Emanuel Winklhofer
„Ich dachte, der Fahrer kommt schon um 16.00 Uhr“, „Die Spraydose war schwer zu bedienen“ etc. Gerade in diesen Situationen können wir zufriedene Kunden generieren, die für uns sogar noch Werbung betreiben. Jede Art der Reklamation ist hilfreich und gibt uns die Chance, besser zu werden – in der Organisation, in der Kommunikation und im Marketing.
Selbst die direkten Reklamationen gehören zu unserem Alltag: Kunden beschweren sich, reklamieren, sind aufgebracht und wütend. Und dann gibt es auch noch Kunden, die vom Typ her ohnehin schon schwierig zu handhaben sind: Choleriker oder Nörgler zum Beispiel.
Vorsicht: Frust und Ärger
Wenn Mitarbeiter an einen solchen Kunden geraten, erzeugt das erst einmal Frust und Stress, da dies als persönlicher Angriff empfunden wird. Langfristig oder wenn sie häufiger mit Reklamationen zu tun haben, kann sich dies negativ auf ihre Motivation und auch auf ihr Selbstbewusstsein auswirken.
Deshalb ist es wichtig, dass alle im Team wissen, wie sie mit schwierigen Situationen und schwierigen Kunden am besten umgehen. Wenn ein Kunde reklamiert, beinhaltet das auch immer die große Chance, einen verärgerten Kunden zu einem treuen Partner zu machen. Gerade bei einer Reklamation erhalten wir in der Apotheke die ungeteilte Aufmerksamkeit eines Kunden! Reklamationen sind sehr gute und auch kostengünstige Kunden-Feedbacks.
Das Beschwerdemanagement oder Reklamationsmanagement umfasst alle Maßnahmen, die ein Unternehmen ergreift, um die Unzufriedenheit eines Kunden zu erfassen und die Zufriedenheit wieder herzustellen. Ziel ist es, die gefährdeten Kundenbeziehungen zu stabilisieren. Die Äußerung einer Beschwerde steht im Zentrum des Beschwerdemanagements.
Ein zufriedener Kunde sagt es drei Menschen weiter, ein unzufriedener sagt es zwölf Menschen – und ein Kunde, der nach einer Reklamation schnell und kompetent zufrieden gestellt wurde, erzählt es 20 Personen. Er ist somit ein hervorragender Werbeträger. Stellen Sie sich vor, wie viel Geld wir oft für Werbemaßnahmen ausgeben – und bei Reklamationen sind wir kleinlich und verlieren viele Kunden. Das passt nicht zusammen!
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Eine Untersuchung hat gezeigt, dass nur 4 % der unzufriedenen Kunden reklamieren. Wenn ein Kunde reklamiert, gehört er zu einer krassen Minderheit, es gibt tatsächlich noch weitere 25 Unzufriedene. Und ein unzufriedener Kunde sagt es wiederum etwa zwölf Personen weiter! Das bedeutet, dass mit jedem reklamierenden Kunden auch rund 300 Menschen Negatives über Ihr Unternehmen erfahren. Genau deshalb können Sie sich keine unzufriedenen Kunden leisten!
Beispiele aus dem Handel
In Unternehmen werden Tausende von Euro für Werbung ausgegeben, um neue Kunden zu gewinnen. Gibt es dann in den Kundenbeziehungen einige unsachgemäß bearbeitete Reklamationen, bricht das ganze System zusammen, denn die neu gewonnenen Kunden können nicht gehalten werden und die eingesetzten Werbegelder verpuffen schnell.
Der korrekte und großzügige Umgang mit Reklamationen sagt viel über die Qualität eines Unternehmens aus. Gut geführte Unternehmen lassen sich am Reklamationsverhalten schnell erkennen. Nachfolgend nur einige Beispiele, sicherlich haben Sie auch schon erlebt, dass Sie im Reklamationsfall sehr großzügig behandelt wurden.
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Lands’ End, ein Versandhaus für Kleidung, gab seinen Kunden uneingeschränkt eine lebenslange Garantie auf die gekaufte Ware. Es konnte jemand nach fünf Jahren einen Pulli zurückschicken und erhielt sofort sein Geld erstattet. Lands’ End handelte sich damit nicht eine Flut von Rücksendungen ein, sondern erhielt durch diese Art von Vertrauensbeweis eine enorme Zahl von Neukunden. Das System wurde jahrelang untersucht und analysiert und es konnte aufgezeigt werden, dass die Zahl derer, die unrechtmäßig etwas einfordern, weit unter 1 % liegt!
Bei der GLOBUS-Kette (Lebensmittel- und Baumärkte) mit sehr gut geschulten Mitarbeitern ist das Reklamationsverhalten vorbildlich. Bringen Sie z.B. Joghurt im Lebensmittelmarkt zurück, fragt Sie niemand, ob die Ware abgelaufen ist, Sie erhalten sofort Ihr Geld zurück. Im Baumarkt hat jeder Mitarbeiter einen Verhandlungsspielraum bis zu mehreren Hundert Euro, innerhalb dessen er (ohne einen Vorgesetzten zu fragen) Geräte sofort zurücknehmen darf. Die meisten Kunden werden diesen Service nie in Anspruch nehmen und doch ist es ein so großer Werbefaktor, dass viele Menschen diesem Unternehmen schneller ihr Vertrauen schenken.
In einer Dienstanweisung von ALDI steht, dass einem Kunden bei einer Reklamation uneingeschränkt Recht zu geben ist.
Umdenken im modernen Marketing
Diese Beispiele stellen keine Aufforderung dar, grundsätzlich alle Arzneimittel unbesehen zurückzunehmen und sofort den Preis zu erstatten o. Ä. Es soll nur eine Anregung zum Umdenken im Markt sein. Früher haben wir uns bei allen Marketingideen gefragt: „Kann ich es mir leisten, das zu machen?“ Heute ist es erforderlich, sich die umgekehrte Frage zu stellen: „Kann ich es mir leisten, nicht großzügig zu sein?“ Können wir es uns heute immer noch leisten, bei Reklamationen kleinkariert und knauserig zu sein? Was passiert, wenn ein Kollege zwei Straßen weiter sich seinen Kunden gegenüber sehr großzügig verhält? An dieser Stelle sei angemerkt, dass es sinnvoll ist, das Reklamationsverhalten des Mitbewerbers zu erforschen und zu kennen. Sie erhalten hier keine Anweisungen, was Sie genau zu tun haben und wie Sie im Reklamationsfall vorzugehen haben. Es sollen Vorschläge sein. Sie setzen Ihre eigenen Spielregeln fest. Dazu brauchen Sie Information über die Hintergründe und den Markt. Dann sind Sie in der Lage, Ihre eigenen Spielregeln festzulegen.
Bedeutender Faktor: Emotionalität
Die Wichtigkeit einer professionellen Reklamationsbehandlung erkennt man, wenn man die damit verbundene Emotionalität des Kunden betrachtet. Jeder Kunde, der in Ihrer Apotheke reklamiert, überlegt sich, wie er seine eigene Unschuld beweisen kann und fürchtet, dass er für „sein Recht“ kämpfen muss. Der Kunde befindet sich also in einem gefühlsmäßig hochgradig sensiblen Zustand.
Jedes Reklamationsgespräch läuft auf zwei Ebenen ab: auf der Informationsebene und auf der Emotionsebene. Die Informationebene behandelt die logischen Gesichtspunkte, die Fakten, Zahlen und realen Tatsachen. Die Emotionsebene spiegelt das Gefühl – den „Bauch“. Verständnis läuft auf der emotionalen Ebene ab. Sie ist der weit wichtigere Teil beim Reklamationsmanagement. 90 % der Vorgänge werden von der Emotionsebene oder Beziehungsebene eingenommen. Daher heißt das wichtigste Gebot bei Reklamationen: Nehmen Sie Menschen auf der Beziehungsebene an!
Lernen Sie, Menschen mit ihren Emotionen anzunehmen – auch wenn sie sehr verärgert sind. Der Kunde hat das Recht, das Gefühl zu erhalten, dass er auch mit einer Reklamation willkommen ist. Die Gefühle zu akzeptieren, heißt noch lange nicht, die Argumente zu akzeptieren. Es kann durchaus sein, dass der Grund seiner Reklamation unberechtigt ist oder dass Sie auf seinen Wunsch letztlich nicht eingehen. Verständnis für seine Verärgerung können Sie in jedem Fall aufbringen.
Zuwendung signalisieren
Behandeln Sie nie eine Reklamation, wenn Sie gerade in Eile sind, sondern nehmen Sie sich uneingeschränkt Zeit für den Kunden. Hören Sie ihm aufmerksam und aktiv zu, indem Sie durch ein Kopfnicken, ein „Ja“, ein „Hm“, ein „Verstehe ich“ Zuwendung signalisieren. Unterbrechen Sie ihn nicht, sondern lassen Sie ihn aussprechen. Zeigen Sie Verständnis durch Sätze, wie
- „Es tut mir leid, wenn Sie verärgert sind“,
- „Ich kann gut verstehen, dass Sie sich darüber geärgert haben“,
- „Aus Ihrer Sicht ist das völlig in Ordnung“ oder
- „Wenn Sie es so sehen, kann ich das verstehen“.
Fangen Sie bitte nicht an, sich zu rechtfertigen, sondern warten Sie ab. Meist fängt der Kunde mit seiner Beschwerde wieder von vorne an. Zeigen Sie immer noch Verständnis. Eventuell wiederholt sich der Vorgang zwei- bis dreimal! Signalisieren Sie immer noch Verständnis. Erst wenn alle Emotion raus ist, lässt sich auf der Informationsebene verhandeln! Stellen Sie nicht zu früh Fragen oder bieten Sie nicht zu früh Lösungen an, sonst zwingen Sie den Kunden in die Informationsebene, in die er wegen seines Ärgers noch nicht zu wechseln bereit ist!
Ein verärgerter Kunde kommt „hoch geladen“ bei Ihnen an, und es dauert einige Zeit, bis die Emotion abflaut. Erst dann ist der Kunde zu einem Dialog bereit. Wenn Sie ihn zu früh oder sogar mehrmals unterbrechen, braucht es eine weit längere Zeitspanne, bis er das „Gesprächs-Niveau“ erreicht. Auch wenn es schwerfällt, nehmen Sie sich die Zeit, warten Sie ab und hören Sie zu.
Nochmals zurück zu der Tatsache, dass nur 4 % der unzufriedenen Kunden reklamieren. Die anderen 96 % geben Ihnen leider keine Chance mehr, eine Unzufriedenheit aufzuklären und dafür zu sorgen, dass sie sich wieder gut betreut fühlen. Diese anderen 96 % kommen nicht mehr. Wie fatal! Sie sehen, welch große Macht ein Kunde hat. Auch wenn ein Kunde schimpft und schreit, weil er sich geärgert hat – er spricht wenigstens noch mit Ihnen. Ein kleiner Trost am Rande: Niemand außer einem Gorilla kann physiologisch länger als drei Minuten brüllen!
Selbst wenn ein Kunde seine schlechte Laune an Ihnen auslässt, zeigt er Ihnen, dass er gern bei Ihnen Kunde bleiben will und dass Sie doch einfach nur die negativen Umstände beseitigen sollen. Wenn Sie ihm nun zuhören, ihn ernst nehmen und ihm sofort signalisieren, dass Sie nach besten Kräften alles unternehmen, um seine Beanstandung für ihn aus der Welt zu schaffen, fällt dies beim Kunden natürlich auf fruchtbaren Boden.
Zweifeln Sie hingegen seine Aussagen an oder lassen Sie ihn spüren, dass Sie seine Geschichte als „an den Haaren herbeigezogen“ empfinden, stoßen Sie ihn vor den Kopf. Und wenn Sie dann auch noch ausdrücklich betonen, dass Sie die Kaufsumme nur ausnahmsweise zurückerstatten, werden Sie diesen Kunden nie wiedersehen!
Ich will Ihnen hier in keiner Weise empfehlen, alles mit sich machen zu lassen. Es geht darum, klare Grenzen zu setzen und auf einer Erwachsenenebene zu kommunizieren, wozu Sie bereit und wozu Sie nicht bereit sind – höflich, freundlich und bestimmt!
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Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(03):11-11