Dr. Hubert Ortner
Zytostatikaherstellung: Einen Link zu einem kurzen Film finden Sie unten!
(Bild: VZA)
Wie ist die Stimmungslage bei den VZA-Mitgliedern – drei Monate nach Veröffentlichung des Referentenentwurfs für das Apothekenreformgesetz?
Christiane König: Der vorgelegte Gesetzesentwurf hat die Stimmung bei allen Apothekern, nicht nur bei unseren Mitgliedern, verschlechtert. Wir haben als VZA zu dem Referentenentwurf ja schon Stellung bezogen: Die wertvolle pharmazeutische Arbeit in Apotheken – das gilt auch für die Reinraumherstellung in öffentlichen Apotheken – braucht dringend eine Honorarerhöhung. Zudem hätte die Absenkung der variablen Vergütung gravierende Folgen: Schon jetzt müssen Patienten oft mehrere Apotheken ansteuern, um hochpreisige Arzneimittel überhaupt zu bekommen. Welcher normale Kaufmann wäre schon bereit, bei derart dünnen Margen die Risiken einer Nullretaxation oder die notwendige Vorfinanzierung noch zu tragen?
Christiane König
KBV-Chef Andreas Gassen wirft dem Bundesgesundheitsminister vor, er würde die etablierten ambulanten Strukturen zugunsten einer „zentralisierten Staatsmedizin nach sozialistischem Vorbild“ schleifen. Schließen Sie sich dieser Kritik gleichermaßen für die dezentralen Strukturen der Zytostatika-herstellenden Apotheken an?
Christiane Müller: Das sehe ich für unsere Mitglieder nicht ganz so kritisch. Das BMG hat mehrfach betont, wie wichtig herstellende Apotheken für die Versorgung mit Zytostatika und parenteralen Arzneimitteln, z. B. für Palliativpatienten, in der Fläche sind. Im Fachgespräch im BMG letztes Jahr im November haben sich die Beteiligten auch ganz klar für den Erhalt der noch vorhandenen herstellenden öffentlichen Apotheken und eine Stärkung der Hilfstaxe ausgesprochen.
Christiane König: „Die Bedeutung von Palliativ-Zubereitungen für die ambulante Versorgung schwerstkranker Patienten im häuslichen Umfeld ist sehr hoch, rechnet sich aber nur, wenn man auch Zytostasen herstellt. Die Apotheken in Palliativ-Netzwerken sind nie Krankenhaus-, sondern immer öffentliche Apotheken.“
Warum muss die Versorgung der Bevölkerung mit Parenteralia zwingend wohnortnah erfolgen, wie das der VZA fordert? Wie häufig braucht es im onkologischen Praxisbetrieb tatsächlich Reaktionszeiten von weniger als 90 Minuten, wie gefordert?
Christiane König: Für diese schwerkranken Patienten ist es enorm wichtig, dass eine Chemotherapie wohnortnah erfolgt. Viele hämatoonkologische Erkrankungen können inzwischen als chronisch eingestuft werden, und die oftmals betagten Patienten werden über Jahre behandelt: Die wollen nicht jede Woche 100 Kilometer fahren, um ihre Chemotherapie zu bekommen. Sie brauchen ihre Kraft für etwas anderes.
Davon abgesehen stellt sich gerade auch zukünftig die Frage: Wie sinnvoll ist es, zunehmend empfindliche und teure Substanzen einmal quer durch die Republik fahren zu lassen?
Christiane Müller
Christiane Müller: Hinzu kommt der Faktor Flexibilität: Um Verwürfe und unnötige Patientenbesuche beim Onkologen zu vermeiden, wird ein erheblicher Anteil der teuren und empfindlichen Parenteralia adhoc zubereitet. Zudem sind die Herstellungsapotheken oft auch in der Palliativversorgung tätig und bieten eine große Flexibilität bei der Herstellung und Lieferung von Parenteralia. Zeigen Sie mir die Krankenhausapotheke oder den Herstellbetrieb, der am Freitagnachmittag noch eine Schmerzpumpe herstellt und innerhalb von 90 Minuten an den Palliativpatienten ausliefert.
Aber es ist doch empirisch belegt, dass der Behandlungserfolg bzw. die Überlebensrate bei Krebsbehandlungen in hochspezialisierten Zentren signifikant höher ausfällt als in kleineren dezentralen Einheiten.
Christiane König: Da gebe ich Ihnen absolut Recht, wenn es um Operationen und Bestrahlungen geht, die meist am Anfang einer Krebstherapie stehen. Diese sollten auf jeden Fall in spezialisierten Zentren erfolgen. Für die Chemotherapie, die sich in der Regel anschließt, trifft das aber nicht zu: Diese Expertise ist nicht ortsgebunden, und die Onkologen, Operateure und Radiologen sind über Tumorboards untereinander bestens vernetzt.
Insofern profitieren die Patienten von einer wohnortnahen Chemotherapie und sind zugleich medizinisch bestmöglich versorgt.
Christiane Müller: „Der Markt für Biosimilars ist noch fragiler als der für Generika, weil es weniger Anbieter gibt. Schon vor Einführung der Substitutionspflicht auf Apotheken-Ebene gab es Switch-Raten von mehr als 90 %.“
Kommen wir von der grundsätzlichen auf die operative Ebene. Warum sind die von der Schiedskommission vor knapp zwei Jahren festgesetzten 100 € als Arbeitspreis für parenterale Zubereitungen nicht auskömmlich?
Christiane König: Es gab schon den Versuch, unsere Tätigkeit mit der Stoppuhr in ein zeitliches Schema zu pressen – das funktioniert so aber nicht. Deshalb haben wir bei der REFA ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben, das eine Vollkostenkalkulation erstellt hat. Das Ergebnis war eindeutig: Mit einem Arbeitspreis von 100 € lässt sich ein Reinraumlabor nicht wirtschaftlich betreiben. Das reicht allenfalls, um die Kosten zu decken – dann fehlen aber noch die Kapitalkosten und Zinsen, das Geschäftsführergehalt und der Gewinn. Deshalb ist unsere Forderung nach einem Arbeitspreis von 150 € absolut gerechtfertigt!
Christiane Müller: 100 € sind definitiv nicht genug. Was in der Debatte gerne übersehen wird, sind der hohe technische Aufwand für den Betrieb eines Reinraum-Labors und das hochspezialisierte Personal, das vorgehalten werden muss. Wenn die Parenteralia-Herstellung durch den Arbeitspreis finanziert werden soll, muss der auch auskömmlich sein.
Lassen Sie uns doch konkret werden, eine Ertragsrechnung für die durchschnittliche herstellende Apotheke aufstellen und diese in Relation zur typischen Offizin-Apotheke setzen.
Christiane König: Ich tue mich mit einem solchen Vergleich schwer, da es wirklich der sprichwörtliche Vergleich von Äpfeln und Birnen ist. Aber bitte: Laut GAmSi-Bericht (GKV-Arzneimittel-Schnellinformation) gab es 2023 ca. 3,2 Mio. Zubereitungen im ambulanten Bereich. Wie das REFA-Gutachten gezeigt hat, gibt es im Herstellumfang bei den Apotheken große Spreizungen. Wenn man den reinen Durchschnitt berechnet, würde ich schätzen, dass eine herstellende Apotheke im Schnitt etwa 9.000 Zubereitungen p. a. macht. Das ergibt bei dem aktuellen Arbeitspreis von 100 € einen Rohertrag von 900.000 €.
Auf der anderen Seite hatten wir laut Zahlen der ABDA 2023 ca. 17.500 Offizin-Apotheken, die 1,388 Mrd. Arzneimittelpackungen abgegeben haben. Damit entfallen auf jeden Betrieb im Durchschnitt knapp 80.000 Packungen, was zu einem Rohgewinn von 660.000 € führt.
Insofern sind die Unterschiede im Rohgewinn gar nicht so groß – jedoch bei einem ungleich höheren technischen Aufwand und damit verbundenen Kosten für die herstellenden Apotheken. Egal ob Offizin-Apotheke oder herstellende Apotheke - die pharmazeutische Leistung ist unterfinanziert!
Wie inhomogen der Markt ist, belegt u. a. das REFA-Gutachten: Ist angesichts einer solch großen Streuung – von der „Sterilbank im Apothekenkeller“ bis hin zur industriellen Massenfertigung – eine Pauschalvergütung für die Parenteralia-Zubereitung überhaupt sinnvoll?
Christiane König: Nein, ich kann es nicht mehr hören. Es gibt keine Sterilbänke im Keller von Apotheker XY! Für alle herstellenden Apotheken gelten die Vorgaben der Apothekenbetriebsordnung. Die an diese angelehnte Leitlinie der Bundesapothekerkammer (BAK) wurde gerade aktualisiert. Spätestens seit dem Skandal in Bottrop werden alle herstellenden Apotheken regelmäßig unangekündigt von den Gesundheitsämtern bezüglich der Einhaltung dieser strengen Regeln überwacht.
Außerdem ist dieses Junktim, das Ihrer Frage zugrunde liegt – große Reinraumherstellung = günstige Herstellkosten, kleine Reinraumherstellung = teure Herstellungskosten – falsch. Das hat auch das REFA-Gutachten gezeigt. Da spielen so viele Faktoren hinein – von den Investitionen, über die Abschreibungen und Personalkosten bis hin zum Anteil der Ad-hoc-Zubereitungen – , dass die reine Betriebsgröße kaum ins Gewicht fällt.
Christiane König: „Die Zytostatika- und Palliativ-Versorgung funktioniert nur, wenn es keine Rosinenpickerei gibt.“
Ein alternativer Ansatz wären Individualvereinbarungen Ihrer Mitglieder mit den Krankenkassen unter Berücksichtigung der Versorgungslage vor Ort. Wäre das ein gangbarer Weg?
Christiane Müller: Wir sind zwar grundsätzlich offen für neue, kreative Lösungen. Für die Versorgung in der Fläche braucht es herstellende öffentliche Apotheken, die nur mit einer gewissen Auslastung wirtschaftlich betrieben werden können. Individualvereinbarungen zu unterschiedlichen Preisen würden aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebotes zu Umsteuerungen durch die Kostenträger führen. Ließe man Apotheken nur noch die Ad-Hoc-Zubereitungen oder aufwendige Spezialrezepturen, wie z. B. Schmerzpumpen, könnten diese ihre Reinraumlabore mangels Auslastung nicht weiter betreiben. Das wäre eine Katastrophe für die wohnortnahe Versorgung!
Christiane König: So war es übrigens zur Zeit der Ausschreibungen auf Apothekenebene: Da gab es zum einen Konzentrationsprozesse und zum anderen ein ziemliches Chaos in den Apotheken und Arztpraxen. Wir sind – wie die behandelnden Ärzte – froh, dass der Gesetzgeber diese Fehlentwicklung korrigiert hat.
Massiv in der Kritik stehen bundesweit agierende Zytostatika-Anbieter mit intransparenten MVZ-Strukturen wie das Hamburger Unternehmen Zytoservice. Gibt es Anzeichen einer stärkeren Regulierung solcher Betriebe, wie von Karl Lauterbach nach dem „Monitor“-Bericht vor einem Jahr angekündigt?
Christiane Müller: Wir haben bislang noch nichts wahrgenommen, was in diese Richtung deutet. Unsere Position dazu war aber immer klar: Nicht im Patienteninteresse liegende Versorgungsumsteuerungen gehören abgeschafft.
Themenwechsel. Wie gut oder schlecht funktioniert der Preiswettbewerb über die Hilfstaxe bei den Biosimilars? Wird hier der Fehler aus dem Generika-Markt (nicht auskömmliche Preise) mit den bekannten Folgen chronischer Lieferengpässe eins zu eins wiederholt?
Christiane Müller: Im Grunde hatte sich der gesetzgeberische Auftrag zur Biosimilar-Substitution durch Apotheken zum Zeitpunkt seiner Umsetzung bereits überholt: Wir hatten schon vor Einführung der Substitutionspflicht durch Apotheken Switch-Raten von mehr als 90 %. Auf jeden Fall sind wir bei Verhandlung der Substitutionsregelungen in der Hilfstaxe auf Verbandsebene – da arbeiten wir eng mit dem DAV zusammen – behutsam vorgegangen, um die Fehler aus dem Generika-Markt eben nicht zu wiederholen. Der Markt für Biosimilars ist noch fragiler, weil es weniger Anbieter gibt. Ich denke, wir haben mit den aktuellen Regelungen in der Anlage 3 der Hilfstaxe eine gute Lösung gefunden.
Christiane König: Die Hilfstaxe funktioniert sehr gut und sollte weiter gestärkt werden. So konnten allein 2022 durch den Switch auf Biosimilars 1,7 Mrd. € für die Versichertengemeinschaft eingespart werden! Unterschiedliche Rabattmodelle sind aus unserer Sicht hier eher schädlich.
Christiane Müller: „Die aufwändige Spezialzubereitung am Freitagnachmittag oder Wochenende macht Ihnen weder ein Herstellbetrieb noch eine Krankenhausapotheke. Die können die zeitliche Flexibilität der ambulanten Apothekenlabore nicht abbilden!“
Welche Rollen spielen steril zubereitete Schmerztherapie- und Palliativ-Zubereitungen aktuell und perspektivisch für Zyto-Apotheken?
Christiane König: Palliativ-Zubereitungen kommen zwar bei Weitem nicht an die Stückzahlen und das Umsatzvolumen von Zytostasen und monoklonalen Antikörpern heran; ihre Relevanz für die Versorgung schwerstkranker Patienten ist aber sehr hoch. Da kommt es noch mehr auf möglichst kurze Reaktionszeiten und Versorgungswege an, und da braucht es aber auch eine besondere menschliche Zugewandtheit. Die ambulante Palliativversorgung ermöglicht es dem Patienten, in seiner vertrauten Umgebung zu Hause zu bleiben und spart gleichzeitig die ungleich höheren Kosten für einen Krankenhausaufenthalt. Wir sind mit meinem Betrieb selbst Teil eines Teams für die spezialisierte ambulante Palliativversorgung. Die Apotheken in solchen Palliativ-Netzwerken sind immer öffentliche Apotheken, die optimalerweise über einen Reinraum zur Herstellung von Schmerz- und Ernährungslösungen verfügen.
Wie auskömmlich ist die Honorierung der pharmazeutischen Palliativ-Versorgung durch die GKV?
Christiane König: Keine Apotheke kann Palliativ-Zubereitungen ohne Zytostatika anbieten. Nur zwei Beispiele aus der Praxis: Eine Schmerzpumpe wird mit 50 € vergütet. Und für eine aufwändig zubereitete parenterale Ernährungslösung bekommt man 64 €. Das reicht nirgendwohin.
Wenn die herstellenden Apotheken nur die Brotkrumen abbekommen, werden sie wirtschaftlich keine Überlebenschance haben. Die Zytostatika- und Palliativ-Versorgung funktioniert nur, wenn es keine Rosinenpickerei gibt.
Wie werden neue Therapieansätze wie die zunehmende Zahl an oralen Zytostatika, CAR-T-Zell-Verfahren und mRNA-Therapeutika den Markt mittelfristig verändern? Muss die Branche gar Zukunftsängste haben?
Christiane König: Grundsätzlich wächst der onkologische Markt. Und ja, es gab und gibt immer wieder Innovationssprünge wie seinerzeit die monoklonalen Antikörper. Als VZA treten wir an, die Labore in der Fläche zu erhalten, und darin werden wir auch nicht ermüden.
Letzten Endes muss aber die Politik die zwei entscheidenden Fragen beantworten: Will man im Sinne einer ambulanten Patientenversorgung die noch vorhandenen herstellenden Apotheken erhalten? Und was ist uns eine flexible, wohnortnahe Versorgung mit parenteralen Arzneimitteln wert?
Das Interview führte Dr. Hubert Ortner
Einen Kurzfilm des Verbandes herstellender Apothekerinnen und Apotheker zur Zytostatikaherstellung finden Sie hier
Dr. Hubert Ortner, Biochemiker, Chefredakteur AWA – APOTHEKE & WIRTSCHAFT, 70191 Stuttgart, E-Mail: hortner@dav-medien.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(17):6-6