Veränderungs-Management

Der Chef in der Sackgasse


Klaus Hölzel

Der Apothekenalltag läuft in geregelten Bahnen, nach unruhigen Lehr- und harten Arbeits­jahren ein erstrebenswerter Zustand. Doch nun regt sich der Verdacht, in der Sackgasse gelandet zu sein. Der Status quo lässt die Persönlichkeit stagnieren, der Chef ist festgefahren.

Das Gefühl der Stagnation kann den eigenen Lebensstil als Ganzen betreffen oder wesentliche Bestandteile des Lebens, so auch Beruf und Arbeit. Oft nimmt der Apothekeninhaber die äußeren Um­stände, die dieses Gefühl widerspiegeln, zunächst einmal nicht deutlich wahr: Die Apotheke läuft seit Jahren in den gleichen Bahnen mit dem nahezu gleichen Team. Die Apothekenleitung ist zur Routine geworden und die Wochen und Monate vergehen in immer demselben Ritual. Die Kundenzahl stagniert seit Langem, Umsatz und Gewinn sind leicht rückläufig und das Team engagiert sich gerade so viel wie nötig.

Die Bequemlichkeitsfalle

Im Grunde ist die Situation angenehm. Alle Abläufe in der Apotheke sind irgendwie geregelt, sicher und überschaubar. Die Zusammenarbeit im Team läuft nicht gerade toll, aber dramatisch schlecht ist sie auch nicht. Eine Zeit lang – vielleicht mehrere Jahre – redet sich der Chef ein: Es läuft doch und man kann nicht alles haben. Immer gleiche Rituale haben auch Vorteile. Dabei merkt der Chef lange nicht, dass er eigentlich in einer Bequemlichkeitsfalle sitzt.

Die Frustrationsschwelle

Doch ab einem gewissen Punkt kommt der Apothekeninhaber ins Grübeln, erste Zweifel plagen ihn. Dann steht im sel­ben Stadtviertel die Eröffnung einer Apotheke an, direkt angegliedert an ein neu­es kleines Einkaufszentrum. Der Chef ist frustriert und fühlt sich überrumpelt. Und er ertappt sich dabei, wie er sich selbst für seine Schwäche und Bequemlichkeit verachtet. Er merkt jetzt, dass er insgeheim auf ein solches Ereignis, das seine Blockade löst, gewartet hat und ärgert sich gleichzeitig, nicht selbst schon früher aktiv geworden zu sein.

Warum scheuen viele Kaufleute die Risiken und Konflikte, die eine Veränderung mit sich brächte? Sie fürchten, das sorgsam austarierte Gleichgewicht zwischen eingefahrenen Abläufen und einem vagen Risiko zu verlieren, das doch irgendwie noch erträglich erscheint. Und sie fürchten, dass ihnen bei den notwendigen Veränderungen Enttäuschung und viel Unverständnis des Teams entgegenschlagen. Die Bequemlichkeitszone gibt eben Sicherheit. Doch ist die Frustrationsschwelle einmal erreicht, muss sich der Betroffene fragen, wie sich die Trägheit und Starre außer Kraft setzen lassen.

Kritische Fragen an sich selbst

Um die Stagnation zu überwinden, braucht der Apothekenchef zunächst bestimmte Einsichten. Er sollte eine Reihe kritischer Fragen beantworten, um dem Problem auf den Grund zu kommen:

  • Warum habe ich mich mit dieser nur mäßig zufriedenstellenden Situation abgefunden?
  • Wie habe ich mir die Situ­ation schöngeredet und mich davon abgelenkt, den Tatsachen direkt ins Auge zu sehen?
  • Mit welchen Tricks habe ich versucht, die Lage in der Apotheke erträglich zu gestalten, um ja nichts Entscheidendes tun zu müssen?

Mit diesen Fragen kommt er dahinter, dass er den Stillstand seiner Apotheke schlicht geleugnet hat, anstatt aus ersten Warnzeichen – wie dem rückläufigen Umsatz – Konsequenzen zu ziehen. Er gab lieber seinen Kunden die Schuld, die ihr Geld an die Versandapotheke überweisen, und den Rabattver­trägen, die ihm so viel Ver­waltungsaufwand bescheren.

Mentale Disziplin gegen die Verdrängung

Um die Vermeidungs- und Verleugnungsstrategien zu überwinden, hilft mentale Disziplin. Diese gilt es aufzubauen und zu trainieren wie einen Muskel: Selbstkritisches Urteilen, Planen und Entscheiden muss der blockierte Apotheker Schritt für Schritt erlernen. Den gefühlsgesteuerten Verdrängungsmechanismen sind rationale Überlegungen entgegenzustellen.

Zur mentalen Disziplin gehört das fortwährende Selbstgespräch, in dem sich der Betroffene selbst coacht und Mut macht: Sei kein Frosch! Pack das jetzt an! Gerade eben hast du es doch noch gewollt! Was soll schon passieren?

Vision formulieren

Der Apotheker hat – wenn auch unter Schock – begriffen, dass er jetzt handeln muss. Sonst laufen seine Kunden bald zur Konkurrenz und seine Existenz steht auf dem Spiel. Er sollte eine klare Vision für seine Apotheke nach der Veränderung entwerfen: Wo will ich mit meiner Apotheke hin? Was ist die unverwechselbare Identität meiner Apotheke? Welche Schwerpunkte passen zu meinem Kundenstamm und kann ich diese mit der jetzigen Zusammensetzung des Teams umsetzen? Welche Kompeten­zen hat mein Team, welche lie­gen vielleicht ungenutzt brach und welche muss ich gezielt ausbauen? Welche Alleinstellungsmerkmale will ich herausarbeiten, um mich von der Konkurrenz abzuheben? Welche Netzwerke und Partner (Kooperation, Großhandel, Ärz­te etc.) habe ich und wie kann ich die Beziehung zu ihnen nutzen?

Ziele klar definieren

Aus dieser Vision muss der Apotheker ganz klare Einzelziele formulieren, die im Alltag von ihm und seinem Team umgesetzt werden können. Aus der negativen Sicht („Die Kaufkraft meiner Kunden lässt durch die Krise einfach nach“) müssen positive Ziele mit dem Charakter der Selbstverpflichtung entstehen: „Durch Zusatzverkäufe im OTC-Bereich lässt sich der Korbumsatz wieder steigern. Das Team und ich werden innerhalb eines Jahres entsprechend geschult.“

Loslassen

Doch jemand, der viele Jahre verdrängt hat, wird nicht von einem auf den anderen Tag zum visionären, charismati­schen Apothekenleiter. Eine lang eingefahrene Apotheke umzugestalten ist nur zu schaffen, wenn man das Alte bewusst hinter sich lässt. Die letzte große Hürde vor der Veränderung ist das Loslassen. Der Apothekeninhaber muss unweigerlich etwas aufgeben, was er jahrelang verteidigt hat. Eine Serie von Trennungen und Abschieden gehört zwangsläufig zum Prozess der Veränderung. Zweifel werden gewiss immer wie­‑ der auftauchen, doch er muss sich bewusst machen, dass jetzt erst einmal nur Taten zählen.

Kampf gegen die Zweifel

Wenn die Gefühle des Zweifels doch einmal überhandnehmen, helfen dem Ver­än­derungswilligen folgende Tipps:

  • Leise Ironie und eine gute Portion Humor sind die besten Waffen gegen Zweifel und Bitterkeit.
  • Etwas Kreativität und Abenteuerlust im Berufsalltag helfen gegen eingefahrene Routine.
  • Mit regelmäßiger Selbstprüfung kann man feststellen, ob das Vorgehen wirklich so ist, wie man es will.
  • Eine stabile Partnerschaft oder eine Familie gibt einen festen Halt.
  • Dauerhafte Freundschaf­ten stützen das emotionale Gefüge.

Ausbrechen aus der relativen Bequemlichkeit einer Sackgasse, aus einer existenziellen Flaute ist keine leichte Sache. Der Betroffene muss auf etwas lange Gehegtes verzichten, um neue Chancen zu ergreifen und sich weiterzuentwickeln. Er muss Ängste, Schuldgefühle und Trennungsschmerzen ertragen und letztlich sein bisher gültiges Selbstbild revidieren. Dieser Prozess ist ein Merkmal eines bewegten und letztlich gelungenen Berufs­lebens: hin und wieder zu springen – ohne Garantie auf eine gute Landung.

Dipl.-Volkswirt Klaus Hölzel,
Apotheken Management-
Institut GmbH,65375 Oestrich-
Winkel, E-Mail: sekretariat@apothekenzukunft.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2009; 34(24):8-8