Claudia Mittmeyer
? Welche Gefahren für die Apotheken können Sie aufgrund Ihrer neuesten Studie erkennen?
Apotheken erreichen in den Beliebtheitsskalen regelmäßig Spitzenwerte und könnten sich deshalb bei ihrem Kundenumgang für unbesiegbar erfolgreich halten. Bei unserer neuesten Trendstudie unter dem Titel Apotheken Novum, Zukunftswerk für wettbewerbsfähige Apotheken (beziehbar im Verlag Prof. Riegl & Partner, www.prof-riegl.de) haben wir aber sehr ernst zu nehmende Entwicklungen aus den letzten 6 bis 13 Jahren bei 200.000 Kunden und 3.700 Apotheken als Frühwarnsignale entdec
- So verlieren Apotheken seit Jahren bei ihren exklusiven treuen Stammkunden Anteile (–27 % seit 1995), d.h., auch Apothekenkunden gehen beim Einkaufen fremd.
- Apotheken verzeichnen Schwund bei ihren umsatzstarken, wöchentlichen Häufigbesuchern der Offizin (–16 % seit 2002). Gründe sind unter anderem das Verordnen größerer Einheiten sowie Patienten, die Praxisgebühren sparen wollen.
- Insgesamt kommen immer weniger Patienten unmittelbar vom Arzt zur Apotheke (–10 % seit 2002).
- Apothekenprodukte werden immer häufiger durch Supermarkt-, Discounter- oder Drogeriemarktartikel als substituierbar angesehen, weil dort etwa gleichwertige Produktqualitäten unterstellt werden.
- 12 % der Apothekenbesucher kommen mittlerweile, um in der Offizin die gute Beratung zwar mitzunehmen, aber neigen dann zum Kauf im Internet, Versand oder Einzelhandel.
Das Kunststück der Apotheke besteht darin, die Stammklientel mit Ideen und zwischenmenschlichen Verblüffungen zu überraschen und sie stets mehr als nur zufriedenzustellen. Dazu werden im neuen Ideenbuch Apotheken Novum marktintelligente und kundenorientierte Zukunftswege aufgezeigt.
? Mit welchen Strategien sollten die Apotheker auf die aktuellen Herausforderungen reagieren?
Für Apotheker gibt es auch nach der Vorentscheidung von Brüssel kein „Weiter-so-wie- bisher“, denn keiner der Newcomer auf dem Apothekenmarkt hat seinen Verzicht oder Rückzug von Expansionsplänen erklärt. Im Gegenteil: Alle werden jetzt versuchen, ihre immensen Investitionen und Vorleistungen zu retten. Das heißt, für inhabergeführte Apotheken gibt es keine strategische Entwarnung. Auf was sich unabhängige Pharmazeuten bei ihren Strategien vor allem besinnen sollten, ist ein typisches artgerechtes Apotheken-Marketing, das nicht einfach Erkenntnisse aus der Konsumwelt auf die Spezifika des Gesundheitsmarkts und den Kundenumgang in der Apotheke überträgt, denn hier herrschen andere „Marketing-Naturgesetze“.
Kernideen dieser artgerechten Apotheken-Strategien sind:
- Für Kunden, Patienten und Gesellschaft sollten die Apotheken besser sein als Wettbewerber, aber ohne Mehrkosten.
- Dies gelingt mit dem Aufbau eines individuellen Markenmythos der Inhaber-Apotheke, womit man im Wert andere übersteigt. Als Markenkern und Veredelung für die Apotheke sollte die Leitfigur des Apothekeninhabers wirken.
- Ein Verzicht auf die sozialträumerischen Prinzipien öffentlicher Apotheken, die es versuchen, allen Recht zu machen, wird nötig. Unter diesen Nivellierungen können weder ein markantes Markenprofil noch Authentizität noch Glaubwürdigkeit entstehen. Allenfalls als kleinster gemeinsamer Nenner entsteht Everybodys Darling.
- Deshalb plädiere ich für die Konzentration auf den nachhaltigsten Wettbewerbsfaktor Nr. 1 für Apotheken: Dies ist nicht der Preis, nicht das Produkt und Sortiment und nicht das Mobiliar, sondern die professionelle, faszinierende Mensch-zu-Mensch-Beziehung. Der große, klassenfreie Volksluxus einer Apotheke ist der niederschwellige Zugang für Gesundheit suchende Nachfrager unter menschlicher Geborgenheit in einer merkantilen und unterkühlten Kundenwelt.
Gute inhabergeführte Apotheken bieten die besten Voraussetzungen für das Angebot dieser hoch begehrten und im Zeitalter von Call Centern immer knapper werdenden zwischenmenschlichen, sozialkompetenten Beziehungen. Am besten konzentrieren sich Apotheken bei ihren Strategien auf das, was es niemals gleichwertig im Versand, im Internet oder in Ketten geben kann. Dies leitet über zu den drei Zielgebieten des artgerechten Apotheken-Marketings, die im Apotheken-Novum detailliert beschrieben werden:
- Systematische Gewinnung der richtigen Apothekenkunden,
- Aufenthaltsqualitätssteigerung in der Offizin mit Einkaufsmehrwert für Kunden,
- Systematische, gut-nachbarliche Kundenverbindung.
? Wie wichtig für die Kunden sind nach Ihren Erkenntnissen niedrige Arzneimittelpreise?
Grundsätzlich kennen Kunden nur gefühlte Preisrelationen. Die Legende von den hohen Apothekenpreisen, die angeblich vom Besuch abhalten, schmolz in der Bevölkerung in den letzten sechs Jahren um 22 %. Acht von neun Kunden bevorzugen in der Apotheke lieber beste Beratung als niedrigste Preise. Selbst Schnäppchenjäger erwarten in der Apotheke Beratungsleistungen, die niemals mit Dumpingpreisen möglich sind.
75 % der Apotheken sind inzwischen preisaktiv vorprogrammiert. 34 % befinden sich in sogenannten Preisdumping-Gebieten mit aggressiven Anbietern und 9 % liegen quasi im Epizentrum von Preiskriegs-Gebieten. Preisaktive Wettbewerber stiften Unruhe unter der Klientel, aber nur 1 % der Kunden wechselt deshalb die Apotheke. Dagegen reagieren 71 % der Kunden preisunempfindlich. 29 % der Kunden machen sich zumindest Gedanken, sprechen dies an oder verhandeln.
Im Rahmen neuer Kundenforschungen zum Apotheken Novum 2009 konnte die geringe Preiselastizität im Gesundheitssektor belegt werden. Preisaktive Angebote von Konkurrenz-Apotheken führen nur bei 3 % der Kunden zu Vorratskäufen, preisaktive Angebote in der Stamm-Apotheke führen bei 6 % der Klientel zu Vorratskäufen.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2009; 34(04):3-3