Claudia Mittmeyer
? Welche Änderungen am bestehenden Gesundheitssystem halten Sie aus Patientensicht für erforderlich?
Im Gesundheitssystem ist ein Paradigmenwechsel erforderlich, damit die bestehende Versorgungsqualität erhalten und verbessert werden kann. Dazu gehört:
- Ausrichtung aller Maßnahmen, aller Institutionen und Berufsgruppen der medizinisch-therapeutisch-pflegerischen Versorgung auf den Erhalt, die Förderung und die Wiederherstellung der Gesundheit für alle Bevölkerungsschichten;
- Beseitigung der unzureichenden Organisations- und Finanzierungsformen unter Berücksichtigung der Interessen der Bürger, die im Wesentlichen auch die Finanziers des Systems sind;
- Integration aller Ministerien in die Überlegungen zu den Veränderungen des Gesundheitssystems, wie Bildungs-, Wissenschafts-, Verbraucherschutz-, Wirtschafts-, Sozial- und Gesundheitsministerium, mit dem Ziel einer ganzheitlichen Ausrichtung des Themas Gesundheit bezogen auf Versorgung, aber auch erst recht auf die volkswirtschaftlichen Aspekte des Gesundheitswesens;
- umgehende Realisierung von Prävention in allen Einrichtungen und Bevölkerungsschichten wegen des steigenden Finanzbedarfs der kommenden Jahrzehnte, und zwar nicht nur bedingt durch die demografische Entwicklung, sondern beeinflusst durch innovative Technologie, steigende Anzahl der Chroniker und Multimorbiden, damit Krankheit vermieden wird und somit Kosten nicht anfallen.
Dazu gehört eine Vielzahl von Vorschlägen, die wir aus der Sicht der Versicherten als Kunden, der Patienten als Nutzer und der Bürger als Zahler machen. Maßgeblich ist:
- Der Gesetzgeber definiert messbare und vergleichbare Gesundheitsziele mit einer Verpflichtung zur Transparenz in der Versorgung;
- der Gesetzgeber sorgt für eine stärkere Einbindung nicht ärztlicher Berufe in die Prozesse der Diagnose, Therapie und Pflege;
- die Berufsgruppen und Institutionen verpflichten sich zur Zusammenarbeit, und zwar in allen Bereichen der Versorgung.
? Welche Konsequenzen erwarten Sie für die Patienten angesichts des Finanzierungsdefizits der gesetzlichen Krankenversicherung im nächsten Jahr?
Auch in der aktuellen Legislaturperiode sind die Versicherten und Patienten diejenigen, die konsequent zu mehr finanzieller Belastung gezwungen werden. Das aus unserer Sicht noch größer werdende Defizit kann wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht mehr nur aus Steuermitteln ausgeglichen werden, deshalb werden die Beitragssätze zur gesetzlichen und auch zur privaten Krankenversicherung ansteigen.
Die Rationierung von Leistungen wird weiter fortschreiten, da die Versicherungen die Ausgaben zu reduzieren versuchen. Die irrationalen und unwirtschaftlichen bürokratischen Aufwendungen werden weiter anhalten, die Strukturen werden nur partiell verändert. Kontinuierlich höhere finanzielle Belastungen stehen für die Bürgerinnen und Bürger an. Die medienwirksam als so wichtig dargestellten Qualitätsmaßnahmen bringen durch die Fokussierung auf Kostensenkung bei allen Institutionen und Berufsgruppen nur eingeschränkte Vorteile für die Versicherten und Patienten mit sich. Dagegen verlängern sich die Wartezeiten.
? In welchen Bereichen könnten Sie sich eine noch stärkere Einbindung der Apotheken in die Patientenbetreuung vorstellen und welche Möglichkeiten der Honorierung sehen Sie hierbei?
Von sehr großer Wichtigkeit zur optimalen Betreuung der Patienten und Versicherten ist die Zusammenarbeit zwischen Mediziner, Therapeut, Pflege und Apotheker. In diesem Zusammenhang sehen wir die Patienten-Compliance als einen sehr wichtigen Faktor zur Verbesserung der medikamentösen Behandlung, zur Absenkung von Risiken für die Patienten und zur Vermeidung von Kosten durch Fehlmedikation.
Durch die beratende Dienstleistung des Apothekers für den einzelnen Patienten oder Versicherten, durch die Kontaktaufnahme mit den behandelnden Medizinern und Therapeuten bezüglich einer flankierenden Beratung für den jeweiligen Patienten – nicht nur bei Medikamenten, sondern auch bei Hilfsmitteln – sowie durch die intensive Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern der Pflege wird sich das Image des einzelnen Apothekers steigern. Leistungen wie Hilfsmittel, Rehabilitationsprodukte und Pflegesysteme können auch vom Apotheker in Kooperation mit den Unternehmen der Orthopädietechnik und des Sanitätsfachhandels erbracht werden.
All dies führt zu einer stärkeren Kundenbindung und somit zu Umsatzausweitungen und weiteren Erträgen. Zu prüfen wäre zusätzlich eine Beratungsvergütung durch die Krankenkassen, da diese bei einer guten Feinabstimmung neben den Patienten und Versicherten die meisten Vorteile für sich erhalten.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2009; 34(24):3-3