Ungewohnt selbstbewusst hat die ABDA unlängst einen umfassenden Forderungskatalog präsentiert: Der reicht von einer ambitionierten Anhebung des Packungshonorars auf 12 € (!) über eine nicht näher präzisierte „Betriebspauschale“ bis hin zu einer Bürokratie-Entschlackungskur. Doch wie realistisch sind Honorarerhöhungen auf ein Niveau, das Apothekeninhaber an die Spitze aller Freiberufler (abgesehen von Notaren) befördern würde?
Mit ihren jüngsten Forderungen schießt die ansonsten eher zurückhaltende Standesvertretung weit übers Ziel hinaus... (© AdobeStock/Nuthawut)
Historisch betrachtet kann man tatsächlich sagen, dass die ABDA über sich selbst hinausgewachsen ist. Ihr Forderungskatalog setzt eine ganze Reihe dicker Ausrufezeichen, hier kurz zusammengefasst:
- Erhöhung der fixen Rx-Packungspauschale von derzeit 8,35 € (ohne Zuschläge für Dienstleistungen) auf glatte 12,00 €.
- Der preisabhängige 3 %-Aufschlag soll dagegen unangetastet bleiben. Das Honorar soll zudem automatisch dynamisiert werden.
- Eine nicht näher bezifferte „Pauschale für jede Betriebsstätte“, letztlich wohl als Strukturpauschale für Standorte in der Fläche zu verstehen.
- Erleichterte Abgaberegeln, keine Nullretaxation und Haftung für Herstellerabschläge mehr
- Bürokratieabbau, zudem die Präqualifizierung überdenken oder ganz abschaffen.
- Separat honoriertes Lieferengpassmanagement (21 € je Fall)
- Förderung Medikationsmanagement und Ärztekooperation.
Rx-Packungspauschale
Kernpunkt ist das Rx-Packungshonorar. Gefordert wird eine Erhöhung des Festzuschlags von 8,35 € (ohne Zuschläge für Notdienste und pharmazeutische Dienstleistungen) auf glatte 12,00 €, unter Beibehalt des 3 %igen Aufschlags auf den Listeneinkaufspreis. Mit + 3,65 € je Packung wäre es der größte Cashflow-Hebel. Bei 740 bis 750 Mio. Rx-Fertigarzneimittelpackungen käme ein Apotheken-Mehrertrag von etwa 2,7 Mrd. € zusammen, 150.000 € je Betrieb heute, 2024 eher um 155.000 € v. a. wegen sinkender Betriebszahlen. Die Kostenträger müssen die Mehrwertsteuer obenauf veranschlagen und kämen auf 3,2 Mrd. € Mehrkosten. Pro Beitragszahler (GKV und PKV) wären es gut 4 € monatlich.
Realisierungschance: In dieser Höhe, falls nicht Wunder geschehen, nicht näherungsweise realistisch. Tabelle 1 zeigt, basierend auf detailgenauen Modellrechnungen, die Auswirkungen erhöhter Rx-Festaufschläge für die statistische Durchschnitts-Offizin, hochgerechnet auf die Jahre 2023/2024 mit zu erwartender Marktentwicklung und in Stufen von 8,35 €, 10,00 € und 12,00 €. Dabei wird die bisherige Kostenentwicklung fortgeschrieben und in den unteren Zeilen noch eine Lohnkostensteigerung um zusätzliche 20 % simuliert.
Tab.1: Modellrechnung Durchschnitts-Apotheke 2023/2023 (© R. Herzog)
Es bleibt festzuhalten, dass selbst nach Lohnaufbesserung ein Einkommensniveau erreicht würde, welches jenes niedergelassener Haus- oder Kinderärzte deutlich übersteigen würde. Von Notaren abgesehen, würden die Apotheken im Kontext der Freiberufler (Anwälte, Architekten, Steuerberater usw.) an der Spitze stehen. Es sei gegönnt, muss aber gegenüber der Politik schon dargestellt werden, warum die Apotheken ein solches Vergütungsniveau verdienen.
Durchschnitt ist das eine. Doch spaltet sich die Apothekenlandschaft immer weiter. Tabelle 2 zeigt die Auswirkungen von 12,00 € Wunsch-Packungshonorar für drei unterschiedlich große Apotheken mit 25.000, 45.000 und 75.000 Rx-Packungen jährlich (kleine, Center- und Ärztehaus-Apotheke).
Tab. 2: Modellrechnung unterschiedlicher Apothekentypen 2024 (© R. Herzog)
Auch hier wurde eine fallgerechte Variante ohne und mit Personalkostenaufstockung betrachtet. So „gönnen“ wir hier den Apotheken zusätzlich eine halbe Approbierten- und PTA-Stelle (wo die praktisch herkommen sollen, steht auf einem ganz anderen Blatt), alternativ eine kräftige Lohnanpassung. Die Kosten sollen sich dafür auf 80.000 € belaufen (48.000 € für Approbierte und 32.000 € für PTA).
Im Ergebnis wird die kleine Apotheke so halbwegs stabilisiert, das Plus der größeren Apotheken ist aber zumindest erklärungsbedürftig.
Dynamisierung
Wunschtraum ist ein automatischer Dynamisierungsmechanismus. Das kommt schon einer Beamtenposition nahe – obwohl: Auch beim Staat wird jährlich immerhin verhandelt. Damit wären wir bei den operativen Fragen: Woran soll die Dynamisierung festgemacht werden? An der Inflationsrate? An der Lohnentwicklung? An einem Apotheken-Kostenpanel? Wie beziehen wir den Einfluss der bislang stets steigenden Packungswerte und die erzielten Einkaufsrabatte mit ein? Der entscheidende Punkt ist aber, dass es einen formelhaft-automatischen Dynamisierungsmechanismus bei den Honoraren speziell der Freiberufler nirgends gibt.
Realisierungschance: Im Sinne einer formelhaften Dynamisierung gering. Realisierbar scheint, Honorare jährlich neu zu verhandeln.
„Betriebspauschale“
Unklar ist, was mit einer Betriebspauschale gemeint ist. Der Interpretationsspielraum ist groß: Von einem Mindestbetrag seitens der Kostenträger für die Versorgung mit Verordnungen bis hin zu einem Zuschlag auf das bisherige Honorar für solitäre, versorgungsrelevante Apotheken ist vieles denkbar.
Sollen zudem diese Fördermittel obenauf kommen oder aus dem bestehenden Honorarvolumen umverteilt werden (eine Vorstellung, mit der die rot-grünen Regierungsparteien wohl am ehesten konform gingen)? Die konkreten Anspruchsgrundlagen sind zu definieren und (wettbewerbs-)rechtliche Fragen zu klären. Das bewegt sich stark in Richtung einer „Kassenapothekerlichen Vereinigung“ mit Sicherstellungsauftrag und Honorarverteilungskompetenz.
Realisierungschance: Perspektivisch ist ein Honorarverteilungsmodell mit Sicherstellungsfunktion der (ländlichen) Versorgung denkbar. Die Tücken liegen im Detail, ein Seitenblick zu den Ärzten ist anzuraten.
Kampf der Bürokratie
Auf kurze Sicht liegen hier die größten Optionen. Die Abschaffung bzw. drastische Vereinfachung überkomplexer Abgabe- und Austauschregeln sowie das Zurückstutzen einer nicht sachgerechten Sanktionierung auf ein verschuldensadäquates Maß bedeuten auch für die Kostenträger eher eine Ent- denn Belastung. Fassen wir das in Zahlen.
Jede einzelne Minute Entlastung pro GKV-Rezept – Stundensatz Minimum 38 € als Mix aus PTA- und Approbierten-Selbstkosten der Apotheke – bedeuten gut 16.000 € oder 430 Arbeitsstunden jährlich (bei im Durchschnitt fast 26.000 Rezepten). Die heutige GKV-Rezeptbürokratie wurde bereits mit über 3 Minuten je Blatt beziffert (siehe Artikel "Bereits eine Milliarde Euro versanden" im AWA 02/2023, Seite 4 ff.). Tatsächlich wirkt diese zeitliche Entlastung nicht direkt auf den Cashflow bzw. nur, wenn ein Stundenabbau erfolgt, was kaum geschieht. Dennoch kann der Personalmangel deutlich gemildert und die Attraktivität der Arbeit gesteigert werden.
Realisierungschance: Hier bestehen größte Chancen, denn das Problem der grassierenden Überregulierung und Verkomplizierung ist in der Politik angekommen. Entscheidend wird sein, dass die Standespolitik bereit ist, an einem kräftigen Kehraus mitzuwirken.
Strategische Fragen
Einige strategische Implikationen seien ebenfalls zu bedenken gegeben. Eine hohe Aufwertung der Rx-Vergütung und damit des Rezeptertrags – schon heute bei Licht betrachtet der Deckungsbeitragsbringer – könnte OTC-Preisschlachten eine neue Dynamik verleihen. Das aggressive Werben um Rezepte würde nochmals attraktiver, ebenso die Subvention von OTC durch Rx. Ähnliche Überlegungen lassen sich für den Versandhandel anstellen.
Und nicht zuletzt würden womöglich Neugründungen wieder aussichtsreicher. Aus der „Friedhofsdividende“ wird dann eine „Wohlstandsabgabe“ bestehender, gutlaufender Apotheken, denen Makler eine Konkurrenz vor die Nase setzen.
Kompromiss nötig
Ein guter Kompromiss wird an vielen Stellen ansetzen (Abbildung 1). Zuerst sind alltagswirksame, zeitliche Entlastungen, die insoweit kein Geld kosten, umzusetzen. Im Hinblick auf den inflationären Schub wäre ein weiteres Ziel, die Vor-Corona-Gewinne in die Welt nach der „Zeitenwende“ zu transformieren.
Zukunft Apotheke – viele Ansatzpunkte (© R. Herzog)
Angelehnt an den Verbraucherpreisindex und auf 2024 projiziert, läge der durchschnittliche Ziel-Vorsteuergewinn gut 20 % bis 25 % höher als 2019 (Unsicherheit aktuelle Inflationsentwicklung), also um 185.000 €. Der dazu nötige Anpassungsbedarf des Rx-Honorars liegt weit unter dem Geforderten. Die Honorierung sollte jedoch jährlich neu verhandelt werden. Für drohend unterversorgte Regionen empfehlen sich „Sicherstellungszuschläge“, dies passiert bei den Ärzten auch. Zu guter Letzt sind neue Märkte und Handlungskompetenzen zu erschließen. Am Ende wird das „Gesamtpaket“ zählen, und das ragt über rein kurzfristig-monetäre Aspekte hinaus.
Prof. Dr. Reinhard Herzog
Apotheker
Apothekenexperte, Fachautor und seit 1993 Lehrbeauftragter an der FH Sigmaringen im Studiengang Pharmatechnik – und dort seit 2020 Honorarprofessor. Herausgeber und langjähriger Autor des AWA.