Dr. Bettina Mecking
Das Risiko für einen Apotheker, juristisch belangt zu werden, ist grundsätzlich beträchtlich. „Problemkonstellationen“ mit einem Haftungsrisiko begegnet er in verschiedensten Abgabesituationen, nicht nur bei der „Pille danach“, die derzeit im Fokus steht.
Darf die Abgabe der „Pille danach“ – grundsätzlich oder aus religiös-weltanschaulichen Gründen – verweigert werden?
Nach §17 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) besteht ausdrücklich ein sogenannter Kontrahierungszwang nur für verschreibungspflichtige Arzneimittel und verordnete OTC-Arzneimittel. Die Abgabe der „Pille danach“ auf Rezept ist daher – grundsätzlich – verpflichtend.
Für den Notdienst wird eine Abgabepflicht auch für OTC wie die rezeptfreie, gleichwohl apothekenpflichtige „Pille danach“ anerkannt. Ob diese Pflicht zu den normalen Öffnungszeiten ebenfalls besteht, wird diskutiert. Überwiegend wird der Kontrahierungszwang hier – mangels eigener gesetzlicher Grundlage – aus der Apothekenpflicht abgeleitet.
Der Apotheker trägt als Arzneimittelfachmann dazu bei, die Bevölkerung vor arzneimittelbedingten Gesundheitsschäden zu bewahren. Im Zuge dessen kann bei pharmazeutischen Bedenken, insbesondere bei Missbrauchsverdacht, die Abgabe abgelehnt werden – das ist zugleich ein wichtiger Haftungsschutz für den Abgebenden.
Wenn ein Apotheker die „Pille danach“ aus Gewissensgründen nicht abgeben will, geht es um den Konflikt zwischen der Pflicht des Apothekers zur ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung auf der einen und seiner eigenen grundgesetzlichen Gewissensfreiheit auf der anderen Seite. Im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung kommt es z.B. darauf an, ob der Kundin alternative Beschaffungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Dabei können die Tageszeit und der Ort eine Rolle spielen – die Verhältnisse stellen sich tagsüber in einer Großstadt anders dar als im Notdienst in der einzigen Apotheke eines abgelegenen Dorfes.
Einige Aufsichtsbehörden legen den Kontrahierungszwang streng aus und sehen angesichts des hohen Ranges des Versorgungsauftrages keinen Spielraum für Gewissensentscheidungen. Dies könne nämlich Schule machen und andere gewissensmotivierte Abgabeverweigerungen z.B. bei schweinegelatine- oder alkoholhaltigen Arzneimitteln nach sich ziehen.
Wie ist die Rechtslage bei der Abgabe der „Pille danach“ an Minderjährige? Welche Altersgrenzen gibt es? Darf der Apotheker auch ohne Wissen der Eltern die „Pille danach“ abgeben? Gilt die Schweigepflicht auch gegenüber den Eltern?
Einwilligungsfähigist, wer Bedeutung und Tragweite der Einnahme erfassen kann. Letzteres ist für die Frage entscheidend, ob der Apotheker die Eltern hinzuziehen muss oder ob er ihnen gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichtet ist.
Die Geschäftsfähigkeit hängt vom Alter ab: Bis zum vollendeten siebten Lebensjahr ist man geschäftsunfähig, danach bis zum 18. Geburtstag beschränkt geschäftsfähig. Schließt der beschränkt Geschäftsfähige einen Vertrag ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, so hängt die Wirksamkeit des Vertrags von der Genehmigung des Vertreters ab. Für die Einwilligungsfähigkeit gibt es hingegen keine starre Altersgrenze. Der Apotheker muss im Einzelfall die individuelle geistige und sittliche Reife des Patienten prüfen. Bei der Beurteilung sind die Gesamtumstände des konkreten Falles und das Auftreten des Minderjährigen zu berücksichtigen.
Auch gegenüber den Eltern kann es eine apothekerliche Verschwiegenheitspflicht geben. Bei unter 14-Jährigen ist in der Regel davon auszugehen, dass das Mädchen noch nicht einwilligungsfähig ist und eine Abgabe nur im Beisein eines Erziehungsberechtigten erfolgen kann, dem das Sorgerecht zusteht. Wenn das Aufsuchen der Apotheke in Begleitung der Eltern nicht gewünscht ist, muss das Mädchen schnellstmöglich einen Arzt konsultieren. Bei noch nicht einwilligungsfähigen Jugendlichen besteht keine Schweigepflicht gegenüber den Eltern.
Zwischen 14 und 16 Jahren ist eine sorgfältige Prüfung der Einwilligungsfähigkeit der Patientin notwendig. Sobald eine Jugendliche einwilligungsfähig ist, sie also hinsichtlich der Einnahme der Pille eine eigenständige Nutzen-Risiko-Abwägung vornehmen kann, kommt es allein auf ihre Einwilligung und nicht mehr auf Wunsch und Willen der Sorgeberechtigten an. Dann darf der Apotheker den anfragenden Eltern auch keine Auskunft geben, die Minderjährige kann auf der Schweigepflicht bestehen. Lediglich als Orientierung gilt, dass eine Minderjährige über 16 Jahren zumeist die nötige Einsichtsfähigkeit besitzt, ohne dass dies eine feste Regel ist.
Übrigens: Zur Feststellung des Alters muss kein Personalausweis vorgelegt werden. Wenn der Apotheker aber Zweifel an dem angegebenen Alter hat, darf er die Vorlage verlangen, um sich das Alter nachweisen zu lassen. Es gibt Kinder, die wie Frauen aussehen, und umgekehrt. Auch beim Arzt muss die Patientin die Anonymität verlassen. Es ist nicht einzusehen, warum der Heilberufler Apotheker hier schlechtergestellt sein soll.
Es besteht keine Dokumentationspflicht; ob eine Dokumentation erfolgt, ist auch eine Frage des berufspolitischen Standpunktes. Wer – z.B. bei Minderjährigen – etwas dokumentieren möchte, muss hierbei den Datenschutz bezüglich personenbezogener Daten berücksichtigen. Wenn die Betroffene zustimmt, ist dies unproblematisch. Ansonsten kann nur der Abgabevorgang an sich mit lediglich sachbezogenen Daten wie Abgabezeitpunkt und Beratungsinhalt zu Beweiszwecken erfasst werden. Schon die Initialen der Kundin dürften ohne Einwilligung wohl nicht vermerkt werden.
Könnte auch jemand anderes als die betroffene Frau persönlich die „Pille danach“ in der Apotheke kaufen, z.B. ihr Freund?
Ein striktes Verbot der Abgabe an einen Dritten besteht nicht. Bei rezeptfreien Arzneimitteln ist es grundsätzlich möglich, dass jemand anderes das Arzneimittel abholt. Allerdings wird der persönlichen Beratung zur „Pille danach“ besondere Bedeutung beigemessen, weshalb sie u.a. auch nicht versandt werden darf. Folglich müssen mit dem eingesetzten Boten die relevanten Beratungsfragen zur Indikation stellvertretend abgestimmt werden können.
Dies dürfte in der Praxis etwa hinsichtlich der Frage nach der letzten Regelblutung nicht immer einfach sein. Wenn derartige Fragen nicht vor Ort mit dem Abholer geklärt werden können, muss zusätzlich telefonisch Rücksprache mit der Betroffenen gehalten werden. Apotheker sollten die Abgabe verweigern, wenn ihre Fragen nicht beantwortet und Bedenken nicht ausgeräumt sind.
Wie soll die Beratung aussehen, um eine Haftung auszuschließen?
Laut §20 ApBetrO muss die Beratung in der Apotheke die notwendigen Informationen über die sachgerechte Anwendung des Arzneimittels, eventuelle Neben- und Wechselwirkungen und die sachgerechte Aufbewahrung umfassen. Fehler bei der Abgabe der „Pille danach“ können langfristige Folgen haben. So könnte eine Kundin etwa die Unterhaltskosten für ein ungewolltes Kind als Schadensersatz verlangen.
Sicherlich trifft die Kundin eine Sorgfaltspflicht in eigenen Angelegenheiten. Daher kann eine erhöhte Aufmerksamkeit bei der Lektüre des Beipackzettels vorausgesetzt werden. Allerdings entbindet das den Apotheker nicht davon, auf ein ihm offensichtliches Problem hinzuweisen.
Wie weit die Beratungspflicht des Apothekers im Einzelfall geht und ob der Apotheker im Zweifelsfall grob fahrlässig gehandelt hat, lässt sich auch nur im Einzelfall sagen und ist zudem eine Frage der Beweislast. Um die Annahme eines Mitverschuldens auszuschließen, sollten Apotheker das tun, was objektiv von ihnen erwartet werden kann, nämlich dass sie die üblichen Richtlinien der Beratung sowie die speziell mit dem Präparat zusammenhängenden Vorgaben erfüllen– damit begeben sie sich nachweisbar auf die richtige Seite.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2015; 40(08):10-10