Klaus Hölzel
In der Betriebswirtschaft umschreibt der Begriff des unternehmerischen Risikos die Tatsache, dass ein Betrieb scheitern kann. Dem Pharmazeuten mit naturwissenschaftlicher Ausbildung macht diese Denkweise eher Angst. Das Ergebnis ist der untaugliche Versuch, die Apotheke möglichst mit null Risiko zu starten, und die trügerische Hoffnung, von riskanten Situationen möglichst verschont zu bleiben.
Dabei nehmen Apotheker, wie viele andere Kaufleute auch, Risiken oft auf verzerrte Weise wahr. Sie überschätzen die Gefährdung durch spektakuläre Probleme wie eine Neueröffnung am eigenen Standort und unterschätzen die ganz „normalen“ Desaster, die im Alltag häufiger vorkommen.
Auf dieses Phänomen trifft man in der Gesellschaft immer wieder. So ist die Wahrscheinlichkeit, bei der Autofahrt von Wiesbaden nach Frankfurt tödlich zu verunglücken, wesentlich höher als jene auf dem anschließenden Flug nach Paris. Häufig wird einem als Antwort auf diese Rechnung jedoch entgegnet, dass man dem Piloten hilflos ausgeliefert sei, während man davon überzeugt ist, dass Autofahren ganz der eigenen Kontrolle unterliege.
Risiko senken durch Gruppenbildung
Ein typisches Verhalten bei drohender Gefahr zeigten Apotheker in den letzten Jahren, als sie sich entschlossen, einer Kooperation beizutreten. In der Gruppe fühlten sich manche sicherer vor einem befürchteten Systemwechsel. Wäre jedoch allein die Risikoverringerung das Eintrittsmotiv in eine Gruppierung, dann hätte es nie einen solchen Zulauf gegeben. Heute wägen viele Kooperationsmitglieder wesentlich gelassener die Vor- und Nachteile ihrer Mitgliedschaft ab.
Nun wäre es falsch, Ängste der Apotheker als abwegig und irrational abzustempeln. Vielmehr geht es darum, diese Ängste zu verstehen. Warum haben Apotheker vor bestimmten Risiken mehr Angst als vor anderen? Nur wenn man dies herausfindet, kann man dabei helfen, mit diesen Ängsten richtig umzugehen. Die folgenden Situationen dienen dazu, das Risiko treffender einzuschätzen.
Die Illusion der Kontrolle
Wir bevorzugen Risiken, von denen wir meinen, dass wir sie durch unser Handeln kontrollieren können, und fürchten Risiken, denen wir uns hilflos ausgeliefert fühlen. Im Prinzip ist das sinnvoll, manchmal aber auch nicht. So glauben manche Inhaber, in der Kundenberatung sicherer zu sein als eine speziell fortgebildete HV-Mitarbeiterin. Der Chef meint, er habe im Gespräch mit dem Kunden alles unter Kontrolle. Objektiv verfügt er aber über weniger Wissen und vielleicht sogar weniger Kommunikationsvermögen.
Die Gefahr des Bösen
In unsere Risikoabschätzungen fließen Werturteile mit ein. Wir überbewerten die Gefahren von verpönten und unterschätzen jene von geachteten Aktivitäten. Eine Discount-Neueröffnung in unserer Stadt halten wir für viel riskanter als die verbesserte Heimversorgung durch einen Kollegen.
Die überholte Blitzreaktion
In akuter Bedrängnis rasch zu reagieren ist ein Überlebensinstinkt. Die Evolution hat uns mit genetisch verankerten emotionalen Programmen versorgt, die uns ermöglichen, in Notsituationen blitzschnell zu handeln. Die Krux: Sofortiges Senken der OTC-Preise, nur weil ein Mitbewerber damit beginnt, ist konzeptlos. Die Instinkte versagen jedoch, wenn ein Kollege zunächst ganz klein beginnt, einen regionalen Versandhandel aufzubauen.
Die schlimmen Bilder
Furchterregende Geschehnisse bleiben im Gedächtnis haften – auch dann, wenn wir sie gar nicht selbst erlebt haben. Katastrophenbilder prägen sich ein und beeinflussen die Gefahrenabwägung. Denn derlei spektakuläre Risiken kommen einem aufgrund der vielen im Gedächtnis abgelegten Schreckensbilder vertraut vor – und unser Gehirn richtet sich nach der Faustregel: Vertraute Ereignisse sind wahrscheinliche Ereignisse. Fotos von Kundenmassen in Drogeriemärkten sind ein solches Beispiel.
Die Wiederholung macht’s
Wir unterschätzen kumulierte Risiken: Wer sich einmal betrunken ans Steuer setzt, kommt vielleicht durch – wer dies zehnmal tut, hat schlechtere Karten. Und wer mehrmals an der Apothekenbetriebsordnung vorbei handelt, fällt der Umgebung irgendwann auf.
Das lange Zögern
Häufigster Fall der Risikoabwägung ist die sogenannte Lebensentscheidung, etwa für den Kauf einer neuen Apotheke. Das Risiko wird viel zu lange abgeschätzt. Am Ende greift ein Kollege zu. Dann setzt im Gehirn die Neigung ein, das Risiko zu vervielfachen.
Die Freude am Risiko
Apothekenleiter unterscheiden sich auch durch das Maß ihrer Risikobereitschaft. Impulsive Persönlichkeiten suchen mehr Nervenkitzel als ängstliche. Jüngere Leute sind oftmals abenteuerlustiger als ältere.
Der Stress durch Risiko
Chronisches Angstgrübeln bedeutet chronischen Stress – ein Alarmzustand im Organismus, der auf Dauer zu physiologischem Ungleichgewicht, einer Schwächung des Immunsystems, zu Depressionen, Bluthochdruck und Gefäßkrankheiten führen kann. Wohl dem, der sich daran zu gewöhnen vermag, dass die Apothekenwelt noch nie ein gefahrloser Ort für Kaufleute war.
Trügerische Sicherheit ist ein Teil des Apothekerdaseins. Die Risikominimierung wird durch Steuerberater, Unternehmensberater und manche Kollegen gefördert. Hier werden Sicherheiten angeboten, die manchmal schmerzlich sein können, weil sie Geld und Zeit kosten. Die eigene Mehrarbeit in der Apotheke ist ein Beispiel für Freizeitverlust. Der Vorzug eines brillanten Filialleiters vor einem Hochschulabsolventen kostet Geld. Diese Art der Risikominimierung wird vielfach nicht genutzt.
Illusion der Gewissheit
Damit bleibt es dabei, ein bestimmtes Maß an Risiko eingehen zu müssen. In der heutigen Zeit ist es wichtig zu verstehen, dass Sicherheit fast nie erreichbar ist und dass Risiken zum Teil auch in den Köpfen entstehen. Mehr Informationen würden vielleicht nicht bei jedem sofort dazu führen, sein Risikoverhalten zu verändern. Aber sie könnten bewirken, dass Ängste abgebaut werden. Um nicht der Illusion der Gewissheit zu erliegen, hilft es auch, sich immer wieder einen Satz vor Augen zu führen, den Benjamin Franklin im November 1789 formulierte: „In dieser Welt ist nichts gewiss außer dem Tod und den Steuern.“
Dipl.-Volkswirt Klaus Hölzel,
Apotheken Management-
Institut GmbH,65375 Oestrich-Winkel,
E-Mail: sekretariat@apothekenzukunft.de
Buchtipp
Lachnit, Laurenz und Müller, Stefan: Unternehmenscontrolling: Managementunterstützung bei Erfolgs-, Finanz-, Risiko- und Erfolgspotenzialsteuerung, Gabler-Verlag Wiesbaden, 2006, 38,90 € Erben, Roland und Romeike, Frank: Allein auf stürmischer See: Risikomanagement für Einsteiger, Wiley-VCH, 2006, 15,00 € zu beziehen über den Deutschen Apotheker Verlag (Telefon: 0711/2582 341, Telefax: 0711/2582 290, E-Mail: service@deutscher-apotheker-verlag.de).
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2009; 34(22):10-10