Claudia Mittmeyer
?Ist – insbesondere angesichts der widerstreitenden gesundheitspolitischen Vorstellungen von FDP und CSU – tatsächlich eine „große Reform“ des Krankenversicherungssystems zu erwarten oder eher ein „kleines Reförmchen“?
Im Koalitionsvertrag haben sich FDP und CSU/CDU klar gegen eine Einheitskasse und gegen eine staatliche Zentralisierung des Gesundheitswesens ausgesprochen. Dies ist zunächst einmal ein positives Zeichen für mehr Wettbewerb und Wahlfreiheit im Gesundheitswesen. Vor dem Hintergrund der demografisch zu erwartenden Mehrausgaben im Gesundheitswesen wird zukünftig die Deckung der Finanzierungslücke immer relevanter. Durch das Umlageverfahren kann dieser Finanzierungslücke nicht begegnet werden. Auch ist eine einheitliche Festlegung des Beitragssatzes abzulehnen. Durch die gesetzliche Fixierung eines einkommensabhängigen, kassenübergreifenden Beitragssatzes werden die Krankenkassen in ihrer Freiheit, über die Prämienhöhe in gegenseitigen Wettbewerb zu treten, beschnitten.
Aus diesem Grund muss aus meiner Sicht das System grundsätzlich geändert werden. Durch eine Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherungen, die dann mit den privaten Kassen als gewinnorientierte Unternehmen in Wettbewerb treten können, kann man das System zukunftsfähig gestalten. Dies schließt die Abkehr vom Gesundheitsfonds und vom Umlageverfahren hin zu einer Umstellung auf ein Kapitaldeckungsverfahren mit ein. Ein Regelleistungskatalog und eine generelle Versicherungspflicht sowie die Unterstützung ökonomisch Schwacher müssen ebenfalls Bestandteile eines neuen Versicherungssystems sein.
Es ist davon auszugehen, dass derartig weitreichende Änderungen nicht durch die neue Bundesregierung umgesetzt werden. Politische Entscheider haben auch immer ihre Wähler und zukünftige Wählerstimmen im Visier. Erste Ansätze wie mehr Beitragsautonomie für Krankenkassen und einkommensunabhängige Beiträge werden sich hoffentlich durchsetzen.
?Wie wird sich Ihrer Ansicht nach die Zukunft der öffentlichen Apotheken unter Schwarz-Gelb gestalten?
Eine Abkehr vom Mehr- und Fremdbesitzverbot ist in naher Zukunft nicht zu erwarten. Dies führt dazu, dass öffentliche Apotheken nicht in einem stark wettbewerblichen Umfeld agieren müssen. Die Gefahr neuer Wettbewerber besteht zunächst nicht. Das geplante Verbot von sog. Pick- Up-Services wird die Marktposition der öffentlichen Apotheken weiter stärken.
Aus ordnungspolitischer Sicht wäre eine Öffnung des Apothekenmarktes durch die neue Bundesregierung zu begrüßen gewesen. Auch spricht nichts dagegen, dass Kapitalgesellschaften Apotheken erwerben dürfen. Durch eine Liberalisierung des Apothekenmarktes kann sich mehr Wettbewerb als Such- und Entdeckungsverfahren entfalten. Auf Seiten der Versicherten/Kunden beständen dann mehr Wahlmöglichkeiten und der Versicherte könnte die Entscheidung treffen, wie er sich mit Arzneimitteln versorgt.
Unabhängig von der Bundesregierung ist auch die Frage spannend, wie sich der Europäische Gerichtshof zukünftig zum Fremdbesitzverbot positioniert. Der EuGH hat in seinen Urteilen bejaht, dass das Fremdbesitzverbot die Niederlassungsfreiheit sowie den freien Kapitalverkehr des EG-Vertrags einschränkt. Gerechtfertigt hat der EuGH diesen Eingriff mit der Sicherstellung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Im Rahmen einer generellen Tendenz zur Anwendung des EG-Vertrages auf das Gesundheitswesen ist hier, zumindest in ferner Zukunft, eine Trendwende nicht auszuschließen.
?Welche Maßnahmen sollten die Apotheker ergreifen, um ihre Position im Gesundheitswesen langfristig zu sichern und eventuell sogar auszubauen?
Apotheker sollten sich an den Bedürfnissen ihrer Kunden/ der Versicherten orientieren. Da in Zukunft mit mehr Zuzahlungen oder Eigenleistungen der Versicherten zu rechnen ist, wird der Anspruch der Versicherten an Apotheker zunehmen. Auch im OTC-Bereich ist zukünftig mit weiterem Wachstum zu rechnen. Bereits heute werden im OTC-Bereich ca. 6 Milliarden Euro umgesetzt.
Im Wettbewerb werden sich unterschiedliche Antworten auf die zukünftigen Herausforderungen herauskristallisieren. Service-Orientierung und die Spezialisierung auf die Beratung der Versicherten im Rahmen der Versorgung mit Arzneimitteln können eine mögliche Strategie sein. Auch Kooperationsstrategien und Bildung von Verbünden sowie der Einstieg in den Versandhandel sind mögliche Strategien für Apotheker.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2009; 34(22):3-3