Ursula Hasan-Boehme
Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) ist Teil eines Reformpakets. Der erste Teil besteht aus dem seit 1. August 2010 geltenden GKV-Änderungsgesetz mit der Erhöhung der Herstellerabschläge von 6% auf 16%. Zum 1. Januar 2011 trat auch das GKV-Finanzierungsgesetz in Kraft mit Erhöhung der GKV-Beiträge und Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags auf 7,3%. Beide Gesetze haben keine spezifische Relevanz für die Apotheken, dagegen wird das AMNOG deren wirtschaftliche Verhältnisse sehr stark beeinflussen. Auf die wichtigsten Wirkungen wird nachfolgend eingegangen.
Apothekenabschlag 2011 und 2012
Für 2011 und 2012 wird die im SGB V vorgesehene Verhandlungslösung über die Anpassung des Apothekenabschlags dadurch außer Kraft gesetzt, dass dieser für verschreibungspflichtige Arzneimittel gesetzlich auf 2,05 € je Packung festgelegt wird. Gegenüber dem Abschlag von 1,75 €, der 2010 überwiegend zur Anwendung gebracht wurde, errechnet sich eine Erhöhung um 0,30 €. Die Politik geht von dieser Erhöhung aus, d.h. unterstellt für 2010 einen Abschlag von 1,75 €. Dies ist nicht sicher, da für 2010 noch kei‑ ne Abschlagshöhe verbindlich gilt.
Geht man ebenfalls von einer Erhöhung um 0,30 € aus, so muss für die Wirkung auf Apothekenebene berücksichtigt werden, dass darin Umsatzsteuer enthalten ist, also die Einbuße pro Rx-Packung 0,25 € netto beträgt. Die Auswirkung für die einzelne Apotheke ist davon abhängig, wie viele GKV-Rx-Packungen abgegeben werden. Bei Westapotheken liegt die Einbuße im Durchschnitt bei rund 7.250 € pro Jahr, in den neuen Bundesländern bei etwa 8.500 €.
Ab 2013 soll es wieder eine vertragliche Abschlagsanpassung geben. Dabei werden die Änderungen der Leistungen anhand einer standardisierten Leistungsbeschreibung auf Grundlage der Verhältnisse 2011 berücksichtigt. Die Änderungen der Einnahmen und Kosten sollen für eine repräsentativ ausgewählte Anzahl von Apotheken anhand der tatsächlichen Betriebsergebnisse ermittelt werden. Fatal ist die Absicht, dass Änderungen der Leistungen der Apotheken als Folge neuer Gesetze oder aufgrund von Änderungen der Arzneimittelpreisverordnung bei dieser Überprüfung außen vor bleiben sollen. Dies steht aber nicht im Gesetz.
Großhandelsabschlag: Übergangsregelung für 2011
Die Großhandelszuschläge für rezeptpflichtige Arzneimittel werden erst ab 2012 von den bisherigen degressiven Zuschlagssätzen in ein Kombimodell umgewandelt. Danach gilt ein Festzuschlag von 0,70 € je Packung und ein Höchstzuschlag von 3,15%, maximal 37,80 €, auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers (APU) ohne Umsatzsteuer. Ab 2012 sind Einkaufsrabatte an Apotheken nur noch bis höchstens 3,15% zulässig. Skonto kann zusätzlich gewährt werden.
Für 2011 gilt eine Übergangsregelung, die etwa das gleiche Ersparnisvolumen von rund 200 Mio. € mit sich bringen soll. Dabei müssen die Lieferanten sowohl bei Großhandels- als auch bei Direktbezug den Apothekern einen Abschlag von 0,85% auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Herstellers gewähren. Dieser muss von den Apothekern bei Abgabe der Arzneimittel weitergeleitet werden. Der Abschlag gilt für verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel, die dem Versorgungsanspruch GKV-Versicherter unterliegen.
Die Weiterleitung erfolgt dadurch, dass der Apothekenzuschlag (8,10 € und 3% auf den Apothekeneinkaufspreis) auf den entsprechend verminderten Einkaufspreis erhoben wird. Dies hat zur Folge, dass sich alle Einkaufspreise und Verkaufspreise der betroffenen Arzneimittel ändern. Das Erstaunliche an dieser Umsetzung für 2011 ist, dass die Übergangsregelung geschaffen wurde, um die Preisänderungen als Folge einer geänderten Großhandelsvergütung zu vermeiden.
Eine weitere Konsequenz aus der Vorschrift zur Weiterleitung ist, dass sie auch privat Versicherte bzw. Selbstzahler betrifft. Wie der Begründung zum Gesetzestext zu entnehmen ist, war dies erklärte Absicht des Gesetzgebers.
Wen belastet der Großhandelsabschlag?
Vordergründig betrachtet sind die Lieferanten durch den Abschlag von 0,85% auf ihren Einkaufspreis belastet, da sie diesen den Apotheken gewähren müssen. Diese Auffassung vertritt auch der Gesetzgeber, der vom Ersparnisbeitrag des Großhandels spricht. Demgegenüber kündigen die Großhandlungen an, dass sie den Abschlag auf die Apotheken überwälzen müssten und dies auch tun werden. Die bisher gewährten Einkaufskonditionen werden oder sind bereits gekündigt und werden neu verhandelt.
Das Aushandeln der neuen Konditionen erfolgt individuell und so kann das Ergebnis von Apotheke zu Apotheke enorm abweichen. Das Ziel des Großhandels ist es – entgegen der Absicht des Gesetzgebers –, möglichst viel von dem 0,85%-Abschlag auf die Apotheken überzuwälzen. Nicht zu erwarten ist, dass die neu verhandelten Konditionen die Kürzungen um ggf. 0,85% offen ausweisen. Diese können sich an verschiedenen Stellen des komplexen Konditionengefüges niederschlagen. Dabei zeichnet sich ab, dass diverse Großhandlungen sogar um deutlich mehr als 0,85% kürzen.
Höhe der Belastungen
Die Belastung der Apotheken besteht zum einen in der Rohgewinnminderung durch die Abschlagserhöhung. Die zulasten der GKV abgegebene Menge an Rx-Packungen ist mit der Nettowirkung von 0,25 € zu multiplizieren.
Die zusätzliche Belastung durch Überwälzungen des 0,85%-Abschlags durch die Lieferanten ist schwieriger zu beziffern. Zu beachten ist, dass sich die Kürzung der Einkaufskonditionen auf alle verschreibungspflichtigen Packungen auswirkt, d.h. GKV und PKV. Für die unten stehende Tabelle wurde unterstellt, dass die 0,85% vollständig auf die Apotheken überwälzt werden. Dann werden die Rohgewinn- und Ertragseinbußen der Abschlagsüberwälzung die Einbußen aus der Erhöhung des Apothekenabschlags deutlich übertreffen. Diese Ergebnisse können nur einen Anhaltspunkt bieten, zeigen jedoch, welches Gewicht die Apotheker den zu führenden Verhandlungen beimessen müssen.
Einkauf zum Jahreswechsel 2010/2011
Apotheker, die eine deutliche Verschlechterung der Einkaufskonditionen erwarteten, haben sich noch vor Jahresende 2010 im höheren Ausmaß bevorratet und damit die „alten Rabatte gerettet“. Das Ergebnis dieser Verlustbegrenzungsstrategie wird insofern geschmälert, als bei Abgabe 2011 der Abschlag von 0,85% zu gewähren ist. Bei hoher Rabattdifferenz kann das Gesamtergebnis gleichwohl positiv ausfallen. Das Hauptproblem der Bevorratung liegt in der Verkäuflichkeit der Vorräte. Erweisen sich diese als nicht in angemessener Zeit verkäuflich, so reduzieren Zinsaufwand und Handlingskosten das positive Ergebnis. Besonders nachteilig ist, wenn Arzneimittel an den Großhandel zurückgegeben werden müssen und dabei ggf. Abschläge von z.B. 30% abgezogen werden.
Die Listeneinkaufspreise aller Lagerartikel der vom Abschlag betroffenen Rx-Arzneimittel werden um 0,85% (vom APU) gekürzt. Das führt betriebswirtschaftlich (im Zwischenergebnis) zu Lagerwertverlusten , wenn sich an den Einkaufskonditionen nichts ändert. Reduzieren sich 2011 die Einkaufskonditionen gegenüber 2010, so können die effektiven Einkaufspreise der betroffenen Arzneimittel 2011 höher liegen als 2010.
Die genannten Wertänderungen entfalten steuerlich keine Rückwirkung auf den Bilanzstichtag 31. Dezember 2010, da sie erst zu Beginn des Folgejahres eintreten (Stichtagsprinzip). Verluste wirken sich erst in 2011 aus.
Hochpreisarzneimittel und 0,85%-Abschlag
Der Gesetzgeber hat die Besonderheiten hochpreisiger Arzneimittel nirgends berücksichtigt. Bei Arzneimitteln mit einem Herstellerabgabepreis ab 1.200 € ist die Großhandelsmarge ein fester Betrag von 72 €. Auch hier ist der Abschlag von 0,85% zu gewähren. Je höher der Herstellerabgabepreis ist, desto mehr wird die Marge des Großhandels durch den prozentualen Abschlag aufgezehrt. Ab einem Herstellerabgabepreis von 8.470,59 € übersteigt der Abschlag von 0,85% die feste Marge von 72 €. Unter diesen Umständen werden die Großhändler kaum Interesse an der Belieferung solcher Arzneimittel haben. Es sind daher prekäre Situationen bei der Versorgung von Patienten denkbar, die auf diese Präparate angewiesen sind.
Weitere apothekenrelevante Maßnahmen
Künftig soll möglich sein, dass der Patient gegen Kostenerstattung sein bisheriges und nicht das Rabattvertragsarzneimittel oder das über aut idem ausgewählte Fertigarzneimittel erhält. Allerdings ist die Kostenerstattung äußerst patientenunfreundlich gestaltet. Besteht der Kunde auf einem anderen als dem Rabattvertragsarzneimittel, so muss er in der Apotheke den vollen Betrag für das ausgewählte Präparat bezahlen. Sodann muss er sich an seine Krankenversicherung wenden und erhält von dieser einen Teilbetrag zurückerstattet. Der Apotheker ist in der misslichen Situation, dass er dem Patienten nicht einmal genau sagen kann, wie viel er erstattet bekommt. Da die Höhe der Rabatte der Industrie an die gesetzliche Krankenversicherung nicht offengelegt werden sollen, wird der Erstattungspreis um pauschale Abschläge gekürzt werden.
Die Normpackungsgrößen werden neu geregelt. Ab Januar 2011 werden Schwankungsbreiten für den Packungsinhalt eingeführt: für N1 +/-20%, für N2 +/-10% und für N3 -5%. Für die Apotheke bedeutet das eine Umstellung der Warenwirtschaftssysteme, weiter gibt es vermutlich Handlingsprobleme und einen höheren Kommunikationsaufwand.
Die einschneidende Veränderung kommt ab Juli 2013. Die bisherigen Stückzahlen werden abgelöst durch die Berücksichtigung der Reichweite. N1 gilt für eine 10-Tage-Therapie, N2 für eine 30-Tage-Therapie und N3 für eine 100- Tage-Therapie, ergänzt um die genannten Schwankungsbreiten. Die Zahl der Packungsgrößen wird wahrscheinlich steigen. Für Apotheken ergibt sich ein Lagerhaltungsproblem für die neuen Großpackungen. Bislang ist keine Übergangsfrist für Altpackungen vorgesehen, was massive Lagerwertverluste nach sich ziehen würde. Durch die neuen Großpackungen wird es weniger N3-Verordnungen geben, dies bedeutet für die Apotheker einen Rohgewinnverlust.
Die Verpflichtung zur Aut-idem-Substitution wird verschärft: Statt identischer Indikation reicht ein gleiches Anwendungsgebiet. Dies kann die Therapiesicherheit gefährden, da die diagnostizierte Krankheit unter Umständen nicht mit der Packungsbeilage übereinstimmt. Diese und weitere Maßnahmen bringen teilweise eine Erschwernis des Apothekenalltags mit sich. Sie lassen sich allerdings von der Wirkung her kaum beziffern.
Handlungsbedarf
Die berechenbaren Auswirkungen der Reform haben ein Ausmaß, das viele Apotheken in schwere Bedrängnis bringt. Die Folgen für die einzelne Apotheke hängen von verschiedenen Strukturgegebenheiten ab und jeder Leiter ist gut beraten, zunächst die Auswirkung individuell für die eigene Apotheke zu prognostizieren. Auf dieser Basis gilt es, ein Konzept zum Gegensteuern zu entwickeln.
Im Handlungsspektrum nimmt der Einkauf breiten Raum ein. Ein gutes Verhandlungsergebnis erfordert die genaue Kenntnis der derzeitigen Rabattsituation bzw. der Stellschrauben in den Konditionenmodellen der Großhändler und Direktlieferanten. Auf Basis der aktuellen Abrechnungen des Großhandels und anderer Lieferanten sind die tatsächlich erreichten Rabatte und ihre Zusammensetzung zu ermitteln. Die offenen und versteckten Rabattausschlüsse müssen herausgearbeitet, die Hochpreisregelung unter die Lupe genommen und Vereinbarung und tatsächlich erreichtes Ergebnis abgeglichen werden. Dabei sind auch Skontibedingungen, Zahlungsziele, Retourenkonditionen und die vielfältigen Gebühren zu berücksichtigen. Zur Unterstützung der Apotheker bietet die TREUHAND HANNOVER GmbH ihre Dienstleistung „Transparenz der Einkaufsvorteile“ an.
Darüber hinaus gilt es, strategische Ansatzpunkte zu prüfen und für die eigene Apotheke zu konkretisieren. So kann es sinnvoll sein, antizyklisch zu investieren, z.B. in einen Umbau, eine EDV-Anlage oder die Anschaffung eines Kommissionierers. Denkbar ist auch, sich wirtschaftlich breiter aufzustellen durch eine erfolgreiche Filialisierung. Es gilt, Antworten auf viele Fragen zu finden: Welche Entwicklungen gibt es im Umfeld der Apotheke? Bietet der Standort noch ungenutztes Umsatzpotenzial? Kennen Sie Ihre wichtigsten Kunden und wie erfüllen Sie deren Bedürfnisse? Welche neuen Geschäftsfelder könnten erfolgversprechend sein? Liegt den OTC-Umsätzen ein durchdachtes Konzept zugrunde? Gibt es einheitliche OTC-Empfehlungen? Ist die Preispolitik standortangemessen? Sind Sortiment und Dienstleistungen auf die Zielgruppen zugeschnitten?
Im Bereich der Warenwirtschaft sind, abgesehen von den jetzt zu führenden Verhandlungen, turnusmäßig professionell die Rechnungen zu prüfen. Lagergröße, Kapitalbindung und Lieferfähigkeit sind in Einklang zu bringen.
Fördern und Fordern
Ein wichtiger Erfolgsfaktor der Apotheke ist das Personal. Ist der Personaleinsatz gut auf den Arbeitsanfall ausgerichtet? Die Leistungsfähigkeit der Angestellten gilt es zu fördern, z.B. durch Stellenbeschreibungen, Mitarbeitergespräche, Zielvereinbarungen usw. Die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter hängt auch von der Teambildung und dem Betriebsklima ab. Dies lässt sich durch eine Mitarbeiterbefragung detailliert ermitteln. Die schon bestehende Personalknappheit wird sich weiter verschärfen. Da gilt es, Talente zu halten durch Fördern und Fordern. Die Vergütung der Angestellten sollte für diese erkennbar auch an ihrer Leistung orientiert sein. Hierbei ist es vorteilhaft, u.a.Vergütungen zu nutzen, die steuerlich begünstigt sind, sodass der Mitarbeiter „mehr Netto vom Brutto“ erhält.
Weitere Maßnahmen zur Ergebnisverbesserung können in der Aufstellung eines effizienzorientierten Werbebudgets liegen sowie in der kritischen Kalkulation der Kosten-/ Nutzen-Verhältnisse z.B. von Kooperationen, Heimbelieferungen und Verblistern, ferner in einer Optimierung des Kreditmanagements mit einer eventuellen Umschuldung usw.
Das Entwickeln eines Maßnahmenkonzepts, die Überprüfung des möglichen Nutzens und die Umsetzung erfordern viel Zeit des Apothekenleiters. Da kann es hilfreich sein, sich gezielt professionelle Hilfe durch branchenerfahrene Berater zu sichern.
Dipl.-Volkswirtin Ursula
Hasan-Boehme, Steuerberaterin,
TREUHAND HANNOVER GmbH,
Steuerberatungsgesellschaft,
30519 Hannover,
E-Mail: ursula.hasan-boehme@treuhand-hannover.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2011; 36(02):5-5