Prof. Dr. Reinhard Herzog
Macht das Jahresende nicht noch schlapp, dürften wir 2015 ein deutliches Umsatzplus im Bereich von 3 % bis 4 % sehen, auch wenn es in der zweiten Jahreshälfte gemächlicher vorangeht. Ein starkes erstes Halbjahr im Bargeschäft tat den Rohgewinnen tut, während andererseits allein über 1%-Punkt des gesamten Umsatzwachstums dieses Jahr noch einmal schlicht den neuen, hochpreisigen und margenschwachen Hepatitis-C-Mitteln geschuldet ist.
Eine Stabilisierung dieser Spezial-Ausgaben ist absehbar und ausdrücklich gewollt. Andererseits dreht sich das Innovationskarussell auf anderen Indikationsgebieten nach wie vor recht schnell, man denke nur an die Onkologika, Immuntherapeutika oder teils extrem kostspieligen Orphan Drugs.
KBV-Rahmenvereinbarung
Zur Beurteilung der Zukunftsaussichten lohnt ein Seitenblick zu unseren wichtigsten Partnern, den Ärzten. So schließt die kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV, www.kbv.de) jährlich mit den Vertretern der Kostenträger Rahmen- und Zielvereinbarungen zu Arzneimitteln und auch Heilmitteln ab. Sie lassen sich auf den Webseiten der KBV im Detail einsehen.
Da sie das Verordnungsgeschehen maßgeblich beeinflussen und auch bedeutsam für die Wirtschaftlichkeits- und Richtgrößenprüfungen sind, sollen sie näher beleuchtet werden, bestimmen sie die Aussichten für 2016 doch erheblich mit.
Die wesentlichen bundesweiten Rahmenvereinbarungen stellen sich wie folgt dar:Das Ausgabenvolumen für Arzneimittel in der GKV darf um 3,7 % steigen, das sind etwa 1,2 Mrd. € brutto. 3,5 % sind für innovative Arzneimittel vorgesehen, 0,5 % durch die Verschiebung bisher stationär erfolgter Versorgung in den ambulanten Bereich. Die Preisentwicklung wird ansonsten mit minus 0,3 % angenommen, was auf gesenkte Festbeträge zurückzuführen sein soll.
Ein Sonderausgabenvolumen von 1,4 Mrd. € ist für die innovative Hepatitis-C-Therapie reserviert, das war in 2015 allerdings auch schon so. Es findet also insoweit keine Veränderung der Planungsgrundlage statt. Diese „Sonderbudgets“ bleiben bei den Richtgrößenprüfungen und Richtgrößenberechnungen für die Ärzte außen vor. Alle Werte werden noch regional je nach Versichertenzahl, Alter und Morbidität modifiziert und weiter aufgeschlüsselt, was dann zu den regionalen Zielvereinbarungen und Ausgabenvolumina führt.
Nebenbei: Für Heilmittel (zu gut 8 0 % Physiotherapie!) gibt es ebenfalls 3,7 % mehr, das entspricht in absoluten Beträgen rund 195 Mio. €.
Bestandteil der Rahmenvorgaben sind zudem detaillierte Vereinbarungen hinsichtlich der häufigsten Arzneistoffe, was sich dann auf den Rezepten widerspiegelt. Je nach Wirkstoffgruppe werden sowohl Leitsubstanzen als auch Zielgrößen in Form von zu erreichenden Verordnungsquoten vereinbart. Diese Quoten werden zudem nach KV-Bezirken wiederum weiter regionalisiert, wobei die Abweichungen von den bundesweiten Durchschnittswerten vielfach nur marginal sind. Die obenstehende Tabelle zeigt diese Zielwerte der angestrebten minimalen (bei günstigen, generischen Wirkstoffen) oder auch maximalen Verordnungsanteile („Deckelung“ teurer bzw. innovativer Wirkstoffe bzw. Arzneiformen) daher im Bundesschnitt.
Das erklärt auch die Präferenz der Ärzte für die aufgeführten Wirkstoffe und das bisweilen zu beobachtende Phänomen, dass auf bestimmten Wirkstoffen beharrt wird, hin und wieder selbst bei Verträglichkeitsproblemen.
GKV-Finanzen
Werfen wir einen Blick auf die GKV-Finanzen. Rund 75 % des Apothekenumsatzes sind heutzutage durch die GKV bestimmt. Der Schätzerkreis veröffentlicht im Herbst stets seine Prognosen. Wie es um die GKV-Finanzen bestellt sein soll, zeigt die obenstehende Tabelle.
Die zunehmende Notwendigkeit von Zusatzbeiträgen erklärt sich durch die wachsende Differenz aus den Zuweisungen des Gesundheitsfonds und den tatsächlichen, steigenden Ausgaben. Immerhin müssen in 2016 so rund 14,4 Mrd. € – von Kasse zu Kasse unterschiedlich – aufgefangen werden. Das entspricht in etwa 1,1 Beitragssatz-Punkten, ausgehend vom gesetzlichen Grund-Beitragssatz von 14,6 %.
Da bereits heute die bis 2014 noch geltenden 0,9 %-Punkte Zusatzbeitrag eingepreist sind (allerdings nicht bei allen Kassen), bewegt sich der tatsächliche Steigerungsbedarf des Zusatzbeitrages über die gesamte GKV hinweg eher bei etwa 0,2 %-Punkten. Wer jedoch erhöhen muss und wie durch den Griff in die individuelle Rücklage etwas „gedreht“ werden kann, liegt an der Finanzlage der jeweiligen Kasse.
Gesamtwirtschaftlich befinden wir uns noch in einer fast traumhaften Konstellation. Steigende Mitglieder- und Versichertenzahlen, erheblich zunehmende beitragspflichtige Einnahmen infolge höherer Beschäftigung, steigende Löhne sowie im nächsten Jahr ein kräftiger Rentenanstieg um 4 % bis 5 % bedeuten eine Verbesserung der Einnahmebasis um stolze 53 Mrd. €. Das allein generiert gut 8 Mrd. € zusätzlich! Es gab viele Jahre, in denen durch steigende Arbeitslosigkeit und rückläufige Beschäftigung hier rote Zahlen standen. Kippen Konjunktur und Beschäftigung, stehen schnell wieder hohe Milliardenbeträge im Feuer.
Steigende Herausforderungen
Welchen Einfluss könnten die Flüchtlinge auf das GKV-Finanztableau haben? Nach der Erstaufnahmephase und Zuweisung an eine Kommune werden die Gesundheitskosten bislang bei diesen aufnehmenden Gemeinden abgerechnet und über Bundeszuschüsse (nur bedingt vollständig) aufgefangen. Je nach Bundesland kann dann eine Versorgung über die Gesundheitskarte/GKV erfolgen, wobei letztere mit der Gemeinde abrechnet.
Dennoch könnte es im Sinne einer „unauffälligen“ Kostenverteilung (die „schwarze Null“ im Bundeshaushalt ohne neue Schulden soll ja weiter stehen) darauf hinauslaufen, die Flüchtlinge letztlich doch über die GKV solidarisch zu finanzieren. Zumal erhebliche Rücklagen im Gesundheitsfonds und bei den Kassen von zusammen immer noch rund 25 Mrd. € durchaus Begehrlichkeiten wecken können.
Ein großer GKV-Topf...
Selbst bei Annahme der durchschnittlichen GKV-Kosten je Versichertem (= ca. 3.100 € pro Jahr) – aufgrund des niedrigen Alterschnitts der Migranten eher zu hoch angesetzt – bedeutet jede Million „Neubürger“ ca. 3 Mrd. € Zusatzkosten jährlich. Angesichts eines „Gesamttopfes“ von 220 Mrd. € ist das tatsächlich eher gering und geht in den beträchtlichen sonstigen Steigerungsraten unter.
Auch 2 oder 3 Mio. Migranten würden das GKV-System absehbar nicht sprengen, sondern lediglich beherrschbar strapazieren, selbst wenn man die Einnahmen aus diesen Neumitgliedern mit Null ansetzt. Es spricht also einiges dafür, zumindest das Problem Gesundheitskosten angesichts der recht gesunden Finanzlage der GKV auf diese Art elegant zu „entsorgen“ und letztlich bei den Beitragszahlern eher unmerklich abzuladen. Auf lange Sicht kumuliert über alle Zweige des Sozialstaats und die Jahre hinweg droht freilich eine dramatische Kostenbombe, die sich keiner traut offen anzusprechen. Aber wir zahlen ja brav Jahr für Jahr quasi in Raten...
GKV gewinnt, PKV verliert
Die besten Zeiten bei den privaten Krankenkassen scheinen vorbei zu sein. Seit 2012 ist ein sich verfestigender Mitgliederschwund (von 2012 bis 2014 rund 142.000) zu verzeichnen, dieser betrifft v.a. die Nicht-Beamten. Bei den Beamten, die mitsamt Angehörigen rund 48% stellen, gibt es noch leichte Zuwächse.
Über viele Jahre hinweg konnte die PKV teils sechsstellige Zugänge verbuchen, oft mit Lockangeboten. Gut 40 Privatkassen, davon etliche mit allenfalls wenigen hunderttausend Kunden, bieten jeweils eine Vielzahl unterschiedlichster Tarife an – die Aufsplittung der Mitglieder ist somit enorm. Nicht wenige dieser Tarife mit einer zudem noch sehr überschaubaren Kundenzahl wurden und werden schlicht geschlossen (sprich, nehmen keine neuen Kunden auf), sodass die Bestandskunden darin vor sich hin vergreisen.
Konsequenz: Die Kosten explodieren entsprechend der bekannten Alters-Kostenkurven, etwas gedämpft durch Altersrückstellungen. Und so befanden sich bereits 2014 stolze 114.000 Kunden im „Notlagentarif“ (Minimalleistungen für gut 100 € monatlich). Das System schlittert absehbar in Probleme. Immer mehr verlassen das Schiff, und das könnte sich beschleunigen. Einen gewissen Schutz bieten „lebendige“, mitgliederstarke Tarife. Privatversicherte Kollegen sollten genau hinschauen und ggf. neu überlegen.
Allgemeine Randbedingungen
Nach wie vor befinden wir uns in einer Phase befriedigender Konjunktur, für 2016 sehen die Auguren ein Plus der Wirtschaftsleistung von 1,5 % bis 2 %. Doch wie viel sind solche Prognosen wert? Unbekannte sind der brennende Nahe Osten, Kriegshandlungen und die unkalkulierbare Rolle des Terrors, neben der Konjunkturabkühlung in Asien.
Flüchtlingskrise und Terrorangst wirken als dunkle Schatten, erste Bremsspuren auf dem Arbeitsmarkt sind (auch durch die Neubürger bedingt) denkbar. Die Probleme werden mehr und mehr kostenmäßig beziffert werden, dämpfend wirkende Steuererhöhungen werden bald im Raum stehen. Hier wirken dann viele, schwer fassbare psychologische Momente, die aber mindestens zur Hälfte das Wirtschaftsgeschehen bestimmen.
Ganz real sind jedoch in den meisten Branchen nochmals ordentliche Lohnzuwächse infolge der guten Beschäftigung. Die Lage ist hier im Vergleich zu früheren Zeiten außerordentlich gut, man staunt, wer alles einen Job hat und wie man selbst seine Ansprüche an Stellenbewerber oder Auszubildende zurückschraubt. Diese komfortable Arbeitnehmersituation wirkt konsumtreibend. 2016 sehen wir zudem wohl die höchsten Rentensteigerungen seit langem, 4% bis 5% werden vorhergesagt. Für die Apotheken ist dies eine der interessantesten Meldungen, dürfte davon doch der eine oder andere Euro dort landen.
Apotheken-Innenleben 2016
Nachdem das Thema Medikationsplan und -management mit der Penetranz einer tibetanischen Gebetsmühle in die Köpfe gehämmert wurde, liegt nun die erste politische Quittung vor: Ja, Ihr dürft, aber nur ergänzend und auf Kundenwunsch – und für die Krankenkassen gratis.
Das kommt davon, wenn viel gegackert, aber wenig Konkretes mit belastbaren Kosten-Nutzen-Betrachtungen geliefert wird. Andererseits: Wie viele Ärzte werden den Plan aufstellen (der dann zu ergänzen wäre), und wie viele Kunden werden das einfordern? Kann man dann nicht privat abrechnen? Wie hoch ist der Aufwand bei einer gut geführten, auf Kundenkarten gestützten EDV wirklich? So ändert sich wohl erstmal nicht allzu viel, und die Zukunft ist weiter völlig offen. Dennoch: Weniger Bürokratie und Aufwand werden es nicht!
Das ist die allgemeine Botschaft: Auch 2016 marschieren wir mit enorm viel Gepäck, geschuldet der irren Bürokratie, Regulierungsdichte und Systemkomplexität. Entlastungen sind nicht in Sicht, dafür werden die Mitarbeiter im nächsten Jahr wohl mehr einfordern (Tarifverhandlungen).
Fazit
Summa summarum dürfte auch 2016 im Zeichen spürbaren Umsatzwachstums stehen, wobei das mehrheitlich wieder teure, innovative Präparate tragen werden. Die Mengenkomponente dürfte sich deutlich verhaltener entwickeln.
Die Flüchtlinge werden sich verstärkt in der Breite zeigen, je mehr Menschen die Erstaufnahmestellen verlassen und in die Gemeinden verteilt werden. Dort sind sie dann teils reguläre GKV-Patienten (im Falle der je nach Bundesland präferierten Gesundheitskartenlösung), oder auch mal Rezeptkunden zu Quasi-Privatrezeptbedingungen ohne Kassenabschlag. Konkretisierungen und Rahmenvereinbarungen dürften bald folgen. Der Umsatzbeitrag wird insgesamt noch gering bleiben (< 1 %).
Im OTC-Segment erwarten wir nach zwei guten Jahren eine Beruhigung. Spürbare Lohn- und vor allem Rentenzuwächse in 2016 dürften jedoch den einen oder anderen Euro zusätzlich in der Apotheke landen lassen, was Sie durchaus mit in der Hand haben.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2015; 40(24):4-4