Organisation

Dauerfeuer durch Mails und SMS


Klaus Hölzel

Als Chef in der Apotheke permanent „online“ zu sein, kann nervtötend wirken. Die Kon­zen­tration auf die Kernaufgaben des Alltags lässt nach und vieles bleibt unerledigt liegen. Am Ende hilft nur das vorübergehende Abschalten von Handy und PC.

Es ist 19.46 Uhr. Der Apothekenleiter sitzt in seinem Büro und blickt starr auf seinen Timer im PC. Von 8.00 bis 10.30 Uhr war Büro eingeplant, dann HV bis 14.00 Uhr, kurze Pause, ab 14.30 Uhr Büro und von 16.00 bis 19.00 Uhr wieder HV. In der Bürozeit standen zwei Bewerbungsgespräche an, die Nachkontrolle der GH-Rechnungen, die Post und das Durchblättern der Fachzeitschriften. So war der Tagesplan – nun regieren Müdigkeit und noch mehr Enttäuschung darüber, nicht einmal die Hälfte des Pensums erledigt zu haben. Vor allem Medien wie Handy und PC lassen den geregelten Ablauf des Apo­thekenleiters nicht mehr zu.

Zunahme des Tempos

Die Geschwindigkeit in der Kommunikation per Handy und PC hat zugelegt, die Ereignisse überschlagen sich. Jede Stunde eine neue SMS, jeden Tag eine neue Schlagzeile, jede Woche ein neues Thema. Das Berufsleben hat sich beschleunigt, hat sich verdichtet. Mehr Ereignisse denn je verlangen nach Aufmerksamkeit, jede Stunde, jeden Tag, jede Woche. Das zerhackt die Tagesplanung und nimmt Energien weg. Auch wenn der Chef sein Handy stundenweise abschaltet, die Umwelt erreicht ihn über einen der vielen anderen Kanäle. Während er vorne berät, kommen auf dem PC ständig neue Mails an, die er beantworten soll. Und da er kein Verweigerer neuer Medien sein will, hat er sich ein internetfähiges Mobiltelefon an­geschafft. So ist er auch unterwegs in der Lage, mit Firmen oder Privatpersonen im Dauerkontakt zu bleiben.

Verlust an Empathie

Psychologen sehen die Gefahr, dass solche Chefs zu funktionellen Autisten werden und nicht mehr in der Lage sind, in der Wirklichkeit einem Gegenüber in die Augen zu schauen. Der Verlust an empathischen Bezügen scheint möglich. Ein weiteres Problem: Chefs hören nur noch halb zu, weil sie parallel zum Beispiel eine SMS schreiben – wie ihr Vorbild Angela Merkel. Man bezeichnet solche Personen als Simultanten – sie tragen wesentlich bei zur Beschleunigung im Alltag. Für die Apotheke kann das fatale Folgen haben: Es werden viele Themen besprochen, alles flüchtig, alles in Eile, Marketing und Einkauf sind wie Speeddating. Man kommt, redet kurz, zieht weiter zum nächsten. Gründlichkeit ist nicht möglich.

Der bei vielen Apothekern wenig angesehene SPD-Gesundheitspolitiker Professor Dr. Karl Lauterbach ist ein talentierter Multitasker. In seinem Büro stehen ein Fitness­ergometer und ein Gerät zum Training der Koordination, eine Platte, unter der sich eine Kugel befindet. „Sie sind dann gut, wenn Sie auf dieser Platte auf einem Bein stehend balancieren können, Ihrem Gegner in die Augen sehen und dabei gleichzeitig treten und schlagen können“, so Lauterbach im Magazin Spiegel.

Früher war es doch besser

Als der Apothekenleiter den Betrieb 1988 von seinem Vater übernahm, gab es noch kein Multitasking. Ein Festnetzte­le­fon, ein Faxgerät – das war’s im Grunde. Wenn der Senior jemandem etwas schriftlich mitteilen mochte, diktierte er den Inhalt des Schreibens auf ein Band, gab das Band seiner Sekretärin, die es abtippte und als Brief an den Empfänger schickte. Das war wenig hektisch und geordnet, doch trotzdem effizient – und ist allerdings schon über 20 Jahre her. Aber auch heute können wichtige Entscheidungen nicht unter dem Druck der Informationsflut getroffen werden. Das Gehirn braucht Ruhepausen, um Aufgaben optimal zu bewältigen. Wird man durch eingegangene Nachrichten dauernd aus der aktuellen Tätigkeit gerissen und gewöhnt man sich an den ständigen Dateninput, leidet die Konzentration. Damit sinkt die Chance, ruhig und mit kreativen Ideen auf Heraus­forderungen zu reagieren.

Warnsignale in der Apotheke

Wer es als quälend empfindet, „offline“ zu sein, und wem es nicht gelingt, einen Tag in der Woche komplett ohne diese Medien auszukommen, hat ein handfestes Problem. Das trifft auf einen nicht sehr kleinen Teil junger Mitarbeiter genauso zu wie auf den Chef, der sein Smartphone vergöttert. Die Vorstellung, nicht erreichbar zu sein und nicht selbst anrufen zu können, führt bei Betroffenen zu Ängsten. Das sind deutliche Warnsignale. Wer aber an manchen Tagen denkt, dass es vielleicht besser wäre, sich einmal in Ruhe zurückzulehnen, nicht auf jede Meldung zu reagieren, zu entschleunigen und keine Hektik zuzulassen, der hat noch gute Chancen, dem Dauerfeuer zu entgehen.

Tipp 1: Abschalten, nicht mehr einschalten

Dem Dauerfeuer der Mails und SMS zu entgehen, ist so einfach: individuelle Freiräume ohne elektronische Kommunikation schaffen, die für Selbstbesinnung und kreative Ideen reserviert sind. Am besten einen Tag in der Woche komplett auf Computer und Handy verzichten. Unmöglich, sagen die Mitarbeiter. Es könnte ja etwas Wichtiges passieren.

Tipp 2: Kurze Auszeiten einbauen

Vorschlag: sich jeden Tag von 11.00 bis 13.00 Uhr auf sich selbst konzentrieren. Wenn man das schon nicht für die dienstlichen Aufgaben machen kann, dann mindestens für die privaten Mails/SMS. Im Onlinezeitalter haben viele Menschen die Fähigkeit verloren, geistig und seelisch „offline“ zu gehen, also abzuschalten, sich zu besinnen und die Seele baumeln zu lassen. Ständig „online“, das geht nicht. Dafür ist der Mensch nicht gebaut, er braucht Ruhepausen, in denen er zu sich kommen kann.

Tipp 3: Im Urlaub Abstand halten

Vor allem im Urlaub sollten Sie zur psychischen Regeneration Abstand von den Me­dien nehmen, vielleicht auch mit me­ditativen Übungen die innere Ruhe wiederherstellen. Wenn man aus dem Urlaub zurückkommt, ist man dann trotz Spamfilter mit Hunderten von Mails konfrontiert. Der Abbau sollte besser auf zwei bis drei Tage verteilt werden. Die „Rosinen“ im Datenwust sind ohnehin sicher an einer Hand abzuzählen.

Tipp 4: Gehirn nicht überfordern

Unter den Bedingungen des permanenten Zeitdrucks sollte folgende Regel beachtet werden: Entscheidungen unter Zeitdruck sind nur dann gut, wenn es sich um Routineentscheidungen handelt. Entscheidungen, die Nachdenken und Kreativität erfordern, gehen unter Zeitdruck oft schief. Wenn zu viel auf einmal auf ein Gehirn einwirkt, muss sein Besitzer entschleunigen. Sonst gibt es einen Gehirnstau – eine Denkblockade.

Und denken ist nicht nur für Apothekenleiter die erste Voraussetzung, um die Zukunft der Apotheke zu sichern. Mails und SMS dürfen diesen Prozess nicht stören, sie sind lediglich Informationsmittel, die nicht rund um die Uhr Auf­merk­samkeit erfordern. Wer die­sen kurzen Artikel ohne Klingelton und Blick auf den PC gelesen hat, ist auf dem richtigen Weg. Wer es nicht geschafft hat, kann den Beitrag als Nachruf auf den Arbeits­alltag, wie er früher einmal war, verstehen.

Dipl.-Volkswirt Klaus Hölzel,
Apotheken Management-
Institut GmbH, 65375 Oestrich-
Winkel, E-Mail: sekretariat@apothekenzukunft.de

Buchtipp

Christoph Moss: Vielen Dank für Ihre E-Mail, Kurioses, Wissenswertes und Hilfreiches rund um das Kommunikationsmittel Nr.1, Frankfurter Allgemeine Buch, 2010, 17,90 €
zu beziehen über den Deutschen Apo­theker Verlag (Telefon: 0711/2582 341, Telefax: 0711/2582 290, E-Mail: service@deutscher-apotheker-verlag.de)

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2011; 36(09):8-8