Prof. Dr. Reinhard Herzog
Ein kleines Gedankenexperiment mag die Bedeutung des Themas illustrieren. Betrachten wir drei Apotheken A, B und C. A wachse mit durchschnittlich 5% pro Jahr deutlich über dem Marktdurchschnitt, B lege 2% pro Jahr zu, C verliere hingegen jeweils 2%. Das kann man auf den Umsatz oder auch den Rohertrag münzen. Nach 10 Jahren werden die Apotheken, vom Ist-Zustand = 100% ausgehend, wie folgt dastehen:
A: 163%
B: 122%
C: 82%
Die Entwicklung ist soweit auseinander gegangen, dass A gegenüber C nach diesen zehn Jahren rund doppelt so viel Umsatz bzw. Rohertrag hat! Das illustriert die auf lange Sicht wirksame „Scherenbewegung“ und Auseinanderentwicklung des Marktes. Könnten wir dies durch pauschale Vergütungsanpassungen abmildern?
Betrachten wir dazu nur die Fixkomponente des Rx-Anteils. A soll um 5% nach Packungszahlen zulegen (was weit schwieriger ist als nach Umsatz, aber je nach Umfeld durchaus möglich), B legt um 2% zu, C verliert 2% Rx-Packungen pro Jahr. Das Honorar soll aber um 2% jährlich entsprechend der hier unterstellten, ebenso hohen Inflationsrate dynamisiert werden, sozusagen die Verwirklichung eines Wunschtraumes. Dann schaut es nach Ablauf von zehn Jahren hinsichtlich des Rx-Fixhonorars nominal so aus (erstes Jahr = 100%):
A: 185%
B: 143%
C: 100%
Tatsächlich ist die Lage schwieriger, weil mit hoher Wahrscheinlichkeit zurückgehende OTC-Umsätze der schwachen Apotheke den Abstand weiter vergrößern, eine notwendige Folge, wenn Kunden und Rezepte ausbleiben. Der wachsende Kollege gewinnt hingegen auch hier.
Das Ergebnis ist ernüchternd: Eine Honorardynamisierung verkleinert den Abstand zwischen den wachsenden und schrumpfenden Betrieben kaum! Allenfalls werden die Schwächeren ein wenig stabilisiert und insoweit der Niedergang hinausgezögert, während die Starken weiter davoneilen, dann auf einem nochmals höheren Niveau.
Kellertreppeneffekte
Während wir die politischen Implikationen hier nicht klären können, sollte jedoch das Bewusstsein für diese durchaus dramatischen „Spiralen“ und Entwicklungen – im Grunde eine Konsequenz des Zinseszins-Effektes – geschärft werden. Wer nämlich in einen solchen Negativ-Strudel gerät, hat es in jedem Fall schwer. Doch woran liegt es, ob man auf der Sonnen- oder Schattenseite steht?
Externe Faktoren
So langsam schärft sich die Wahrnehmung für die externen Standortfaktoren, die sich in Begriffen wie demografischer Wandel, Stadtflucht, Ärzteflucht und Veränderung der Einzelhandelslandschaft (u.a. durch das Internet katalysiert) widerspiegeln.
Vielfach verhält es sich jedoch immer noch wie mit den Fröschen: Man kann sie ohne Fluchtreflexe abkochen, indem man das warme Wasser langsam erhitzt. Aus heißem Wasser springen sie sofort hinaus. Ähnlich geht es vielen Apotheken: Eingeigelt in einer gewissen Gemütlichkeit, merken viele nicht, dass die Uhr gegen sie tickt (oder verdrängen es). Wertvolle Zeitfenster für den „Fluchtreflex“ schließen sich. Andere erkennen Wachstumschancen vor der eigenen Haustüre nicht, und schaffen so Raum für neue Konkurrenz. „Räume schaffen“ und „Umschaltspiel“ gilt eben nicht nur im Fußball...
Die entscheidende Frage dabei gilt dem Marktpotenzial.
Dieses definiert sich im weiteren Sinne aus der von Ihnen prinzipiell erreichbaren Kundschaft. Im engeren Sinne wird es von den Kunden im unmittelbaren Einzugsgebiet und aus dem direkten Zulauf gebildet.
Schrumpft nun dieses Potenzial an sich infolge eines kontinuierlichen Einwohnerrückgangs oder im Gefolge einer Verschlechterung der Kaufkraft und Kundenstruktur (z.B. „Verslumung“, Ghettoisierung oder auch Überalterung mit vielen Sozialrentnern), wird es gefährlich, denn darauf haben Sie keinen Einfluss.
Andererseits können sich Kaufkraftströme schlicht verlagern: Obwohl das Kundenpotenzial vor Ort stabil ist, verschieben sich die Einkaufsmittelpunkte in Richtung naheliegende Städte (die „Stadtflucht der Geldbörsen“) oder Center, aber auch in den online-Handel. Wegbrechende Arztpraxen vor Ort beflügeln diesen Verlagerungsprozess gerade für die Apotheken weiter. Diese Situation finden wir heute häufig vor.
Anpassen oder flüchten?
All diesen Phänomenen ist gemein, dass Sie dafür nichts können, sondern mit den berühmten „Strukturveränderungen“ konfrontiert werden. Entweder, Sie passen sich den Gegebenheiten an (was Ausweich- und eigene Abwanderungsoptionen einschließt), oder Sie werden womöglich durch diesen Wandel selbst gebrochen. Lediglich noch schwächer aufgestellte Konkurrenten, die früher aufgeben, halten Sie vielleicht auf einer „relativen Siegerstraße“ – das Prinzip „last man standing“. Das muss die Lage vor Ort aber hergeben.
Den Abstieg „wegsparen“?
Diese Situation vor Augen, sind viele geneigt, nun dem Abstieg „hinterherzusparen“. Das ist aber vielfach so, als würden Sie vor dem eigenen Schatten davonzulaufen versuchen. Daher die nüchterne Frage: Geht das überhaupt, und wie lange?
Betrachten wir eine noch durchaus potente 2 Mio.-Apotheke mit einer durchschnittlichen Marge von 25%, d.h., 500.000 € Rohertrag. Die Gesamtkosten betragen 350.000 €, damit ergibt sich ein Vorsteuergewinn von 150.000 € p.a. Nehmen wir an, der Markt und damit der Umsatz schrumpft langfristig um scheinbar nicht so dramatische 2% pro Jahr. Der übliche Kostenanstieg betrage 1,5% jährlich, gegen die u.a. angespart wird. In der Tabelle ist beispielhaft einmal ein Abstiegs- und Sparszenario dargestellt.
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Theoretisch müssten jedes Jahr Rohertragsverlust (10.000 €) und Kostenanstieg (rund 5.000 €) aufgefangen werden. Klugerweise wurde hier bereits frühzeitig ein größerer Kostenblock in Höhe von 35.000 € gestrichen (z.B. eine Personalstelle). Das sichert erst einmal den Gewinn. Nichtsdestotrotz müssen Sie laufend dem Ertragsschwund hinterhersparen (hier immerhin 7.500 € jedes Jahr), und büßen dennoch deutlich an Gewinn ein, inflationsbereinigt nochmals stärker als dargestellt. An und für sich müssten Sie also noch mehr sparen – keine schöne Lage!
Betriebsinterne Faktoren
Durch obige, externe Faktoren angestoßen, beginnen interne Prozesse zu wirken, die sich bis hin zu Zerfallserscheinungen steigern können:
Es wird am Personal gespart (größter Kostenblock!), allerdings auf eine alle Mitarbeiter demotivierende Weise: Gehälter werden eingefroren, das Weihnachtsgeld, die einst freien Getränke und sonstige Vergünstigungen entfallen. Die Motivationskrise lässt meist nicht lange auf sich warten. Die Abwärtsspirale ist in Gang gesetzt: Das Klima färbt auf den Arbeitsalltag ab, die Kunden werden das bald merken und mit den Füßen abstimmen!
Tipp: Statt Ihr Personal laufend mit Sparmaßnahmen zu „quälen“, sind singuläre, wenn auch harte Schnitte besser, d.h. die Trennung von einzelnen, (zu) teuren Mitarbeitern. Damit sinken die „sprungfixen“ Kosten deutlich, ein „Puffer“ entsteht.
Gerne werden dann die Sachkosten auf den Prüfstand gestellt, u.a. Marketingausgaben. Kürzungen mit dem Rasenmäher wirken oft verheerend, wenn die Kunden davon direkt betroffen sind: Keine Kundenzeitschriften mehr, keine geschätzten Zugaben, Botendienste eingeschränkt u.a.m. Während die Abschaffung oder Reduktion unnützer, wenig wirksamer oder kaum wertgeschätzter Leistungen sinnvoll ist, dürfen Sie jedoch keinesfalls die Verärgerung der Kunden riskieren. Wenn erst einmal der Kundenschwund Fahrt aufnimmt, kommen Sie mit dem Sparen gar nicht mehr hinterher.
Tipp: Jede Sparmaßnahme ist sorgfältig auf Kundenwirksamkeit und Beliebtheit bei Ihren Patienten hin zu untersuchen. Weithin geschätzte Leistungen dürfen nie gestrichen werden, ganz im Gegenteil!
Ein Betrieb im Rückwärtsgang entfaltet oft einen erstaunlichen „Kleinlichkeitswahn“. Bisweilen groteske Sparvorschläge kommen auf den Tisch, bis hin zu Klopapier und Notizzetteln oder die Reduzierung der Beleuchtung. Bis zum endgültigen Ausgehen der Lichter ist es dann schlimmstenfalls nicht mehr allzu weit, denn alsbald beginnt sich die „Todesspirale“ zu drehen:
- Ein sich beschleunigender Kundenrückgang drückt die Umsätze und noch viel stärker die Gewinne (Hebelwirkung: Nur 1% Umsatzrückgang bedeutet meist einen Gewinnrückgang um stolze 3% bis 4%!).
- Infolge rückläufiger Umsätze kaufen Sie zu immer schlechteren Konditionen ein.
- Die spezifischen Kosten je Packung oder Kunde steigen, denn viele Festkosten bleiben, wie der Name sagt, gleich.
- Die Luft für Investitionen, kundenwirksame Leistungen und Marketing wird dünner. Sie fallen im Wettbewerb zurück, die Attraktivität der Apotheke leidet immer stärker.
- Die Mitarbeiter murren zunehmend. Die besten gehen, die schlechtesten bleiben meist bis zum Schluss. Die Rekrutierung von fähigen, guten Angestellten wird schwierig. Sie können es sich kaum mehr leisten, auch finanziell gute Arbeitsbedingungen zu bieten.
- Somit verwundert es nicht, dass sich der Kundenrückgang weiter beschleunigt.
- Das Ende ist irgendwann absehbar und unausweichlich.
Soweit dürfen Sie es nie kommen lassen. Denn unter anderen Vorzeichen wird aus obiger „Todesspirale“ eine Aufwärtsspirale, die all die obigen Abwärtsbewegungen ins Gegenteil verkehrt.
Allerdings muss für diese Umkehr der Markt vorhanden sein (siehe oben). Andernfalls ist es ein Spiel auf Zeit, und auch dieses will richtig gehandhabt werden. Doch vergleichen Sie einmal die Unterschiede bei den gleichen Startvoraussetzungen wie oben, wenn statt 2% Umsatzminus pro Jahr nur das Vorzeichen wechselt und 2% Plus zu Buche stehen (siehe Tabelle Aufwärtsspirale).
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Deswegen ist das Wichtigste, jeder länger andauernden Abwärtsbewegung entschieden entgegenzutreten, denn ein „Hinterhersparen“ klappt auf Dauer nicht! Nur wer nicht mehr allzu lange im Berufsleben steht, kann die Strategie des Auslaufenlassens fahren. Wer noch viele Jahre vor sich hat, muss notfalls dahin gehen, wo die Märkte sind, wenn die eigenen vor der Tür unumkehrbar wegbrechen.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2015; 40(22):4-4