Prof. Dr. Reinhard Herzog
Wir hatten unlängst an dieser Stelle schon gesehen: Das Reißen der 50 %-Marke bei der Sozialabgabenquote auf die Löhne heutiger Prägung dürfte nur eine Frage der Zeit sein. Einer überschaubaren Zeit, nicht irgendwann zum Ende des Jahrhunderts. Da stellen sich zwei grundlegende Fragen: Ist das in Stein gemeißelt, oder kann man dem Kostenanstieg nicht mutig entgegentreten? Kann man das System nicht einer Schlankheitskur unterziehen? Antwort: Man kann – oder vielmehr könnte. Harte Einschnitte in Renten und Kranken-/Sozialleistungen mit wirklich spürbarer Senkung der Abgaben sind außerordentlich schwierig. Dafür spricht allein die Wirtschaftsbedeutung (über 6 Millionen Beschäftigte im Gesundheitswesen, jede scharfe Sparmaßnahme schlägt auf diese durch) und die Ansprüche einer Wählerschaft, bei welcher die „Silver-Ager“ absehbar die Mehrheit an den Wahlurnen stellen. Ja, man kann und wird zumindest den Anstieg bremsen (müssen), aber eine Radikalreform ist kaum zu erwarten. Es sei denn, die berühmten „schwarzen Schwäne“ mischen die Gesellschaft unerwartet komplett durcheinander.
Bleiben die Einnahmen – einfach mehr Geld ins System! Wie oft hören wir das auch von den Standesvertretungen. Fast alles hängt dabei an der Lohnsumme. Deren Wohl und Wehe fußt auf der Wirtschaftskraft, und die scheint immer limitierter. Ein hohes reales Lohnwachstumspotenzial – welches zudem mit den Kostenentwicklungen des Sozialstaats annähernd mithält – über inflationäre Impulse hinaus ist nicht erkennbar.
An dieser Stelle werden gern die Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenzen und eine Einbeziehung aller Einkünfte gefordert. In der Rentenversicherung könnte man zudem das Äquivalenz-Prinzip aufgeben. Jeder Beitrags-Euro ergibt heute den gleichen Anspruch. Künftig könnte die Rentenpunktrelation bei steigenden Einkommen abgeschmolzen werden, womit man einen Umverteilungseffekt hin zur existenzsichernden Mindestrente bei gedämpften Ansprüchen höherer Einkommen erzielen könnte, sozusagen eine degressive Ausgestaltung.
Und die Konsequenzen? Zwar mag man die Einnahmebasis erhöhen und den Anstieg der Beitragssätze in der gesamten gesetzlichen Sozialversicherung so vielleicht auf 40 % bis 45 % statt gut 50 % bremsen. Doch sozialversicherungspflichtige Mieten werden dann eben noch teurer als ohnehin schon. (Groß-)Kapital findet international seine (Flucht-)Wege. Und auf der Lohnseite wird so viel nun auch nicht oberhalb der heutigen Bemessungsgrenzen verdient.
Für gutverdienende Angestellte würde die Grenzbelastung (Einkommensteuer und hälftige Arbeitnehmer-Sozialbeiträge) jedoch selbst bei voller steuerlicher Absetzbarkeit aller Beiträge trotzdem auf Werte um 55 % bis 57 % steigen, im „Reichensteuerbereich“ (47,5 % Grenzsteuersatz mit „Soli“) gut 3 Prozentpunkte mehr. Ohne Steuervorteil kann man die Beitrags- und Steuersätze direkt addieren – viel Spaß! Noch schlimmer sähe es für sehr gut verdienende Selbstständige aus: „Reichensteuersatz“ plus volle Beiträge von 40 % bis 45 % ohne Arbeitgeberanteil, gemindert um den steuerlichen Vorteil, ergäben 68 % bis 71 % Abgabenlast auf jeden zusätzlich verdienten Euro. Ohne Steuervorteil wären wir nahe der „Totalbesteuerung“. Wer steht da noch morgens für eine „Extrarunde“ auf – oder lässt sich nicht eher in die bequemeren Einkommenssphären mit allerlei Sozialleistungen zurückfallen? Privat Versicherte sollten an dieser Stelle nicht frohlocken – diese Systeme sind ebenfalls fragil.
Steuern wir auf einen Punkt zu, an dem ein Reset und Großreinemachen unvermeidbar sind? Das dürfte, wenn überhaupt, noch weit entfernt sein. 8 Billionen Euro Geldvermögen plus weit höhere Immobilien- und Firmenwerte sind immer noch eine reiche Spielwiese für (Umverteilungs-)Politiker. Die Rolle des Staates wird wachsen, Beitragsanstiege durch Steuerfinanzierung gedämpft. Eine faire Lösung statt „Abgabenhammer“ könnte sein, die Bürger um freiwilliges Geld zu bitten, z. B. in Form von halbwegs attraktiv sowie steuer- und abgabenfrei verzinsten „Schatzbriefen“. So ließe sich die heutige immanente in eine transparent-offene, auslands- und bankenunabhängige Verschuldung überführen. Das reiche Japan lebt seit Jahren mit Staatsschulden weit über 200 % der Wirtschaftsleistung (D: offiziell um 65 %). Es ist also noch viel Luft, vermeintlich bequeme Wege zu gehen.
Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
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