Prof. Dr. Reinhard Herzog
50, 60 und mehr Wochenstunden sind nach dem Bekunden vieler Inhaber schon lange keine Seltenheit. Viele sagen, sie kennen gar nichts anderes (was für einen hohen persönlich-individuellen Anteil an der Arbeitsüberlastung spricht). Wie bei einer solchen Sachlage noch neue, zeitintensive Dienstleistungen geschultert werden sollen, bleibt das Geheimnis der „Perspektivler“ unserer Standesführung. Andererseits gibt es auch Apotheken, in denen die Chefin/der Chef „nur mal für einige Stunden vorbeischaut“. Wie viel dann im Hintergrund erledigt und das so wichtige „Networking“ betrieben wird, erschließt sich nicht auf den ersten Blick, ist aber ein wichtiger Faktor. Nicht alles muss sich in Offizin und Apothekenbüro abspielen!
Und tatsächlich erlauben etliche gut laufende Betriebe eine sehr komfortable „Work-Life-Balance“. Es liegt daher oft am Inhaber selbst, wie er diese prinzipiell vorhandenen Freiheitsspielräume nutzt. Manch einer könnte „kürzertreten“, begibt sich aber freiwillig ins Hamsterrad und meint, unersetzlich zu sein sowie alles selbst entscheiden und regeln zu müssen: Ohne sie oder ihn geht nichts, beziehungsweise darf (!) nichts gehen...
Eine gewisse Korrelation von Apothekengröße und Inhaber-Arbeitszeit gibt es, sie ist aber nicht so klar wie vielleicht gedacht. Manch kleine „Ein-Mann-Apotheke“ auf dem Land lässt sich durch überschaubare Öffnungszeiten sowie etliche ruhige Stunden ganz passabel führen – solange alles gut geht und der Inhaber nicht ausfällt. Es ist weniger die absolute Arbeitszeit, sondern das permanente „Angekettetsein“, welches auf das Gemüt schlägt.
In größeren Betrieben wächst zwar die Personaldecke und insoweit kann man auf Stellvertreter zurückgreifen, dafür wachsen andere Herausforderungen steil mit. Wer hier keine Arbeitssystematik entwickelt, kommt ganz schnell in das berühmte Hamsterrad – und ist von allen Beschäftigten schlimmstenfalls die bedauernswerteste Person, die morgens als erste kommt und abends gestresst als letzte geht. Den Mitarbeitern wird insoweit (unbewusst gewollt?) der Eindruck vermittelt, dass das Chefsein keine erstrebenswerte Perspektive darstellt. Das kann Ihnen übrigens bei einer eventuellen Nachfolgersuche aus dem Kreise der Mitarbeiter zum Verhängnis werden...
Bestandsaufnahme – den Arbeitstag analysieren
Wie steigen Sie aus der Tretmühle öfter aus, ohne die Führung aus der Hand zu geben und Ihre Unternehmensziele in Gefahr zu bringen? Seien Sie ehrlich zu sich selbst und zwingen Sie sich, Ihren Arbeitsalltag über einige Zeit kritisch zu analysieren:
- Was tun Sie eigentlich wann und wie lange – und mit welchem Ergebnis?
- Was macht Ihnen davon Spaß, und was machen Sie nur unwillig oder gezwungenermaßen?
- Wie sieht Ihre objektive Arbeitsbilanz aus? Was haben Sie tatsächlich in welchem Zeitraum anhand greifbarer Ergebnisse geschafft? Oder fragen Sie sich allzu oft: Der Tag ist vorbei, ich bin müde – und nichts ist eigentlich wirklich erledigt oder gar richtig nach vorne gebracht worden?
- Wie verhält es sich mit Ihrer subjektiven Bilanz, nämlich dem Anteil von Freude bereitenden Tätigkeiten im Verhältnis zu den „Spaßkillern“? Überwiegt Freude oder Frust?
Versuchen Sie einmal, die „UWP“ Ihrer Arbeit herauszuarbeiten – die „Unique Working Proposition“: Was hebt Ihre täglichen Tätigkeiten aus der Masse der Apothekenarbeiten heraus? Was sind Exklusivtätigkeiten, die nur Sie ausführen – mit welcher Berechtigung bzw. welcher rationalen Begründung?
Was sind hingegen Routinetätigkeiten, die letztlich viele andere Mitarbeiter auch erledigen könnten – und zwar zu einem niedrigeren Stundenlohn, als Sie es berechtigterweise als Unternehmer einfordern? Und warum machen Sie dann solche Arbeiten „unter Wert“? Hier gibt es zum einen die nüchterne Antwort der „Alternativlosigkeit“: Weil der Betrieb schlicht nicht mehr Personal trägt und Sie letztlich voll mitarbeiten und „in der Bütt“ stehen müssen. Zum anderen haben wir aber den häufigen Fall, dass Sie als Chef(in) schlicht darüber gar nicht nachdenken, sondern die Arbeit auf sich zutreiben lassen. Schlimmstenfalls sind Sie der Getriebene Ihrer Mitarbeiter, der alle ungeliebten, vermeintlich zu komplizierten oder etwas Entscheidungsfreude erfordernden Tätigkeiten wie ein Staubsauger ansaugt. Schon stecken Sie in der Tretmühle. Doch sind das alles unverzichtbare Cheftätigkeiten, die nur Sie machen können oder sollten?
Arbeit und Leistung sind nicht dasselbe
Damit kommen wir zu einer für manche Vielarbeiter bitteren Erkenntnis: Sie können den ganzen Tag arbeiten, sind abends erledigt, aber bei Lichte betrachtet haben Sie nicht viel geleistet. Leistung ist Arbeit je Zeiteinheit, in der betriebswirtschaftlichen Welt ist es die Wertschöpfung je Stunde. Hier müssen Sie wirklich ehrlich sein und sich mit den Ergebnissen Ihrer Zeitanalyse auch unter betriebswirtschaftlichen Aspekten auseinandersetzen.
Jede Tätigkeit, die hinsichtlich Qualifikation und Kompetenz auch ein Mitarbeiter erledigen könnte, gehört auf Ihren Prüfstand! Erst recht jede Arbeit, die jemand mit vielleicht 20€ oder 30€ Stundenlohn gut machen kann, während Ihr eigener Stundenlohn mindestens bei dem Doppelten beginnen, aber eher beim Drei- bis Vierfachen liegen sollte (ansonsten sollten Sie sich vielleicht grundlegende Fragen zum Sinn der Selbstständigkeit stellen).
Das schließt die Tätigkeit im Handverkauf mit ein. Gute Approbierte für den HV kosten ab etwa 30€ bis in der Regel allenfalls 45€ pro Stunde. Das sollte noch deutlich unter Ihrem Chef-Ziellohn liegen. Damit ist auch die Tätigkeit im HV eher eine, der Sie sich aus strategischen Erwägungen widmen, um nämlich gegenüber der Kundschaft Präsenz zu zeigen, was standortabhängig mehr oder weniger wichtig ist. Klugerweise beschränken Sie das aber auf die Hochlast-Zeiten (um nicht zu viel Personal vorhalten zu müssen) bzw. auf die Zeiten, in denen bevorzugt Ihre Top-Kunden kommen (mit denen Sie teilweise sogar regelrechte „Chef-Termine“ vereinbaren können). Es geht also um „Gesichtspflege“ in der richtigen Dosis, zudem erfüllen Sie damit eine Leit- und Vorbildfunktion gegenüber den Mitarbeitern.
Lösungen
Damit kommen wir den Lösungsansätzen für einen geregelten Feierabend schon näher.
- Erkennen Sie zuerst Ihre eigenen Stärken: Was kann ich besser als meine Mitarbeiter? Was davon ist wirklich bedeutsam und entscheidungsrelevant, benötigt also den Chef?
- Was fällt Ihnen dagegen schwer? Sind dies jedoch trotzdem unverzichtbare Führungsaufgaben? Haben Sie hier wirklich eklatante Schwächen, dann sollten Sie entweder an deren Behebung arbeiten (durch Weiterbildung, Persönlichkeitsseminare etc.) oder aber nach vertrauenswürdigen Beratern oder gar einem „Partner auf Augenhöhe“ (siehe unten) schauen. Zu große „blinde Flecke“ sollten Sie sich heute zumindest auf längere Sicht nicht mehr leisten.
Beginnen Sie nun, Ihren bisherigen Tagesplan nach den erwähnten Kriterien zu entrümpeln und auf das Wesentliche zu verdichten (siehe dazu die Tabelle unten). Sortieren Sie also
- nach Relevanz (was ist aufgrund der Bedeutung eine klare Chefaufgabe, wobei die Schwellen der Unternehmensrelevanz Sie setzen müssen),
- nach Werthaltigkeit (wer kann es ähnlich gut, aber billiger?),
- nach Ihren Stärken bzw. Schwächen,
- und durchaus nach Ihren persönlichen Vorlieben – diese Freiheit sollten Sie sich als Selbstständiger schon in Maßen gönnen dürfen...
Das wird zwangsläufig dazu führen, dass andere im Team mehr zu tun bekommen, wenn Sie sich entlasten möchten.
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Zauberwort Delegation
Das richtige Delegieren von Aufgaben gilt als Königsdisziplin einer Führungskraft, setzt aber bereits einiges voraus, bevor es sinnhaft angewendet werden kann:
- fähige Mitarbeiter bzw. solche mit entsprechendem Potenzial, das es zu entwickeln gilt,
- klare eigene Vorstellungen und Ziele, was wie delegiert werden kann und soll, einschließlich die Motivation der Mitarbeiter für die Ziele,
- eine gute Portion Vertrauen,
gleichwohl Kontrollmechanismen, die nicht als Misstrauen oder unbotmäßige Überwachung empfunden werden. „Gute Führung ist eine, welche die Menschen nicht (unangenehm) spüren“, sagte der Philosoph Laotse schon vor 2.000 Jahren.
Kurzum: Mit dem Adlerblick sollten Sie Ihre Mitarbeiter betrachten – wer ist für was geeignet? Scheuen Sie sich nicht, klar zu kommunizieren, dass Sie sich entlasten werden, um im Sinne des Betriebes und der Mitarbeiter den Kopf freizubekommen für die strategisch wesentlichen Aufgaben.
Partner auf Augenhöhe
Einen Schritt weiter auf dem Weg zur Entlastung gehen Partnerschaftsmodelle. Diese reichen von einer „Chefvertretung“ im wahrsten Sinne des Wortes, also auf Augenhöhe, bis hin zur Mitunternehmerschaft in einer OHG. Letztlich geht es darum, den vielstrapazierten Begriff des „Unternehmers im Betrieb“ auf der Ebene der Mitarbeiter mit Leben zu erfüllen. Idealerweise finden Sie einen Quasi-Kounternehmer zum Angestelltentarif, der sich im Zweifelsfall doch Ihren Entscheidungen „brav“ unterordnet.
Praktisch gehen Angestellter und Unternehmer nur bis zu einem gewissen Grad zusammen – die Sichtweisen unterscheiden sich dann doch immer wieder. Oft reicht es jedoch, eine gute, zuverlässige Seele für das operative Tagesgeschäft zu haben, für den strategischen Teil sind ja noch Sie da. Ansonsten stellt sich die Frage nach einer Teilhaberschaft (mit allen Chancen und Risiken bzw. Einschränkungen und Abhängigkeiten!) oder einer langfristig angelegten Nachfolgeregelung, welche erst einmal über einige Angestelltenjahre führt.
Sie sehen: Der Weg zu einer besseren Work-Life-Balance muss nicht allzu lang sein, zumal wenn Sie realistische Einkommensvorstellungen haben. Doch Achtung: Zu viel „Life“ und zu wenig „Work“, sprich „Schleifenlassen“, kann standortabhängig rasch den gefürchteten Kellertreppeneffekt in Gang setzen! Nichtsdestotrotz gilt für viele: weniger arbeiten – mehr nachdenken! Auch darüber, was Sie z.B. mit Ihrem Vermögen machen.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2015; 40(13):4-4