Führung

Die Apotheke braucht Indianer


Klaus Hölzel

In deutschen Apotheken arbeiten etwa 80.000 PTAs. Sie machen zum großen Teil verlässlich ihren Job und bilden das Rückgrat der Apotheke. Da Aufstiegschancen für sie kaum gegeben sind, kümmern sich die Apotheken-Chefs häufig zu wenig um sie.AWA 15.09.2009

Stellen Sie sich ein Indianerdorf vor. Indianer brauchen Häuptlinge, an denen sie sich orientieren können. Umgekehrt brauchen Häuptlinge Indianer, sonst hätten sie kein Volk und somit keine Macht und keine Unterstützung bei ihren Vorhaben. In der Apotheke verhält es sich im Grundsatz nicht viel anders. Der Häuptling – also der Inhaber – kann ohne seine Indianer – seine PTAs – die Apotheke kaum betreiben. Diese zu vernachlässigen, ist daher ein schwerer Fehler.

Häuptlinge suchen Häuptlinge

Die meisten Führungskräfte, die Personal einstellen, schauen sich in erster Linie nach den „High Potentials“ um, den vermeintlich Besten. Der Lebenslauf muss mustergültig, die Noten sollten sehr gut sein. Doch dies kann sich als Bumerang erweisen, wenn die überdurchschnittlich gute PTA bald merkt, dass sie im Team an ihrem neuen Arbeitsplatz keinerlei Entfaltungsmöglichkeiten vorfindet.

Bevor Apothekeninhaber mit der Stellenausschreibung beginnen, sollten sie sich also Gedanken machen, wer die Idealbesetzung für die freie Stelle ist. Häufig kommen sie dann zu dem Ergebnis, dass eine PTA ohne Prädikatsabschluss oder große Karriereambitionen die bessere Wahl ist. Personalberater empfehlen bereits seit einigen Jahren, es komme darauf an, den ganzen Menschen zu sehen, nicht nur die schulischen Leistungen. Denn Bewerber mit Motivation und Engagement können so manche Schwäche in anderen Bereichen ausgleichen. Zudem muss der Chef das Apotheken­team als Ganzes sehen und abwägen, welche „Rolle“ dort zu besetzen ist. Ein Indianerdorf, in dem mehrere Bewohner nach einer herausgehobe­nen Stellung trachten, ist wohl kaum ein friedliches Dorf.

Aufschlussreiches Vorstellungsgespräch

Um möglichst viel über die Persönlichkeit des Bewerbers zu erfahren, sollte man ihm viele Informationen über den schriftlichen Lebenslauf hinaus „entlocken“. Beginnt man das Vorstellungsgespräch mit der Aufforderung „Erzählen Sie doch einmal etwas über sich“, wird oft klar, was dem Bewerber wirklich wichtig ist. Man lockt ihn aus der Reserve, indem man ihm verschiedene konkrete Situationen aus dem Apothekenalltag vorgibt und fragt, wie er reagieren würde: Was tun Sie, wenn Sie jemanden im Team nicht leiden können? Eine Kollegin ist länger in der Apotheke aber wesentlich jünger als Sie und erhält eine begehrte Aufgabe – was denken Sie? Sie haben einen Fehler gemacht, wie gehen Sie damit um? Es ist Samstag, die Offizin ist voll, die Kunden werden ungeduldig – wie reagieren Sie?

Indianer sind verlässlich

Oft werden PTAs als „B-Player“ oder „Angestellte zweiter Klasse“ gesehen, da sie in der Hierarchie hinter den Approbierten stehen. Dabei leisten sie solide Arbeit, ohne groß aufzufallen. Sie drängen sich häufig nicht in den Vordergrund, weil sie etwa als Teilzeitmitarbeiterinnen oft gar kein Interesse daran haben, Führungsaufgaben zu übernehmen.

Vor allem in Kon­junkturkrisen sind „normale Mitarbeiter“ äußerst wertvoll für kleine Unternehmen wie die Apo­theken: Sie kennen die Abläufe in der Apotheke oft am besten, da sie bereits viele Jahre oder gar Jahrzehnte zum Team gehören. Und vor allem sind sie loyal: Selbst wenn die Apotheke in der Krise steckt, halten sie ihr meist die Treue.

Vier Typen von Indianern

Experten haben sich diese Indianer oder „B-Player“ genauer angesehen und vier verschiedene Typen ausgemacht:

  • Verdeckte Häuptlinge: Sie hätten das Zeug zum Häuptling, doch Arbeit und Karriere stehen bei ihnen nicht an erster Stelle. Stattdessen kümmern sie sich lieber um ihre Familie oder ihre Freizeitaktivitäten. Wenn nötig, könnten sie eine herausgeho­bene Stellung, z.B. als Back-Office-Chefin, einnehmen.
  • Ehrliche Indianer: Sie gehen vollkommen in ihrem Fachgebiet auf und streben danach, inhaltlich voranzukommen, zum Beispiel indem sie zusätzliches Fachwissen sammeln. An Führungsverantwortung haben sie kein Interesse.
  • Netzwerker: Sie haben zu allen Kollegen guten Kontakt. Sie kennen die Regeln und Werte, die in ihrem Unternehmen gelten. So sorgen sie für Zusammenhalt und fungieren gerne als Ratgeber für den Chef.
  • Mittelmäßige Indianer: Sie arbeiten unauffällig vor sich hin und schaffen ein durchschnittliches Arbeits­pensum. Meist sind sie ihrem Chef gegenüber sehr loyal.

Auch Indianer haben Ansprüche

Ein Apothekeninhaber sollte die Leistungen seiner PTAs nicht als selbstverständlich hinnehmen, auch wenn jede am richtigen Platz ist und das Team zurzeit harmoniert. Denn völlig anspruchslos sind auch Indianer nicht. Obwohl sie keine Führungsverantwortung übernehmen wollen, sehnen sie sich doch meist nach Abwechslung durch inhaltliche Herausforderungen. Im jährlichen Personalgespräch sollten Ziele und Aufgaben besprochen werden. Denn PTAs, die nicht im Mittelpunkt stehen wollen, könnten Probleme damit haben, von sich aus ihre Wünsche und Ideen hervor­zubringen.

Fach- statt Führungskarriere

Große Apotheken sind mittlerweile dazu überge­gangen, nicht nur Führungs­karrieren, sondern auch Fachkarrieren anzubieten. Dabei übernehmen die Mitarbeiter keine Personal­verantwortung, sondern vermehren ihr Wissen in bestimmten Bereichen. Es ist sinnvoll, dies auch den PTAs anzubieten: Da sie kaum Aufstiegschancen haben, können sie sich durch entsprechende Weiterbildungen Spezialwissen aneignen und eigene Auf­gabenbereiche übernehmen.

Um das angeeignete Wissen auch zu würdigen, sollten Häuptlinge ihren Indianern eine Bühne bieten, auf der sie ihr Wissen darstellen können. Verdeckte Häuptlinge können zu Mentoren jüngerer Kollegen gemacht werden und ihre Begabungen so zum Vorschein bringen. Spezialisten können ihr Fachwissen auch außerhalb der Apotheke, etwa durch Vorträge oder in Selbsthilfegruppen, anwenden.

Berühmte Indianer

Dass Häuptlinge nicht ohne Indianer auskommen und dass auch Indianer durchaus berühmt werden können, zeigt ein Exkurs in den Sport. Auch im Sport hängt der Erfolg der Top-Athleten oft von der Leistung der Frauen und Männer in der zweiten Reihe ab. Im Radsport bewundern wir die nicht gedopten Ausnahmeathleten, doch im Hintergrund tragen Teamkollegen ebenso maßgeblich zum Mannschaftssport bei, wenn auch weniger öffentlichkeitswirksam. Neben den Sprintern und Bergbezwingern übernimmt selbst der sogenannte Wasserträger im Radsport eine wichtige Aufgabe: Er versorgt den Chef mit allem, was er im Rennen benötigt. Er wartet bei einem Sturz oder Defekt und sorgt dafür, dass der Kapitän im Windschatten wieder Anschluss findet.

Eine Apotheke ist nur so gut wie der letzte Indianer, der gerade noch dem Leistungsanspruch genügt. Ihn beziehungsweise sie zu fördern, gehört zu den wichtigsten Führungsaufgaben des Apothekenleiters. Wer dem nicht nachkommt, wird sich immer wieder auf die Suche nach Indianern machen müssen. Und Indianer sind nicht überall in ausreichender Zahl vorhanden. Aber wir brauchen sie.

Dipl.-Volkswirt Klaus Hölzel,
Apotheken Management-Institut GmbH,
65375 Oestrich-Winkel,
E-Mail: sekreteriat@apothekenzukunft.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2009; 34(18):5-5