Arzneimittel für ihre zugelassenen Anwendungen gefährdet, was schwerwiegende Folgen für die Patienten hat. Die MSSG empfiehlt daher, dass Angehörige der Gesundheitsberufe diese Arzneimittel nur entsprechend ihrer zugelassenen Verwendungen unter Berücksichtigung der nationalen Leitlinien verschreiben.“

Dies bedeutet: Die EMA erkennt an, dass ein durch äußere Umstände beim Patienten hervorgerufener Wunsch nach der Verschreibung eines bestimmten Arzneimittels Ärzte dazu veranlasst, dieses Arzneimittel auch außerhalb ihrer eigentlichen medizinischen Fachrichtung zu verschreiben.

Die Möglichkeit der Einflussnahme des Patienten auf Ärzte ist somit von der EMA als Ursache für Lieferengpässe anerkannt worden. Dies bestätigt die Position der AKNR, wonach es vielfältige Risiken gibt, dass der Patient aus persönlichen Gründen Einfluss auf das Verschreibungsverhalten des Arztes nimmt.

Deshalb sollte nach Auffassung der AKNR alles unterbunden werden, was die Patienten motivieren könnte, auf das Verschreibungsverhalten Einfluss zu nehmen: Ob sie dabei Aussagen von Influencern folgen, oder sich durch die Verschreibung einen wirtschaftlichen Vorteil (z. B. in Form von Gutscheinen) versprechen, ist von sekundärer Bedeutung.

Schließlich können solche Verhaltensweisen, wie bereits ausgeführt, nicht nur zu höheren Kosten für die Versichertengemeinschaft führen, sondern sogar zur Verknappung von Arzneimitteln.

Dem halten die Versender entgegen, der Arzt treffe stets die Auswahlentscheidung, der Patient entscheide nur über die einlösende Apotheke. Versandapotheken seien hier entscheidend auf wirksame Preiswerbung angewiesen.

Hier wird der Begriff „Preiswettbewerb“ damit verwechselt, Patienten Anreize zum Arzneimittelkauf zu geben. Allgemeine Apothekenwerbung ist in Deutschland weitestgehend erlaubt. So könnten Versandapotheken doch z. B. damit werben, bei einer Bestellung bis 18 Uhr eine Lieferung am nächsten Tag zuzusagen, oder auf ein großes vorrätiges Arzneimittelsortiment hinzuweisen, was gerade bei Lieferengpässen ein Vorteil sein könne. Um es auf den Punkt zu bringen: Es geht im deutschen Solidarsystem eben um Leistungs-, nicht um Preiswettbewerb. Die Schlussanträge des Generalanwalts wurden für den 17. Oktober 2024 angekündigt.

Dringender Korrekturbedarf

Problematisch ist im Kontext der Gleichpreisigkeit auch der grenzüberschreitende Handel mit Rx-Medikamenten. So hatte das OLG Düsseldorf schon vor fünf Jahren entschieden, dass die deutschen Regelungen nicht greifen, wenn die Arzneimittel ins Ausland veräußert werden, selbst wenn klar ist, dass sie zu Lasten der GKV abgegeben werden (Urteil vom 16.05.2019, Az.: I-20 U 126/18):

Hier sollte von Seiten der Luxemburger Richter unbedingt nachgeschärft werden, sodass die Regeln auch dann gelten, wenn Rx-Arzneimittel ins Ausland zum Vertrieb im Inland abgegeben werden. Anderenfalls werden auch deutsche Apotheken diesen Weg wählen. Das werden aber nur die großen Apotheken sein, wodurch dann die mittleren und kleinen Apotheken einmal mehr die Verlierer sein werden.

 

Dr. Bettina Mecking, M. M., Fachanwältin für Medizinrecht, Justiziarin und Geschäftsführerin der Apothekerkammer Nordrhein, 40213 Düsseldorf, E-Mail: b.mecking@aknr.de

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Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(14):14-14