Dr. Bettina Mecking
Keine Privilegierungen im Filialverbund
Im Zuge der Novelle der Apothekenbetriebsordnung wollte man zeitweilig §23 ApBetrO dahingehend ändern, dass im Filialapothekenverbund die Notdienste einer Apotheke von einer der anderen Apotheken übernommen werden können. Diese Idee wurde allerdings wieder verworfen. Während der Novellierungsphase hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden (Urteile vom 26. Mai 2011, 3 C 21.10 und 3 C 21.11), dass Apotheker mit mehreren Filialen nicht verlangen können, den turnusmäßigen Notdienst dauerhaft ausschließlich nur mit einer ihrer Apotheken wahrzunehmen.
Nach Ansicht der Richter besteht kein Anspruch auf eine generelle Befreiung von der Beteiligung am Notdienst aus rein wirtschaftlichen oder betrieblichen Gründen. Grundsätzlich sehe die ApBetrO eine Beteiligung aller Apotheken am Notdienst vor. Eine Ausnahme sei bei „berechtigten Gründen“ möglich, wobei die zuständige Behörde in einem solchen Fall sachgerecht abzuwägen habe. Auch wenn es innerhalb eines Apothekenverbundes für den Apotheker vorteilhaft sein könne, sich nur mit einer seiner Filialen am Notdienst zu beteiligen, gehe die ApBetrO grundlegend davon aus, dass Privilegierungen im Filialverbund beim Notdienst nicht gewünscht sind.
Zwar beeinträchtige die Ablehnung der Befreiung die Freiheit der Berufsausübung, weil für jede der Apotheken die nach der ApBetrO vorgesehenen betrieblichen Belastungen einer Notdienstbereitschaft zu tragen seien. Dies sei jedoch durch die sachlichen Gründe, die für einen wechselseitigen Notdienst unter Einbeziehung aller Apotheken sprechen, gerechtfertigt. Die Gestaltung des Notdienstes diene dem Gebot der Gleichbehandlung und der gleichmäßigen Verteilung der Notdienstapotheken auf das ganze Gemeindegebiet zugunsten der Einwohner aller Stadtteile.
Diese Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts wurden in den seitdem ergangenen Entscheidungen bei der Überprüfung berücksichtigt, ob die zuständige Behörde ihr Ermessen nach §23 Absatz 2 ApBetrO fehlerfrei ausgeübt hat.
So entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 18. Oktober 2011 (22 BV 10.1820), es sei sachgerecht, wenn sowohl auf die Vermeidung einer Entwicklung hin zur Schwerpunktapotheke als auch auf die gleichmäßige Verteilung der Notdienstapotheken auf das Notdienstgebiet und die gleichmäßige Begünstigung der Einwohner des Notdienstgebiets abgestellt werde. Dem widerspreche es im konkreten Fall, dass die Einwohner der Stadtmitte bzw. der östlichen Stadtteile gegenüber denjenigen begünstigt werden, die im westlichen Stadtteil nahe dem Klinikum wohnen, oder denjenigen, die die dortige Ambulanz aufsuchen und Medikamente verordnet bekommen. Außerdem gebe es weitere Apotheken im betreffenden Notdienstkreis, für die dann ggf. aus Gründen der Gleichbehandlung ebenfalls eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden müsse, was auch dem Ziel der Vermeidung einer Entwicklung hin zur Schwerpunktapotheke widerspreche.
Demgegenüber könne die klagende Apothekerin sich nicht erfolgreich auf betriebliche oder wirtschaftliche Vorteile, insbesondere eine größere Dispositionsfreiheit berufen, die eine Befreiung für sie mit sich brächte. Die Gestaltung des Notdienstes sei kein Instrument, um die Wettbewerbssituation zwischen den teilnehmenden Apotheken zu verändern, sondern solle darauf angelegt sein, die Belastungen, die die Teilnahme am Notdienst zwangsläufig mit sich bringe, möglichst gleichmäßig – und somit möglichst wettbewerbsneutral – auf alle Apotheken zu verteilen.
Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt bewertete mit Beschluss vom 19. Oktober 2011 (1 L 151/10) die Vermeidung von Dauerbefreiungen vom Notdienst und das Erfordernis eines singulären Anlasses als sachgerechte Ermessenserwägung.
Ebenfalls als ermessensgerecht sah es das Verwaltungsgericht München (Beschluss vom 29. Dezember 2011, M 16 S.11.5733, M 16 S 11.5936) an, wenn die Apothekerkammer die dauerhafte Verlagerung der Dienstbereitschaft von einer Apotheke auf eine andere mit der Begründung ablehne, die Bildung von Schwerpunktapotheken vermeiden zu wollen.
Ermessensausübung
Mit Urteil vom 4. Dezember 2012 (4 K 4837/10) lehnte das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main die Klage einer Apothekerin auf Genehmigung der dauerhaften Übernahme der Dienstbereitschaft ihrer Filialapotheke durch ihre Hauptapotheke ab. Sie habe keinen Anspruch auf Befreiung der Filialapotheke von der Dienstbereitschaft. Zwar lägen die Tatbestandsvoraussetzungen des §23 Absatz 2 ApBetrO vor, jedoch sei die Ermessensentscheidung der zuständigen Landesapothekerkammer rechtlich nicht zu beanstanden. Diese habe sich vom Zweck der Ermächtigungsnorm, nämlich die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung immer und gleichmäßig sicherzustellen, leiten lassen. Diesen grundsätzlichen Erwägungen habe sie die nachvollziehbaren Interessen der Apothekerin gegenübergestellt und richtigerweise angenommen, dass die Filialapotheke trotz der Lage in einem abgelegenen Gewerbegebiet nicht in besonderem Maß einer Gefährdung unterliege und die Apothekerin weitere Sicherungsmaßnahmen der Apothekenräume zum Schutz des Personals während der Notdienstzeiten ergreifen könne.
Die Entscheidungen schaffen klare Verhältnisse, denn ihr durchgehender Tenor ist, dass der Antrag eines Apothekers, den Notdienst unterschiedlicher Apotheken eines Filialverbundes nur über eine Apotheke abzuleisten, nicht pauschal ohne weitere Prüfung abgelehnt werden kann, sondern ein Ermessen der zuständigen Landesapothekerkammer eröffnet ist, das auch ausgeübt werden muss. Im Rahmen dieses Ermessens kann dann die Erwägung einfließen, dass die Entwicklung hin zu Schwerpunktapotheken vermieden werden soll und die ApBetrO die Grundentscheidung treffe, dass alle Apotheken den Notdienst zu gewährleisten haben.
Abzugrenzen vom Verlangen, die Notdienstbereitschaften auf eine Apotheke im Filialverbund zu konzentrieren, ist das Begehren etwa eines Ehegatten, von der eigenen Notdienstverpflichtung dadurch befreit zu werden, dass der andere Ehegatte sich verpflichtet, dauerhaft die Notdienstbereitschaft des anderen mit zu übernehmen. Einen rechtlichen Ansatz, wonach in einem solchen Fall von „Ehegatten-Apotheken“ eine dauerhafte Dienstverlagerung – z.B. auf die dem gemeinsamen Wohnort nahe Apotheke – gerechtfertigt wäre, gibt es außerhalb einer Filialverbundenheit nicht.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2013; 38(10):10-10