OTC-Geschäft

Mit Empfehlung und Struktur zum Erfolg


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Seit Jahren dümpelt das OTC-Geschäft in den Apotheken. Neben einer gewissen Marktsättigung rütteln der Versandhandel sowie andere Handelskanäle an der Apothekenbastion, die sich bisher noch als Festung erweist – aber mit verbesserungsfähigen „Fassadenelementen“.

Werfen wir einen Blick auf die heutige Realität: Über 50% des Apotheken-OTC-Geschäfts beruhen nach wie vor auf Akuttherapien (Erkältung, Durchfall, Allergien) und sind vielfach saisonabhängig. An ertragsmäßig interessanten Dauerverwendern herrscht hingegen Mangel. Zum einen be­wegen wir uns hier auf pharmazeutisch dünnem Eis: Wer wollte seinen wirtschaftlichen Erfolg auf eine Dauertherapie mit Abführmitteln, sinnlosen Schlankheitsmitteln oder ab­schwellen­den Nasensprays gründen?

Zum anderen ist die Studienlage insbesondere in der Primärprävention mit langzeitverträglichen Supplementen widersprüchlich und einem raschen Paradigmenwandel unterworfen: Lohnt die langfristige Einnahme von Selen, diversen Vitaminen und Antioxidantien, von hierzulande immer noch sehr teurem Ginkgo-Extrakt oder Arginin? Was ist aus Q10, Knoblauch, Echinacea etc. geworden? Fakt ist: Die Kunden spüren akut nicht allzu viel und in Anbetracht der differierenden Studien­ergebnisse ist eine Aussage wie „Wenn Sie dies laufend einnehmen, haben Sie statistisch ein 40% geringeres Herzinfarktrisiko“ seriös nicht leicht zu treffen.

So bleiben die dauerhaft Leidenden, aber medizinisch be­trachtet nicht allzu schwer Kranken als die interessanteste Zielgruppe: chronische Hautkrankheiten, Allergien und Unverträglichkeiten, chronische Schmerzzustände ohne ernste Ursache, nachlassende geistige und körperliche Fitness etc. Bei den schwerer erkrankten Chronikern berühren wir hingegen sehr schnell ärztliche Kompetenzbereiche.

Sie sehen bereits an dieser Stelle: Die pharmazeutischwissenschaftliche Strukturierung des OTC-Geschäfts vorrangig unter dem Aspekt des Kundennutzens

Blick in Lebensmittel- und Drogeriemärkte

Die konkurrierenden Handelskanäle rüsten massiv auf – durch Kooperationen mit Versand­apotheken, Pick-up und auch auf der Produktseite. Ehemals apothekenexklusive Präparate wandern ab. Jüngeren Umfragen zufolge straft dies der überwiegende Teil der Apotheken durch Nicht-Empfehlung oder gar Auslistung ab. Doch treffen diese Trotzreaktionen den Kern?

Es sei jedem Kollegen empfohlen, einmal intensive „Vor-Ort-Begehungen“ bei dm, Müller, Schlecker, ALDI und Co. zu machen. Die Anzahl der Re­galmeter mit Gesundheitsprodukten hat teilweise deutlich zugelegt. Nehmen Sie einmal die einzelnen Präparate in die Hand, dann sind etliche davon hinsichtlich Qualität, Dosierung und erst recht im Preis zur Apotheke konkurrenzfähig. Insbesondere die mit hohem Tempo lancierten Eigenmarken holen kräftig auf, sie sind oft professionell entwickelt und gestaltet. Da kann man wirklich froh sein, dass es noch die Apothekenpflicht gibt... Auf der reinen Produktseite findet also eine rasante Aufholjagd statt. Drogeriemarkt = mindere Qualität und Fehldosierung, diese Gleichung geht immer weniger auf.

Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Der andere Teil erschließt sich, wenn Sie sich einfach einmal vor die Regale stellen, wohlgemerkt als Fachfrau oder Fachmann. Da sehen Sie gefühlte 100 Magnesium-, 40 Calcium und zahllose Vitaminpräparate. Dazwischen ein ehemals apothekengängiges Produkt und zunehmend Eigenmarken, worunter sich teilweise richtige „Schätzchen“ finden – hohe Qualität preisgünstig. Aber selbst Sie werden lange brauchen, diese aufzustöbern – mit dem Blick des Fachkundigen. Denn es gibt auch noch reichlich Produkte, bei denen Inhalt und die aufgrund der äußeren Aufmachung geweckten Erwartungen weit auseinanderklaffen. Wie ergeht es da erst einem unbedarften Kunden?

Genau das ist der Schwachpunkt dieser Konkurrenz, und die nüchternen Zahlen zei­‑ gen, dass die Produktoffensive sich (noch?) nicht in Marktanteilsgewinnen niederschlägt. Wenn Sie den Lauf der Kunden beobachten, sind die Gesundheitsregale nicht allzu stark frequentiert. Das Interesse konzentriert sich ganz eindeutig auf die Lebensmittel oder klassischen Drogerieartikel. Als Konkurrenz viel gefährlicher sind die Versandapotheken (gut 10% OTC-Marktanteil). Daraus muss man die richtigen Schlüsse ziehen.

Das Produktsortiment aufbereiten

Um dem Absatz „Beine“ zu machen, wird üblicherweise erst einmal auf eine Neupositionierung der Waren in der Sicht- und Freiwahl zurückgegriffen. Unter dem Stichwort „Category Management“ oder in Form von „Planogrammen“ werden die Waren verkaufs­aktiver präsentiert. Durch das Herausarbeiten von zum Teil kuriosen Querverknüpfun­gen aus den Abverkaufsdaten (wer A kauft, erwirbt statistisch in x Prozent der Fälle auch B) oder die Analyse von kausalen Wirkungsketten (wer A braucht, wird logischer­weise für B oder C Interesse haben müssen – die Grundlage vieler Zusatzverkäufe) können weitere Absatzeffekte erzielt werden. Das ist das Einmaleins des Handels.

Wesentlich weiter gehen strukturierte Empfehlungslisten, die zwei Ziele verfolgen:

  • Die gleiche Frage führt zur gleichen Empfehlung quer durch das ganze Team.
  • Das Kundenbedürfnis wird möglichst optimal erfüllt, die Wirksamkeit steht im Vordergrund. Die Empfehlung sollte „sitzen“, der Kunde sich mit voller Überzeugung daran erinnern.

Geht man pharmazeutisch und kaufmännisch an dieses Thema heran, ist es arbeitsintensiv und keineswegs trivial. Der wirtschaftliche Erfolg ist zudem nicht so naheliegend wie bei einer schlichten „Push-Strategie“ durch aggressive Präsentation bekannter Marken und das Werben mit dem Preis. Wer jedoch die Begriffe „Heilberuf“ und „Beratungs­qualität“ ernst nimmt und auf langfristigen Erfolg und die Markenstärke der Apotheke setzt, sollte hier durchaus etwas Mühe investieren.

So erstellen Sie eine Empfehlungsliste und ziehen Nutzen daraus:

  • Selektieren Sie die wichtigsten Indikationen. Das sind, in dieser Reihenfol­‑ ge: Erkältung, Schmerzen, Durchfall und Verdauung, Vitamine und Nahrungsergänzung, Haut (inklusive Kosmetik), Herz und Kreislauf, Augen, Niere und Blase sowie (überwiegend pflanzliche) Psychopharmaka.
  • Die Indikationsgruppen müs­sen ggf. weiter aufgeschlüsselt werden, wie z.B. verschiedene Arten des Schnupfens oder Hustens, die wichtigsten Hautpro­bleme usw. Bereits hier wird ersichtlich, dass da einiges zusammenkommt. Behalten Sie also stets die Marktbedeutung im Auge.
  • Zu jeder derart aufgeschlüsselten Indikation werden die wirksamsten Wirkstoffe selektiert sowie die sinnvolle Dosierung einschließlich wichtiger Kontraindi­kationen und Anwendungs­beschränkungen.
  • Per EDV (Wirkstoffsuche!) werden völlig ergebnisoffen die „passenden“ Produkte gesucht. Sie werden staunen, welche eher un­bekannten Präparate mit ei­nem zum Teil sehr überzeugenden Preis-Leistungs-Verhältnis es gibt.
  • Gleichzeitig werden die bekannten Marken betrachtet: Stimmen Zusammensetzung, Galenik und Wirksamkeit bzw. Verträglichkeit? Das muss erstaunlicherweise nicht immer so sein. Hinter mancher dieser Marken verbergen sich Altpräparate, die nicht mehr „State of the Art“ sind.
  • Zum Schluss kommt der BWL-Check: Kundenpreis, Preis pro Tag für den Pa­tienten (Tagestherapiekos­ten, dies in erster Linie bei langfristig anzuwendenden Produkten), Ihr Stückertrag je Packung unter Berücksichtigung der Rabatte, sonstige Vorteile, Proben, Werbeunterstützung, Markenstärke.
  • Treffen Sie die Auswahl. Je stärker frequentiert die Apotheke ist, umso mehr lohnt sich eine Aufspaltung der Empfehlung zumindest bei den allerwichtigsten Indikationen in „Premium-Empfehlung“, „Preiswert-Produkt“ und „alternati­ves Präparat“ (z.B. homöo­pathisch). Erstellen Sie eine schriftliche Empfehlungsliste („Beratungsleitfaden“, ggf. unter Hinzuziehung einschlägiger Fachliteratur), die allen Mitarbeitern ausgehändigt wird.
  • Ernennen Sie einen Verantwortlichen für die Pflege und Aktualisierung. Dieser erhält gleichzeitig die Funktion des „Trendscouts“ und Marktbeobachters mit der Aufgabe, den Markt inklu­sive der Industriewerbung im Auge zu behalten und bei der nächsten Teamsitzung konkrete Vorschläge zu unterbreiten. Teamsit­zun­gen sind teuer, daher spart eine gute Vorbereitung durch einzelne Beauftragte viel Geld und Zeit.
  • Die Bestückung der Sicht- und ggf. Freiwahl sollte nicht zu weit von der Empfehlungsliste abweichen, aber sie muss und kann sie nicht eins zu eins spiegeln. Etliche Ihrer Empfehlungen werden „Schubladenware“ bleiben. Die Sichtwahl sollte in der Tat nach Aspekten des schnellen Warenumschlags ausgerichtet sein. Schließlich wird bei Weitem nicht jeder nach Ihrer Empfehlung fragen, da viele bereits einen klaren Produktwunsch haben – akzeptieren Sie dies in der Regel, wenn der Wunsch nicht allzu krude ist. Präparate, die in der pharmazeutischen Bewertung schwach abgeschnitten haben, sollten Sie aber aus Glaubwürdigkeitsgründen nicht allzu sehr hervorheben.
  • Eine Ecke in der Sichtwahl mit der Überschrift „Unsere besonderen Empfehlungen der Woche“ oder „Unsere Spezial-Ecke“ kann Betätigungsfeld für Produkt-Experimente sein.

Haken Sie zumindest bei Ih­ren Stammkunden nach: Waren Sie zufrieden? Hat Ihnen das Präparat geholfen? Gab es Probleme, Unverträglichkei­ten? Anhand der Kundenkarten-Historie sehen Sie beim nächsten Besuch, was unlängst gekauft wurde. Auch wenn der Begriff Anwendungsbeobachtung vielleicht etwas zu weit greift: Profis notieren die Rückmeldun­gen ihrer Kunden und sammeln so über die Jahre einen fast unbezahlbaren Erfahrungsschatz. Nebenbei werden Ihnen so manche Hausmittel zugetragen sowie Informationen über andere verwendete Präparate.

Vom Produkt zum Konzept

Weiter in die Zukunft gedacht, wird aus der reinen Produktempfehlung ein Konzept, eine wesentlich umfassendere Lösung vor allem bei teuren chro­nischen Krankheiten: vom Produktverkauf zum System- und Konzeptanbieter, zum gesundheitlichen „Riskmanager“.

Die Technik eröffnet immer interessantere Einblicke und Diagnosemöglichkeiten zunehmend auch für den Patienten zu Hause, einschließlich allerlei Selbsttests sogar in Fragebogenform, für welche die Apotheke eine Anlaufadresse sein könnte. Der Wertschöpfungskreis von Präven­tion über Diagnose und das Arzneimittel bis hin zu Medizinprodukten, Hilfsmitteln und spezieller Ernährung und Nahrungsergänzung eröffnet ganz neue Wege. Künftig werden eher die Grenzen der Arzneitherapie in den Fokus rücken, hingegen viele andere (u.a. technisch basierte) Methoden der Gesunderhaltung an Bedeutung gewinnen. Ein klug denkender, naturwissenschaftlich so breit aufgestellter Berufsstand sollte sich die­se Chancen nicht entgehen lassen.

Dr. Reinhard Herzog,
Apotheker, 72076 Tübingen,
E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Checkliste

Einen Leitfaden zur Präparateauswahl finden Sie hier

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2011; 36(09):5-5