Prof. Dr. Reinhard Herzog
Breite Türen allein genügen nicht
Allerdings herrschen – trotz vorliegendem Normenkatalog – nach wie vor oftmals äußerst diffuse Vorstellungen darüber, was als „seniorengerecht“ einzustufen ist. Sicherlich nicht unter diesen Begriff fallen Altbauwohnungen in höheren Stockwerken ohne Aufzug sowie Objekte mit schmalen Türen sowie engen Küchen und Bädern. Allerdings finden sich derartige Konstruktionen bei Neubauten ohnehin nur noch selten.
Genau hier liegt jedoch die Gefahr: Häufig genügen einem Bauträger schon eine etwas breitere Tür, ein paar zusätzliche Haltegriffe im Bad und auf der Toilette sowie der Verzicht auf Schwellen zwischen den einzelnen Räumen, um eine Immobilie verkaufsfördernd als „seniorengerecht“ anzubieten – und dies zu deutlich höheren Preisen. Letztlich erwirbt der Käufer jedoch nichts anderes als eine herkömmliche Eigentumswohnung mit einigen besonderen Ausstattungsmerkmalen, die den Bauträger allenfalls ein paar Tausend Euro zusätzlich gekostet haben. Im Fall des Wiederverkaufs ist das böse Erwachen vorprogrammiert, denn am Zweitmarkt wird der Begriff „seniorengerecht“ wesentlich kritischer unter die Lupe genommen als in den Hochglanzprospekten der Initiatoren.
Im Übrigen steht das Objekt beim Wiederverkauf stets im Wettbewerb zu herkömmlichen Immobilien – und da muss schon einiges geboten sein, um einen entsprechenden Mehrpreis zu rechtfertigen. Doch selbst wenn der Wiederverkauf gar nicht geplant ist, sondern das Objekt zur späteren Selbstnutzung erworben wird, sollte man sich das Investment genau überlegen, denn vielfach scheitern die Pläne am nach wie vor extrem mieterfreundlichen Mietrecht.
Günstiger ist die Ausgangslage indes bei „Seniorenresidenzen“, bei denen es sich letztlich meist um nichts anderes handelt als um relativ liberal und modern aufgemachte Alters- und Pflegeheime. Geldanleger können sich hier bereits frühzeitig „einkaufen“ und die erworbene Wohnung oder ein anderes Objekt in derselben Anlage zu gegebener Zeit bei entsprechendem Bedarf – dies wird vertraglich zugesichert – selbst nutzen. Während der Investor in der Anlagephase eine monatliche Miete erhält, zahlt er bei der späteren Selbstnutzung einen mehr oder minder deutlich reduzierten Monatsbeitrag.
Interessenten sollten sich aber auch hier nicht von der möglicherweise komfortablen Ausstattung und Lage sowie den umfangreichen Dienstleistungen des Betreibers blenden lassen, sondern das gebotene Preis-Leistungs-Verhältnis einer kritischen Prüfung unterziehen. Denn schließlich dient der Erwerb eines Anteils bzw. einer Wohneinheit nicht unbedingt allein der Erzielung von Mieten und der späteren Selbstnutzung, vielmehr soll auch der Werterhalt oder eine mögliche Wertsteigerung gewährleistet sein, damit die Investition mit Kapitalmarktanlagen konkurrieren kann.
Infrastruktur vor Ort
Zwischen den beiden Varianten „seniorengerecht“ und „Seniorenresidenz“ gibt es eine breite Palette individueller Angebote, die den Wünschen der Kaufinteressenten noch besser angepasst ist: Sogenannte Seniorenwohnanlagen bestehen aus einem oder mehreren Häusern, deren Wohnungen durchgängig mehr oder minder den Anforderungen an altengerechte Bauweise entsprechen. An zentraler Stelle werden Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants und medizinische Dienstleistungen (z.B. Massagen) geboten. Darüber hinaus können sich die Bewohner bei Bedarf – und nur dann – weitere Dienstleistungen „hinzukaufen“, die von der täglichen Lieferung der Mahlzeiten bis hin zur vollen Pflege reichen. Ziel ist es, die Bewohner möglichst lange in der gewohnten häuslichen Umgebung zu belassen, ohne dass sie dafür auf komfortable Zusatzangebote verzichten müssen.
Bei derartigen Anlagen sollte man ebenfalls sehr genau nachrechnen: Die Immobilie selbst entspricht in Qualität und Ausstattung meist einer herkömmlichen Eigentumswohnung mit gehobenem Komfort und sollte daher nicht wesentlich teurer sein als vergleichbare Objekte mit „Seniorenausstattung“. Aber auch für die Zusatzdienstleistungen – die im Bedarfsfall letztlich von jedem selbst zu bezahlen sind – sollten sich die Mehrkosten in Grenzen halten. Experten gehen davon aus, dass je nach gebotener Infrastruktur allenfalls ein Preisaufschlag zwischen 5% und 15% gerechtfertigt ist.
Ohnehin ist der Kauf einer seniorengerechten Wohnung längst kein Garant mehr für Wertsteigerungen. Im Gegenteil: Mit mehr als 30.000 jährlich fertiggestellten Objekten wird derzeit die Bedarfsprognose von 15.000 bis 20.000 Einheiten/Jahr deutlich übertroffen. Zudem bemühen sich auch die bestehenden karitativen Einrichtungen darum, ihre Leistungen an die gehobenen Wünsche anzupassen. Und nicht zuletzt haben die Bausparkassen den Markt längst für neue Finanzierungsmodelle auserkoren, die das ansonsten weitgehend unattraktive Bausparen wieder interessant machen sollen. Es ist damit zu rechnen, dass schon in wenigen Jahren der Begriff „seniorengerecht“ keineswegs mehr als Werbeargument verwendet werden kann – und dies schon gar nicht, wenn die Immobilie am Zweitmarkt angeboten wird.
Jeder Investitionsentscheidung sollten daher genaue Prüfungen vorangestellt werden. Als Kapitalanlage sind altengerechte Objekte dann interessant, wenn sie sich in einer bevorzugten Lage befinden, sich aber auch in die örtliche Infrastruktur gut einpassen und entsprechende Standards erfüllen. Unverzichtbar ist eine gute Verkehrsanbindung und ein ausreichendes Parkplatzangebot, da sonst die regelmäßigen Besuche der Familie schnell ausbleiben. Zudem sollten die verlangten Preise im Vergleich zum Marktniveau angemessen sein, also nicht mehr als 10% bis 20% Aufschlag vorsehen.
Nicht zuletzt müssen gebotene Zusatzdienstleistungen – angefangen von den Kosten der Verpflegung bis zu den Preisen für Pflegeleistungen – zu Konditionen offeriert werden, die mit dem freien Markt konkurrieren können und somit auch langfristig erbracht werden. Vorteilhaft ist die Festlegung möglichst umfassender Freiheiten in den Vertragsbedingungen, z.B. wenn es um die Inanspruchnahme fremder Dienstleistungen geht.
In jedem Fall vorteilhaft ist es, wenn man den Anbieter ebenso wie das Objekt bereits kennt und wenn die Anlage in geografischer Nähe liegt. Keineswegs sollte man sich dazu hinreißen lassen, eine Investition allein aufgrund eines bunten Werbeprospekts vorzunehmen, ohne die Konditionen einer genauen Prüfung und einem Vergleich vor Ort zu unterziehen.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2012; 37(15):15-15