Ursula Hasan-Boehme
Mit 75% bis 80% wird der größte Teil der OTC-Arzneimittel in der Selbstmedikation abgegeben. Und dies ist in der Tat der Bereich, den der Apotheker – im Unterschied zum Verordnungsbereich – gestalten kann.
Preise oft im Mittelpunkt der OTC-Politik
OTC-Politik ist mehr als Preispolitik, aber durch die Freigabe der OTC-Preise seit 2004 steht die Preispolitik im Fokus. Dabei wird die Preispolitik häufig auf Preissenkungen reduziert.
Dahinter steht die Überlegung, dass günstige Preise mehr Kunden locken und dazu anregen, mehr von den preiswerten Produkten zu kaufen. Bei Arzneimitteln ist dies gesundheitspolitisch durchaus bedenklich.
Für den Unternehmer geht die Rechnung dann auf, wenn der Mehrabsatz mindestens die Preissenkung kompensiert. Wie hoch der rohgewinnneutrale Mehrverkauf sein muss, lässt sich für ein Produkt anhand der unten stehenden Formel ermitteln.
Betrug zum Beispiel die Handelsspanne vorher 40%, so müssten von demselben Produkt bei einer 20%igen Preissenkung doppelt so viele Packungen verkauft werden, um den bisherigen Rohgewinn zu halten.
Analog ist zu rechnen, wenn die Preise für einen erheblichen Teil der Selbstmedikation gesenkt werden. Dann sind zusätzliche Kosten zu berücksichtigen (siehe Tabelle auf Seite 6). Werden nicht nur die beworbenen Aktionsartikel vermehrt nachgefragt, sondern das gesamte Selbstmedikationssortiment, dann müsste dieser Bereich mengen- bzw. wertmäßig um knapp 70% wachsen, um die im Beispiel angenommenen Rohgewinnverluste und zusätzlichen Werbekosten auszugleichen.Werden durch die Preisaktivitäten in der Selbstmedikation auch mehr Rezepte beliefert, steigt der absolute Betrag des notwendigen Mehrumsatzes, weil der Gesamtumsatz durch den Verordnungsumsatz einen niedrigeren prozentualen Rohgewinn aufweist. Über das gesamte Sortiment betrüge die notwendige Steigerung z.B. 15%.
Die Mehrumsätze in beiden Beispielen würden die Apotheke gerade ergebnisneutral stellen, d.h., erst bei einem höheren Mehrumsatz wird ein besseres Ergebnis erreicht als ohne diese Preisaktivitäten.
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Probleme bei Preissenkungen
Um die Rohgewinnverluste und die zusätzlich anfallenden Kosten auszugleichen, sind große Umsatz-/Absatzsteigerungen nötig. Ob diese im erforderlichen Ausmaß eintreten, ist fraglich. Voraussetzung wäre, dass die Nachfrage nach Arzneimitteln ähnlich preiselastisch ist wie bei Konsumgütern. Dabei weisen Patienten heute zwar eine größere Preissensibilität auf, jedoch dürfte im Krankheitsfall der Preis nur wenig Relevanz für das Entscheidungsverhalten haben.
Preissenkungen können nicht nur zur vermehrten Nachfrage der beworbenen Produkte führen, sondern auch den Kauf von Produktalternativen reduzieren. Eine wirksame Nachfrageerhöhung setzt voraus, dass Kunden eine Preiskenntnis haben. Dies ist jedoch häufig nicht der Fall, außer bei stark beworbenen Indikatorartikeln. Preissenkungen müssen kommuniziert werden, dadurch entstehen Kosten für Werbemaßnahmen, die zusätzlich zu den Rohgewinnverlusten anfallen. Je nach Personalausstattung kann ein größerer notwendiger Mehrumsatz unter Umständen nicht mehr mit demselben Personal bewältigt werden.
Zu bedenken sind auch die Reaktionen der Mitbewerber. Ziehen diese mit größeren Preissenkungen nach, so wird eine Preisspirale nach unten in Gang gesetzt. Irgendwann landen dann alle Beteiligten auf einem niedrigeren Preisniveau.
Schnäppchenjäger
Natürlich gibt es immer wieder Schnäppchenjäger, auch unter Apothekenkunden. Diese wird man selten zufriedenstellen können; da es irgendetwas immer auch irgendwo anders billiger geben kann, sind diese Kunden sehr flüchtige Phänomene.
Eine Niedrigpreisstrategie ist kaum mit einem hohen Leistungsniveau in Einklang zu bringen. Außerdem wird durch „wilde“ Preisaktivitäten möglicherweise das Apothekenimage beschädigt: Das Vertrauen der Kunden in die Verlässlichkeit von Aussagen der Apotheke kann beeinträchtigt und das Arzneimittel bagatellisiert werden.
Ganzheitlicher Ansatz für die OTC-Strategie
Die Selbstmedikation ist nicht isoliert zu sehen, sondern als Teil des Gesamtgefüges der Apotheke. Das bedeutet auch, dass die Maßnahmen im OTC-Bereich zu der Gesamtausrichtung der Apotheke passen müssen und die Apotheke als Ganzes stärken sollen.
Für eine erfolgreiche OTC- Politik ist das A und O die Kundenorientierung. Die Devise lautet „Weg vom Preis – hin zum Kunden“. Die von Kunden erlebte Beratung und Dienstleistung ist ein entscheidender Faktor. Dabei gilt es, sich insbesondere auf die Bedürfnisse der wichtigen Kundengruppen zu konzentrieren. Die Patienten erwarten in der Apotheke eine Komplettberatung. Ansatzpunkt ist häufig die ärztliche Verordnung und OTC-Arzneimittel sind eine wichtige Therapieergänzung und -empfehlung. Die Apotheke muss sich als ganzheitlicher Gesundheitsdienstleister verstehen und dabei die Kundeninteressen hinsichtlich Sortiment, Qualität und Preis beachten. Die Sortimente sind qualitativ und quantitativ zu überarbeiten.
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Ansatzpunkte eines dosierten Preiskonzepts
Je nach Wettbewerbssituation muss eine Apotheke auch bei den Preisen Flexibilität an den Tag legen. Ziel eines solchen Konzepts muss es sein, dass die Apothekenleistungen ihren Preis wert sind und der Kunde sich fair behandelt fühlt. Im wirtschaftlichen Interesse der Apotheke liegt es, Rohgewinnverluste und Zusatzkosten zu begrenzen. Dabei sind nur wenige Regeln zu beachten:
- Preisnachlässe nicht wie mit der Gießkanne über das gesamte OTC-Sortiment ausschütten. Sind die Nachlässe gering, nimmt der Kunde sie nicht wahr oder würdigt sie nicht, sind sie hoch, erleidet die Apotheke zu große Ertragseinbußen.
- Angebote sollten sich auf wenige Produkte beziehen, regelmäßig sind dies sogenannte Indikatorartikel, d.h. durch Werbung vorverkaufte Top-Marken.
- Aus einer überschaubaren Produktliste werden zu einem Zeitpunkt fünf bis höchstens zehn Präparate mit Preisangeboten versehen.
- Die beworbenen Produkte wechseln in einem bestimmten Turnus, beispielsweise monatlich. Die Angebote sind dabei nach Zeit und/oder Menge zu begrenzen.
- Ist eine Aktion durchge-führt, werden für diese Produkte wieder die bisherigen Preise verlangt.
- Indirekte Preisvorteile werden mit eingebunden.
Zu den indirekten Preisvorteilen zählt alles, was nicht unmittelbar den Preis eines Produktes verändert:
- So kann preisbewussten Patienten eine preiswerte Produktalternative angeboten werden.
- Preisnachlässe werden nur für kurzfristig ins Sortiment aufgenommene Produkte gewährt, das sind z.B. besondere Packungsgrößen wie die kleine „Schnuppergröße“ oder die große „Vorratspackung“.
- Sonderpreise können für Paketlösungen kalkuliert werden, die einzelne Produkte sinnvoll miteinander kombinieren.
- Gutscheine und Coupons animieren die Kunden dazu, in die Apotheke zu kommen. Sie haben weiter den Vorteil, dass sie den Kunden ein Sparerlebnis verschaffen, ohne den Preis und damit die Werthaltigkeit eines Produktes zu reduzieren.
- Boni und Rabatte sollten nur in Verbindung mit Kundenbindungsinstrumenten gewährt werden.
Preisaktivitäten müssen sich nicht nur auf Preissenkungen konzentrieren. Bei bestimmten, nicht so im Blickpunkt stehenden Produkten können die Preise als Ausgleich auch heraufgesetzt werden.
Preiswerbung
Preissenkungen und andere Vorteile müssen gegenüber den Kunden kommuniziert werden. Besonders wirkungsvoll geschieht dies im Einzelgespräch durch persönliche Empfehlung. Gezielte Aktionen können Stammkunden durch ein Mailing direkt mitgeteilt werden. An alle Kunden wenden sich Plakate im Schaufenster, Aufsteller in oder vor der Apotheke, Handzettel, Beilagen in Kundenzeitschriften und dergleichen Dinge mehr.
Werbung außerhalb der Apotheke sollte professionell gestaltet werden. Es bieten sich Postwurfsendungen und Zeitungsanzeigen an. Zeitungsanzeigen sind teuer; die Kosten hängen von der Art der Zeitung sowie von Auflagenstärke, Erscheinungstag, Platzierung und Größe ab.
Die Werbung sollte farbig sein, mit Produktbild, einer großen Preisangabe und dem Ausweis des Preisvorteils. Zeitungsanzeigen werden am besten immer an der gleichen Stelle platziert. Die Werbung sollte sich in der Offizin wiederholen, sei es an den Regalen, durch entsprechende Ständer oder im Schaufenster. Alle Mitarbeiter müssen darüber informiert werden, welche Aktion gerade aktuell ist.
Werbemaßnahmen sind auch unter Effizienzgesichtspunkten zu prüfen: Wie hoch sind anfallende Kosten, in welcher Beziehung stehen sie zur erwarteten Werbewirkung, welche Zielgruppen sollen und werden durch die Maßnahme erreicht?
Geld sparen lässt sich durch Gemeinschaftswerbung. Dabei ist jedoch Vorsicht geboten. Nach Kartellrecht sind Absprachen unzulässig, die den Wettbewerb beschränken und zugleich die – regionalen – Marktverhältnisse maßgeblich beeinflussen. Auch die Absprache einheitlicher Preissenkungen bei einer Mehrheit von Betrieben im lokalen Markt ist verboten.
Fazit
Eine erfolgreiche OTC-Politik ist mehr als Preispolitik. Eine gut durchdachte Preispolitik muss eingebettet werden in das Gesamtkonzept der Apotheke und zusammen mit ihm kommuniziert werden. Der wirtschaftliche Erfolg setzt auch eine Sichtwahloptimierung und darauf angepasste Präsentation voraus. Auf den Prüfstand kommt das eigene Verhalten, wenn im Umfeld der Apotheke preisoffensive Mitbewerber auftauchen. Damit beschäftigt sich ein Folgeartikel.
Dipl.-Volkswirtin Ursula Hasan-Boehme,
Steuerberaterin,
TREUHAND HANNOVER GmbH,
Steuerberatungsgesellschaft,
30519 Hannover,
E-Mail: ursula.hasan-boehme@treuhand-hannover.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2009; 34(05):5-5