Zytostatikaherstellung in der Apotheke

Ein sagenumrankter Markt mit Zukunftssorgen


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Zytostatika-herstellende Apotheken galten lange als eine kleine, exklusive und verschwiegene Gruppe mit exzellenten Einkommensmöglichkeiten. Doch der insgesamt zwar wachsende und gerade für forschende Pharmahersteller hochattraktive Markt ist im Umbruch.

Zytostatikaherstellung in der Apotheke: Hochattraktiver Markt im Umbruch 
(Bild: AdobeStock_freshidea)

Seit Jahren kursiert die Zahl von etwa 250 Apotheken (abseits der Krankenhausapotheken), welche in der Parenteralia-Versorgung tätig seien. Es dürften aber weniger sein, welche regelmäßig nennenswerte Stückzahlen herstellen – eher um oder etwas unter 200 Betriebe.

Die Versorgungslandschaft

Die ambulante Zytostatika-Versorgung mit individuell produzierten Sterillösungen erfolgt durch niedergelassene spezialisierte Offizin-Apotheken, die reine Herstellung teils auch in Krankenhausapotheken sowie in einigen Herstellbetrieben als Dienstleister. In der ambulant-vertragsärztlichen Versorgung sind momentan etwa 1.320 Onkologen tätig (sowie weitere in den Kliniken), die sich alle um die 1,6 Millionen Krebskranken (mit Diagnose innerhalb der letzten fünf Jahre) kümmern.

Medizinische Versorgungszentren in unterschiedlicher Trägerschaft, oft Kliniken, machen den Überblick noch einmal schwieriger und sorgen gerade unter künftigen Aspekten für deutliche Veränderungen in der Versorgungslandschaft. Grundsätzlich besteht in dem hochdynamischen Feld der Onkologie eine Tendenz zur Zentralisierung an hochspezialisierte Behandlungseinrichtungen, und die aktuelle Krankenhausreform wird dies weiter verstärken. Es ist allerdings ebenfalls gut belegt, dass gerade in einem solch komplexen Therapiefeld die Ergebnisse bei harten Parametern wie Überlebenszeiten oder Rezidivquoten dort signifikant besser ausfallen.

Der Markt

Der GKV-Markt der Parenteralia (das Allermeiste sind Onkologika) umfasste im letzten Jahr 5.744 Mio. € zu Brutto-Rezeptwerten bei 3,699 Millionen Verordnungen (Quelle: GKV-Arzneimittel-Schnellinformation für Deutschland [GAmSi], Bundesbericht für 2023). Die Umsatzaufteilung zeigt Abbildung 1; bestechend ist der enorme Umsatzanteil (80 %) an teuren, empfindlichen und oftmals hochgradig verfallsgefährdeten Antikörpern.

Abb. 1: Der ambulante Markt der Parenteralia in der GKV 2023

Die Liste der teuersten verarbeiteten Wirkstoffe wird komplett von den „…mab“ dominiert, erst auf Position 14 erscheint Paclitaxel. Nach Menge sieht es etwas anders aus: Da beträgt der Antikörper-Anteil 38 % oder 1,325 Mio. Verordnungen gegenüber 56 % bzw. 1,971 Mio. Verordnungen für die „Klassiker“, den Rest zu 100 % machen die Folinate aus. Zusammen mit dem Privatmarkt reden wir über ein Volumen von etwa 5.500 Mio. € netto nach Mehrwertsteuer, die sich auf die erwähnten knapp 200 niedergelassenen Apotheken aufteilen – darunter auch lediglich dort abgerechnete bzw. auf Lohnhersteller ausgelagerte Rezepturen.

Der Markt ist umkämpft und von starken Konzentrationstendenzen geprägt. Firmen wie Zyto-Service (gehört zum Gesundheitsfirmenverbund Altana Health Group) an drei Standorten (Hamburg, Leipzig, München) mit einem Umsatz von über 500 Mio. € bei Rezepturzahlen im hoch sechsstelligen Bereich pro Jahr setzen ihre Ausrufezeichen. Gerade in den Metropolregionen gibt es zudem regelhaft „Local Heroes“, die an der Marke dreistelliger Millionenumsätze kratzen. Zwei bis drei Dutzend Anbieter dürften sich geschätzt rund die Hälfte des Marktes teilen.

Der Anteil der Arbeitspreise (zurzeit 100 € netto) ist mit durchschnittlich 7,5 % am Umsatz für den Außenstehenden überraschend gering, bei den teuren Antikörpern sind es sogar nur gut 3 % (Tabelle 1). Diese Relationen illustrieren die große Bedeutung des Einkaufs als Stellhebel für die Rendite – und die Bestrebungen der Kostenträger, diese Vorteile bestmöglich abzuschöpfen, was der GKV immer stärker gelingt, während Privatverordnungen für die Apotheken (noch) rentabler sein können.

Unter dem Strich verlagert sich die Wertschöpfung aber aus der Apotheke weg, bei steigenden Kosten und Qualitätsanforderungen. Es verwundert daher nicht, dass die Zytostatika herstellenden Apotheken ein deutlich höheres Herstellhonorar von rund 150 € netto fordern. Zusatzkosten für die gesetzlichen Kassen: etwa 210 Mio. € brutto, die aber auf der Einkaufsseite durch konsequente Verhandlungen mit den Wirkstoffherstellern wohl wieder eingespielt werden könnten.

Fakt ist auch, dass die (Nicht-)Rentabilität der Parenteralia-Herstellung von der Zahl und Art der hergestellten Rezepturen abhängt. Der „Zyto-Markt“ befindet sich im kräftigen Wandel, erst recht, wenn man die langfristigen Entwicklungen betrachtet – siehe den obigen Exkurs.

Exkurs: Die globale Onkologika-Landschaft

Global traut man den Zytostatika von 2024 bis 2028 ein Wachstum von 14 % bis 17 % pro Jahr zu – bei einem allgemeinen Pharmawachstum um 5 % bis 8 % nach Umsatz und nur gut 2 % nach Tagesdosen (Quelle: IQVIA – Global Use of Medicines 2024; Outlook to 2028, vom Januar 2024). Onkologika rangieren schon heute mit weitem Abstand an der Spitze und könnten in 2028 weltweit 440 Milliarden US-$ umsetzen – mehr als doppelt so viel wie die nächste Gruppe der Immuntherapeutika. Um 100 neue Wirkstoffe könnten bis dahin auf den Markt kommen. Rund 40 % nach Tagesdosen sind in Westeuropa bereits „Target Therapies“; mit diesem Anteil liegen wir weltweit an der Spitze. Neue Entwicklungen, die nicht mehr klassisch „gemischt“ werden müssen, zeichnen sich ab:

  • Zelltherapien wie CAR-T-Zell-Verfahren; weltweit dürften insgesamt rund 45.000 Patienten bis Mitte 2024 derart behandelt worden sein. Prognosen sehen Verdoppelungszeiträume von rund 2 Jahren, momentan werden global rund 7 Mrd. US-$ damit umgesetzt. Die (regelhaft einmaligen) Pro-Kopf-Kosten liegen hierzulande meist im Bereich einiger hunderttausend Euro.
  • Gentherapien hinken noch hinterher (weltweiter Umsatz gut 2 Mrd. US-$), dürften aber nun richtig Fahrt aufnehmen – bei allerdings nach wie vor sehr niedrigen Patientenzahlen zu Pro-Kopf-Kosten teils im Millionenbereich.
  • Die vielbeschworenen RNA-Therapien in der Onkologie stehen in Wartestellung (wirkliche Durchbrüche mit Fragezeichen), ähnlich wie andere innovative Ansätze der personalisierten bzw. stratifizierten Vakzinierung. Prognosen sind schwierig, es handelt sich um ein mittelfristiges Zukunftsthema.
  • Unverkennbar ist der Vormarsch oraler Therapien, was bei Small Molecules (wie den Tyrosinkinase-Inhibitoren oder Hormonen bzw. deren Antagonisten) auf der Hand liegt. Fertigspritzen dürften ebenfalls eine größere Rolle einnehmen. Der Trend, sich möglichst von den Infusionen zu lösen, liegt auf der Hand.
  • Ein (langfristiger) Gamechanger könnten genaue Krebstests werden. Früh entdeckten Krebszellen wird man dann perspektivisch mit anderen präzisionsmedizinischen Verfahren zu Leibe rücken als mit der klassischen Zytostatika-Infusion. Längerfristig dürfte das die „Onko-Zukunft“ entscheidend mitprägen.

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, 
E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(17):4-4