Prof. Dr. Reinhard Herzog
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Wohin geht die Reise in der derzeit aufgeheizten
politischen Landschaft? (Foto: AdobeStock_Jon Anders Wiken)
Blickt man in die aktuell aufgeheizte politische Landschaft, scheint das Land vor existentiellen Schicksalsfragen zu stehen. Das ist auch für das Gesundheitswesen von herausragendem Interesse, selbst wenn viele Akteure dort eher unpolitisch unterwegs sind – nicht zuletzt, weil sie den Karren Tag für Tag am Laufen halten müssen. Das erdet und lässt nicht allzu große Höhenflüge in intellektuelle Wolkenkuckucksheime zu. Die Wolkenkuckucksheime der Gesundheitsberufe bewegen sich in niedrigeren Umlaufbahnen, wenn es nämlich um die eigenen Einkommen und deren Finanzierungsgrundlagen geht. Da geht bisweilen die Balance zwischen Wünschenswertem und im gesamtökonomischen Gesamtkontext noch Finanzierbarem verloren. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass unsere Professionen einen Blick für das große Ganze und die Grundlagen unseres immer noch beachtlichen Wohlstandes entwickeln, sind wir doch massiv von einer florierenden Wirtschaft mit guten Einkommen und vielen zuverlässigen Lohnempfängern abhängig. Die im Wesentlichen lohnabhängigen Sozialbeiträge speisen letztlich auch unsere Einkommen. Daran ändert selbst ein „Habeck-Krankenkassenbeitrag“ auf Kapitaleinkünfte nur wenig (und nebenbei: bei „freiwillig“ gesetzlich Versicherten zählen bereits heute alle Einkünfte auf die Bemessungsgrundlage ein, was in der Diskussion komplett untergegangen ist). Nein, da muss zuerst einmal mehr wirtschaftliche Substanz an den „Kuchen“, damit er aufgeht und erst dann verteilt werden kann.
Im Moment dominiert das Narrativ, dass uns dieser Kuchen durch zu viele am Tisch streitig gemacht wird, die sich bisweilen nicht einmal anständig benehmen. Wie Kai aus der Kiste ist das Migrationsthema (neben dem Bürgergeld) aufgeploppt, mit bizarren Schauspielen auf der politischen Bühne. Noch vor Kurzem Unsagbares ist nun salonfähig. Ohne Frage betreiben wir seit Jahren eine weder zielführende noch ökonomisch effiziente Migrationspolitik. Wir mogeln uns zwischen Moral, Unvermögen und einer gewissen Laissez-faire-Haltung so durch, ohne klare Umrisse zu ziehen, wie bei so vielen anderen Themen auch. Mit vollen Kassen trägt das eine Weile, aber eben immer weniger, wenn die Verteilungskonflikte offenkundiger werden. Da kommt das Thema der inneren Sicherheit gerade recht, verfängt es doch zuverlässig in einer alternden Gesellschaft, welche in ihrer bürgerlichen Komfortzone verharren will und dabei durchaus als sicherheitsvernarrt und über Maßen staatsgläubig gelten kann.
Die Politik greift dies dankbar mit immer abstruseren Regularien und Gesetzen auf. „Nine Eleven“ vor über 20 Jahren war da sicher global ein markanter Startpunkt einer fortschreitenden Entwicklung hin zu einer Kontroll- und Überwachungsgesellschaft mit immer weiter eingeschränkten individuellen Handlungsspielräumen. Corona hat auch nicht gerade zu einer Entschärfung beigetragen. Gleichwohl sprechen die objektiven Daten eine andere Sprache. Ungeachtet aufwühlender Einzelereignisse liegt unsere deutsche Rate an Mord- und Gewalttaten rund 85 % unter dem globalen Durchschnitt und immer noch bei nur knapp der Hälfte im Europa-Vergleich. Wir leben nach wie vor ziemlich sicher. Wer mit offenen Augen durch die Welt reist, weiß das. Zur Panik besteht also kein Anlass, ohne deshalb nun auf dem „Sicherheitsauge“ blind zu werden.
Unsere schicksalhaften Weggabelungen bestehen vielmehr darin, ob wir neue, rentable Geschäftsmodelle des 21. Jahrhunderts etabliert bekommen, und uns von den Branchen aus dem (Vor-)Gestern lösen. Die nächste schicksalsträchtige Kreuzung lautet Abschottung mit immanent angelegter Konfliktbereitschaft versus Wiederbelebung eines fairen globalen Miteinanders mitsamt guten Handelsbeziehungen, freilich auf Augenhöhe aus einer Position eigener Stärke heraus. Im Moment weht eine erkennbar andere steife Brise. Am Ende werden wir aber die Welt vernünftig gemeinsam bewirtschaften oder eben in alte, archaische Muster der Konfliktbewältigung zurückfallen – die (fast) nur Verlierer kennen wird.
Gehen Sie also nicht plumpen Ablenkungsmanövern auf den Leim, zumal Sie selbst mit Ihrer Pharmazie und den Life Sciences in den Zukunftsbranchen mit hohem Wertschöpfungs- und Nutzenpotenzial unterwegs sind. Der Blick sollte darauf gerichtet sein, welche politischen Vertreter dies erkennen – und uns allen Zukunftswege ebnen und nicht verbauen.
Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
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