Prof. Dr. Reinhard Herzog
Es gibt ja so manche Anlässe, zu denen nach landläufiger Ansicht gelogen wird, dass sich die sprichwörtlichen Balken biegen sollten: Auf Beerdigungen, bei allerlei Glückwunsch-Adressen, am Abend nach der Jagd, und nicht zuletzt, historisch vielfach belegt, in Kriegszeiten. Und natürlich in Wahlkampfzeiten, wobei es wohl in den meisten Fällen gar nicht einmal Lügen sind (selbst wenn gern von „Wahllüge“ gesprochen wird), was die Sache nicht besser macht. Allzu oft glauben die Parteienvertreter nämlich an das, was sie vollmundig versprechen, selbst wenn ihnen, dem einen mehr, dem anderen weniger, dämmert, dass es veritable Luftschlösser sind, die sie da an den Himmel zaubern.
Es wird tatsächlich die Qual der Wahl, falls man sich wirklich ernsthaft mit den Parteiprogrammen und der Zukunft des Landes auseinandersetzt. Viele tun dies freilich nicht. Die einen wählen das, was sie immer gewählt haben. Andere tun genau das gerade nicht, sondern wenden sich denen zu, die gegen das Etablierte sind, solange, bis sich das Blatt wiederum wendet. Dann sind die gestrigen Gegner die heutigen Freunde im Geiste. Gerade in den neuen Bundesländern wurde daraus ein interessanter Schwenk von stramm links nach stramm rechts. Und nicht wenige dürften schlicht situativ wählen, sprich sich auf den letzten Metern im Grunde für irgendwas entscheiden, was der Stimmungslage, womöglich minutengenau, entspricht. Bei einer gar nicht so geringen Zahl dürfte selbst die Entscheidung, sich zur Wahl aufzuraffen (oder eben nicht) von allen möglichen Alltagsbefindlichkeiten abhängen, aber kaum von der eigentlichen politischen Sachlage. Weitergedacht vor dem Hintergrund der Tatsache, dass kaum mehr klare Mehrheiten zustande kommen und die Parteienlandschaft immer mehr zersplittert, kann man schon an Funktion und Sinn heutiger Wahlen zweifeln, die sich immer mehr einem statistischen Parteien-Lotto nähern. Vielleicht sollte man grundlegend über das Wahlsystem (Mehrheitswahlrecht?) nachdenken.
Doch nehmen wir die Qual der Auswahl an. Denken wir dabei klein und vorrangig an Eigeninteressen, oder schauen wir doch besser auf das große Bild? Interessen lassen sich am besten auf einer starken wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Grundlage durchsetzen, also dann, wenn eben dieses „große Bild“ stimmig ist. Ist hingegen fiskalischer Schmalhans Küchenmeister, leiden die allermeisten, von ganz wenigen Spinnen im Netz abgesehen.
Doch wer zeichnet überhaupt ein stimmiges großes Bild und hätte zudem die Fähigkeiten, den Pinsel kunst- und sachgerecht zu schwingen, um es wirklich in Szene zu setzen? Schon bei den groben Umrissen bleibt es überwiegend erstaunlich unscharf. Man kann trefflich mehr Geld für alles Mögliche fordern. Bei der Verteidigung überbieten sich die Prozentzahlen an der Wirtschaftsleistung (BIP). 1 % des BIP sind schon über 40 Milliarden Euro. 3,5 %, gar 5 % der Wirtschaftsleistung – und wir landen bei kräftig dreistelligen Milliardenbeträgen.
Nur: Für was? Wir alle kennen Menschen, denen kann man Geld geben, so viel man will – kurz darauf sind sie wieder blank und kaum weitergekommen. Man kann mit Innovation, Intelligenz und Top-Technologien gerade im Militärsektor viel erreichen, und man kann mit Dummheit viel Geld auf der Strecke lassen, dabei trotzdem schwach und abhängig bleiben. Hier werden teure Luftschlösser gebaut.
Teure Luftschlösser sind es auch, wenn man vor den gewaltigsten Herausforderungen der Nachkriegszeit steht (die größten: eine nachhaltig-zukunftsfähige Wirtschaft, Demografie, Sicherheit, Gesundheit), aber die Abgabenlast kräftig senken will. Das kann auf lange Sicht klappen – wenn wir jetzt die Zähne zusammenbeißen und die Zukunft gestalten. Das bedeutet aber: Erst der Fleiß (und die Belastungen ausgewogen verteilt), dann die Ernte. Alles andere ist unseriös und wird am Ende auch nicht so kommen.
Schauen Sie auf das große Bild! Wie können wir in zehn, zwanzig und mehr Jahren noch auf einem akzeptablen Wohlstandsniveau leben? Lassen Sie sich hingegen nicht von Versprechungen leiten, die nur Ihre eigene momentane Lage betreffen. Die haben sich allzu oft als pünktlich nach dem Wahltag und dem ersten Kassensturz platzende Luftballons herausgestellt.
Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
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