Claudia Mittmeyer
?Welche negativen Folgen für die Gesundheit der Patienten kann aus Ihrer Sicht der weitgehende Ausschluss der rezeptfreien Arzneimittel aus der GKV-Erstattung haben?
Die im Jahre 2004 erfolgte grundsätzliche Ausgrenzung der OTC-Präparate aus der Erstattungsfähigkeit der GKV knüpfte an das Kriterium der Rezeptpflicht an, um eine klare Regelung ohne Interpretationsspielräume zu schaffen. Die Maßnahme war durch den Gesetzgeber als reines Kostendämpfungsinstrument angelegt. In der Sache ist dieses Instrument untauglich, da die Rezeptpflicht lediglich auf einer Risikobewertung beruht und daher nicht als Kriterium für die Erstattungsfähigkeit geeignet ist.
Von den Verbrauchern wurde diese Maßnahme des Gesetzgebers überwiegend nicht oder nicht richtig verstanden und demzufolge falsch gedeutet. Durch das gesundheitspolitisch verfehlte Anknüpfen der Erstattungsfähigkeit an die Rezeptpflicht wurden nicht rezeptpflichtige Arzneimittel in den Augen der Verbraucher diskreditiert, weil sie das so verstanden haben, dass gerade bei diesen Arzneimitteln der therapeutische Nutzen und die Sinnhaftigkeit der Anwendung infrage gestellt wurden.
Auf Seiten der Ärzte hat der Wegfall der Erstattungsfähigkeit dieser Arzneimittel, der Wegfall der sogenannten OTC-Erstattungsfähigkeit, zu einem Einbruch der ärztlichen Verordnungstätigkeit bei diesen Präparaten geführt, der jedoch u.a. aus dem oben genann- ten Grund nicht durch eine entsprechend ausgeweitete, insbesondere arztgestützte Selbstmedikation der Patienten kompensiert wurde. Tatsächlich aber waren und sind rezeptfreie Arzneimittel in vielen Fällen das Mittel der Wahl. Dies wurde auch seitens der Politik und des Gesetzgebers anerkannt und darauf hingewiesen, dass es eine ethische Verpflichtung des Arztes gibt, rezeptfreie Arzneimittel auch weiterhin in den Fällen einzusetzen, in denen sie aus therapeutischer Sicht adäquat sind. In solchen Fällen ist der Arzt gehalten, nicht auf die Verordnung rezeptpflichtiger Präparate auszuweichen, nur weil diese erstattungsfähig sind.
Hinter dieser klaren Zielvorgabe des Gesetzgebers, die nicht zuletzt darauf beruht, den Patienten vor unnötigen Risiken in der Arzneitherapie zu bewahren, sehen wir einen wichtigen gesundheitlichen Nutzen der Verbraucher. Der prädestinierte Weg, um diesen Gedanken Rechnung zu tragen, ist die Verwendung des Grünen Rezepts zur Verordnung rezeptfreier Arzneimittel in der ärztlichen Praxis.
?Mit welchen Maßnahmen können die Apotheken die Nutzung des Grünen Rezepts verstärken?
Bei der Abgabe verordneter Arzneimittel auf Grünem Rezept oder anderem Rezept tritt der Apotheker auch als Mittler zwischen Arzt und Patient auf. Neben der Beratung zu pharmazeutischen Fragen kann bei der Belieferung Grüner Rezepte auf Patientenseite auch noch einmal Erklärungsbedarf hinsichtlich der fehlenden Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung oder bezüglich des grundsätzlichen Stellenwerts rezeptfreier Arzneimittel auftreten. Hierbei ist es wichtig, dem Patienten die Sicherheit zu geben, dass die Verordnung auf Grünem Rezept eine besondere Form einer vollwertigen Therapieempfehlung darstellt, die allerdings aufgrund einer rein fiskalisch bedingten Sparmaßnahme des Gesetzgebers nicht durch die Krankenversicherung in der Form der Kostenübernahme mitgetragen wird. Im Einzelfall ist es dann in die Kompetenz des Apothekers gestellt, das noch einmal zu erläutern und, wie bei einer Verordnung zu Lasten der Krankenkassen, die ärztliche Therapieempfehlung mitzutragen oder zu hinterfragen.
In Richtung der verordnenden Ärzte kann der Apotheker seine praktischen Erfahrungen im Umgang mit den Apothekenkunden bei der Abgabe rezeptfreier Arzneimittel an die Ärzte in seinem regionalen Umfeld und seine wichtigsten Verordner widerspiegeln. Auf diese Weise kann er dazu beitragen, das Verordnungsverhalten auf Grünem Rezept zu optimieren und die Ärzte darin zu bestärken, dort, wo es medizinisch angemessen ist, das Grüne Rezept zur Therapieempfehlung mit einem nicht erstattungsfähigen, aber trotzdem geeigneten Arzneimittel zu verwenden.
Denkbar sind darüber hinaus auch ganz pragmatische Ansätze, wie sie in einigen Regionen bereits gelebt werden, wo die Apotheker ihrerseits den Dialog mit der Ärzteschaft in der Umgebung suchen und die Ärzte auch durch die Verteilung von Rezeptformularen zur Therapieempfehlung an die Patienten unter Verwendung des Grünen Rezepts motivieren.
?Wie können die Apotheken darüber hinaus dem dramatischen Rückgang der Selbstmedikation entgegenwirken?
Die Beratung in Sachen Selbstmedikation ist die ureigenste Domäne der Apothekerschaft. Hier kann der Apotheker seine Fachkompetenz und den Vertrauensvorschuss, den er seitens der Kunden genießt, dazu einsetzen, in verantwortungsvoller Weise die Verwendung von Selbstmedikationspräparaten zu fördern. Umfrageergebnisse belegen, dass in weiten Teilen der Bevölkerung die Bereitschaft ebenso wie die finanziellen Mittel gegeben sind, eigenverantwortlich ihre Gesundheit zu fördern und Gesundheitsstörungen auch mit selbst gekauften Arzneimitteln zu behandeln. Dieses Potenzial zu nutzen, liegt somit nicht nur im eigenen Interesse der Apotheken, sondern auch im wohlverstandenen Patienteninteresse.
Der Apotheker hat ein Sortiment qualitativ hochwerti-ger und nutzbringender OTC- Präparate in Kombination mit einem hochqualifizierten Beratungsangebot aufzuweisen. Dieses „Selbstmedikations-Service-Paket“ den Apothekenkunden auch aktiv näherzubringen, ist somit im Interesse der Verbraucher und entspricht deren Erwartun-gen an eine kundenorientierte Apotheke.
Konkrete Maßnahmen im Gestaltungsbereich des Apothekenteams, mit denen Impulse für den Selbstkauf von Arzneimitteln und Beratungsangebote gesetzt werden können, beziehen sich auf die The-men und Produktpräsentationen im Schaufenster ebenso wie auf die Gestaltung des Sicht- und Freiwahlbereichs in der Apotheke und auf die damit gelebte und demonstrierte Beratungskompetenz des Apothekenteams.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2009; 34(08):4-4