„Alpha-Tiere“ in der Apotheke

Der Begriff Alpha-Tier stammt aus der Verhaltensforschung und bezeichnet hier das Leittier einer Herde oder eines Rudels. Es sind in der Regel die kräftigsten und erfahrensten Tiere einer Gruppe.

Auf den Menschen übertragen sind Alpha-Tiere demnach Personen, die im sozia­len und beruflichen Umfeld gern eine dominante Rolle übernehmen und denen solche Rollen auch oft zugemessen werden.

Sind also Alpha-Tiere – beispielsweise in der Apotheke – die perfekten Führungskräfte? Aufgrund ihrer Charakter­eigenschaften bringen sie Höchstleistungen, sind mutig und selbstsicher, scheuen nicht vor Konflikten zurück und verfolgen große Pläne und hochgesteckte Ziele. Die Antwort lautet daher: Ja, sie sind perfekte Führungskräfte – vorausgesetzt, sie nutzen ihre Stärken und bauen die oft mit diesen einhergehenden Schwächen ab.

Auf den ersten Blick brauchen sich Apotheken, die ein Alpha-Tier an der Spitze haben, keine Sorgen zu machen, werden sie doch von zupackenden Chefs geführt. Doch sollte sich der Inhaber sehr wohl bewusst machen, wie er effektiv mit seinem Umfeld und seinem Team zusammenarbeitet.

Die genannten Charaktereigenschaften bringen es nämlich mit sich, dass Alpha-Tiere häufig autoritäre, nicht kompro­missbereite und/oder machtbetonte Menschen sind. Es ist also nicht selten, dass das Umfeld des Apothekeninhabers, der die Eigenschaften des Alpha-Tieres besitzt, geprägt ist von eingeschüchterten Kollegen und demotivierten Mitarbeitern sowie – im privaten Umfeld – von einer vernachlässigten Familie.

Apothekeninhaber mit Alpha-Neigung sollten sich daher kritisch eine ganze Reihe von Fragen stellen nach dem Motto „Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung“.

Wie motiviere ich mein Team? Mache ich nur Vorschriften oder lasse ich auch die Mitarbeiter Konzepte und Ideen entwickeln? Wie war das in der letzten Team-Sitzung, beziehe ich wirklich alle in Entscheidungen mit ein? Haben die Mitarbeiter ausreichend Raum für Selbstgestaltung?

Bin ich in der Lage, zu inspi­rieren, zu kommunizieren und Wissen zu vermitteln? Oder bin ich der Hüter allen Apotheken- und Pharma-Wissens und weiß letztlich alles besser? Hat jeder Einzelne meiner Mitarbeiter die Möglichkeit, sich fortzubilden und Know-How-Träger zu sein?

Vermittle ich Integrität und gebe den Mitarbeitern Chancen zum persönlichen Fortkommen oder ist es mir vor allem wichtig, dass ich selbst genug Anerkennung erhalte? Bin ich ein gutes Vorbild für meine Mitarbeiter? Stelle ich an das Verhalten meiner Mitarbeiter die selben Forderungen wie an mich selbst? Können sich meine Mitarbeiter mit ihrem Arbeitsplatz, meiner Apotheke, identifizieren oder machen sie nur „Dienst nach Vorschrift“?

Apotheken-Chefs sollten sich bewusst sein, dass sie – ganz gleich ob Alpha-Tier oder nicht – das Markenzeichen und der Imageträger ihrer Apotheke sind. Ein Visionär wird eine visionäre Apotheke führen, immer mit dem richtigen Riecher für Trends; der Bürokrat wird seine Apotheke bürokratisch führen und beispielsweise viel mehr Wert auf Qualitätsmanagement legen.

Eigenschaften färben vom Chef auf die Mitarbeiter und die ganze Apotheke ab. Das sollte vor allem Alpha-Menschen mit ihrer extremen Präsenz bewusst sein. Um sich selbst kritisch zu prüfen, hilft ein Blick auf die vier ver­schiedenen Alpha-Typen:

Der Commander ist eine leidenschaftliche, charismati­sche Führungspersönlichkeit, die den Ton angibt, mobilisiert und Dinge vorantreiben kann, ohne sich zu stark in Details zu verzetteln. Allerdings neigt er zu Einzelkämpfertum und dazu, andere einzuschüchtern.

Der Visionär ist wissbegierig, aufgeschlossen, intuitiv, erkennt Möglichkeiten und Chancen, die andere als nicht praktikabel oder unrealis-tisch abtun würden. Jedoch gibt es bei ihm die Tendenz des tollkühnen Realitätsverlusts und die Neigung, Fakten zu verdrehen.

Der Stratege ist ein methodischer, systematischer, oft sogar brillanter Denker, der sich an Daten und Fakten orientiert. Er verfügt über ein ausgeprägtes analytisches Urteilsvermögen und hat ein gutes Auge für Muster und Probleme. Seine Schwäche: sture Besserwisserei und Rechthaberei.

Der Macher ist ein unermüdlicher, zielorientierter Motor, der Pläne umsetzt mit Blick für Details, unerbittlicher Disziplin und scharfsinniger Betrachtung. Er überwindet alle Hindernisse, überfordert sein Team allerdings häufig mit zu hohen Erwartungen.

Wer sich auf Grundlage dieser Alpha-Typen besser kennenlernt, kann zielgerichteter mit sich und anderen umgehen.

Klar ist: Alpha-Menschen sind zumeist extrem belastbar, reagieren widerstandsfähig auf Veränderungen, Tempo und Druck. Stress macht ihnen nichts aus, sie suchen ihn sogar. Aber auch hier ist die Kehrseite der Medaille offensichtlich: In einer extremen Aus­prägung strapazieren Alpha-Menschen ihre Gesundheit. Nimmt der Stress überhand, ermüden sie schneller und lösen Spannungen und Konflikte aus. Am Ende drohen dem Apothekeninhaber hohe Ausfallzeiten und Produktivitätsverlust und letztlich auch ein schlechtes Image. Dies trifft wiederum sein Selbstwertgefühl besonders hart.

Daher ist es für Menschen mit Alpha-Eigenschaften unerlässlich, sich regelmäßig den Spiegel vorzuhalten – ihrer Apotheke und auch sich selbst zuliebe.

Auch wenn Apotheker mit Alpha-Eigenschaften oft automatisch in Führungsrollen schlüpfen, kommt es durchaus vor, dass der Apothekenin­haber unter seinen Mitarbeitern Alpha-Charaktere findet. Hier ist es vor allem wichtig, die Eigenschaften des betreffenden Mitarbeiters richtig einschätzen und kanalisieren zu können. Denn solch ein Mitarbeiter bietet ein großes Potenzial, das – wenn es richtig genutzt wird – erhebliche Vorteile für die Apotheke bringen kann.

Zum einen ist es wichtig, diesem Mitarbeiter genügend Freiraum und eigene Kompetenzbereiche zuzugestehen, um Frustrationen zu vermeiden. Zum anderen benö­tigt man viel Feingefühl, um diese Person zum Team­player zu motivieren und andere Teammitglieder wiederum nicht vor den Kopf zu stoßen. Sonst hat die Apotheke aus Sicht des Teams gleich zwei Alpha-Tiere, die regieren wollen. Und das endet selten in einer friedlichen Koalition.

Dipl.-Volkswirt Klaus Hölzel,
Apotheken Management-Institut GmbH,
65375 Oestrich-Winkel,
E-Mail: sekretariat@apothekenzukunft.de