Helmut Lehr
Die Eltern volljähriger und nicht behinderter Kinder können das Kindergeld u.a. nur dann beanspruchen, wenn der Nachwuchs nicht mehr als 8.004 € (Jahresgrenzbetrag) „verdient“. Übersteigen die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes den Betrag auch nur um einen Euro, geht der Anspruch verloren. Ob dieser „Fallbeil-Effekt“ rechtens ist, war lange umstritten1). Das Bundesverfassungsgericht hat mittlerweile endgültig für klare Verhältnisse gesorgt und zulasten der „Kindergeldberechtigten“ entschieden, dass die gesetzliche Regelung verfassungsgemäß ist2).
Hinweis: Nach diesem Beschluss ist es umso wichtiger, dass die Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes bereits frühzeitig unterjährig geprüft und hochgerechnet wird. Steht zu erwarten, dass die Grenze nur geringfügig überschritten wird, sollte überlegt werden, gezielten Erwerbsaufwand „zu produzieren“, um den Kindergeldanspruch zu retten. Erreicht werden könnte dies z.B. durch den zusätzlichen Kauf von Arbeitsmitteln, Fachliteratur etc., die für Ausbildung bzw. Studium benötigt werden.
Miete und Krankheitskosten geltend machen
Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hatte mit Urteil vom 29. April 20093) entschieden, dass Krankheitskosten des Kindes sowie die Kosten der Unterkunft am Ausbildungsort nicht bei der Ermittlung des Jahresgrenzbetrags abgezogen werden können. Zwischenzeitlich wurde allerdings die Revision vom Bundesfinanzhof ausdrücklich zugelassen. Damit ist – soweit ersichtlich – erstmals ein Verfahren beim Bundesfinanzhof anhängig4), in dem um die Abzugsfähigkeit der Miete am Ausbildungsort (sowie um Krankheitskosten) gestritten wird.
Hoffnung für Studenten
Zahlreiche Studenten wohnen zwar am Studienort, haben aber ihren Lebensmittelpunkt noch zu Hause bei den Eltern. Sollte der Abzug der Mietkosten in diesen Fällen tatsächlich möglich sein, könnte der Jahresgrenzbetrag trotz höherer Einkünfte/Bezüge in vielen Fällen unterschritten und der Kindergeldanspruch dadurch gerettet werden.
Hinweis: Wer sich in einem Ausbildungsdienstverhältnis befindet, kann zwar ggf. Werbungskosten im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung geltend machen, dies gilt laut Finanzverwaltung aber auch bei der Kindergeldberechnung nur für Kinder, die bereits einen eigenen Hausstand führen.
Schnelles Handeln
Generell sollte jetzt auch in solchen Fällen Kindergeld beantragt werden, in denen insbesondere durch den Abzug der Miete am Studienort/Ausbildungsort der Grenzbetrag unterschritten wird. Ablehnende Bescheide sind anzufechten und unter Hinweis auf das anhängige Verfahren ruhend zu stellen. Im Rahmen der vierjährigen Festsetzungsfrist sind auch noch rückwirkende Anträge möglich. Selbst in noch offenen Einspruchsfällen – insbesondere bei aufgrund des Fallbeil-Effekts (siehe oben) bislang ruhenden Verfahren – könnte der Ansatz der Miete noch beantragt werden.
Hinweis: In letztgenannten Fällen ist jedoch Eile geboten, weil die Finanzverwaltung diese ruhenden Einsprüche in Anbetracht des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juli 2010 (siehe oben) möglicherweise alsbald per Allgemeinverfügung (das bedeutet pauschal, ohne förmliche Bescheide im Einzelfall) zurückweisen wird.
Ausbildung auch ohne klassischen Ausbildungsberuf
Vollzieht sich die „Ausbildung“ eines Kindes außerhalb eines regulären Dienstverhältnisses, Studiums, Schulbesuchs etc., verweigert die Finanzverwaltung im Allgemeinen das Kindergeld. Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat hierzu einen sehr interessanten Fall zugunsten der Kindergeldberechtigten entschieden5).
Die Tochter des Klägers hatte mit dem Inhaber eines Friseursalons einen Arbeitsvertrag als Friseurassistentin (Vergütung: 250 €/Monat) abgeschlossen. Das Finanzamt vermutete hierin lediglich einen „Minijob“, da das Kind bei der Handwerkskammer nicht als Auszubildende gemeldet war und auch die Berufsschule nicht besuchte. Der Betrieb erklärte, es handele sich um eine zweijährige interne Ausbildung, legte einen entsprechenden Ausbildungsvertrag vor und konnte auch die Teilnahme an qualifizierten Fortbildungen vor Ort nachweisen.
Hinweis: Die Entscheidung macht deutlich, dass der Begriff der Berufsausbildung sehr weit auszulegen ist und daher in vergleichbaren Fällen selbst ohne formelles Ausbildungsdienstverhältnis ein Anspruch auf Kindergeld erreichbar sein kann.
Vollzeittätigkeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten
Ein Anspruch auf Kindergeld kann auch dann bestehen, wenn sich das Kind in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten von höchstens vier Monaten befindet. Geht der Nachwuchs in der Zeit einer geregelten Beschäftigung nach, kann sich dies allerdings negativ auf den Kindergeldanspruch auswirken, weil die erzielten Einkünfte oft zum Überschreiten des Grenzbetrags führen. Das Finanzgericht Münster hatte mit Urteil vom 31. März 20096) entschieden, dass die während der Übergangszeit im Rahmen einer Vollzeiterwerbstätigkeit erzielten Einkünfte bei der Prüfung des Kindergeldanspruchs für die übrige Zeit der Berufsausbildung nicht berücksichtigt werden – und damit den Anspruch auch nicht gefährden.
Hinweis: Der Bundesfinanzhof hat dem jetzt ausdrücklich widersprochen7) und auch für die Übergangszeit die Berufsausbildung trotz Vollzeittätigkeit bejaht. Die Einkünfte zählen daher mit und führen möglicherweise zum Wegfall des Kindergeldanspruchs.
1) Vgl. AWA -Ausgabe Nr. 24 vom 15. Dezember 2008, Steuer-Spartipp Nr. 1, Seite 17.
2) Vgl. Beschluss vom 27. Juli 2010, Aktenzeichen 2 BvR 2122/09.
3) Aktenzeichen 1 K 1843/08.
4) Aktenzeichen der Revision: III R 21/10.
5) Urteil vom 12. Juli 2010, Aktenzeichen 5 K 2542/09.
6) Vgl. AWA -Ausgabe Nr. 16 vom 15. August 2009, Steuer-Spartipp Nr. 2, Seite 18.
7) Vgl. Urteil vom 17. Juni 2010, Aktenzeichen III R 34/09.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2010; 35(19):18-18