Gesellschaft im Umbruch

Sicherheit in Gefahr?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Unsere Apotheken gelten als Hort der Geborgenheit und Seriosität. Angesichts des sehr hohen Frauenanteils bei unseren Mitarbeitern werfen die aktuellen Silvester-Ereignisse (und viele nicht veröffentlichte ...) brisante Fragen auf: Wie steht es um die Sicherheit?

Die jüngsten Geschehnisse sind nicht zuletzt ein Weckruf, denn etliche Sicherheitsherausforderungen sind bereits länger erkennbar.

Unabhängig von der Flüchtlingswelle erlebt beinahe jeder Inhaber im Laufe seines Berufslebens zumindest einen, oftmals mehrere Einbruchsversuche oder gar vollendete Raubzüge, bekommen Freiwahlpackungen flinke Beine, werden Kunden rabiat, treiben Betrüger aller Art ihr Unwesen. Die jetzige Armutsmigration verschärft und akzentuiert nur vieles und wird dazu führen, dass sich auch Betriebe abseits früherer Problemviertel mit teils ungewohnten Fragen auseinandersetzen müssen.

Grund genug, das Thema Sicherheit auf die Agenda zu setzen. Manche Sicherheitsprobleme werden als solche noch gar nicht recht erkannt, da dem normalen Betriebstrott folgend. Deshalb beginnen wir mit diesen.

Hochpreiser

Etliche Arzneipackungen repräsentieren heute den Gegenwert eines Kompaktwagens oder einer Luxusuhr, wie die neuen Hepatitis C-Mittel, es gibt jedoch zig weitere Präparate, die hoch vier- oder gar fünftstellig zu Buche schlagen. Trotzdem finden diese sich nicht selten Seite an Seite mit einer 08/15-Bisoprolol-Packung im Regal für die Nachlieferungen, gerne über Nacht. Kein Juwelier würde seine teuren Stücke derart ungesichert herumliegen lassen. Entwickeln Sie also hier mehr Sensibilität. Zum einen gilt das für die Kundenseite des HV-Tisches: Ist das Rezept in Ordnung? Droht eine potenzielle Betrugsmasche (gerade Privatrezepte sind hier anfällig, wenn die Bezahlung nicht gesichert ist)? Müssen Sie Trickdiebstahl befürchten?

Und hinter dem Tisch drohen vom Einbruchdiebstahl bis zur Mitarbeiterunterschlagung ebenfalls Risiken. Hohe Beträge (die für manche Menschen existentielle Bedeutung haben, künftig erst recht für bettelarme Zuwanderer) wecken die Fantasie und auch die Gewaltbereitschaft. Apotheken sind, im Gegensatz zu Banken oder Geldtransportern, leichte Ziele. Deshalb:

  • Hochpreiser gehören abgetrennt gelagert (Tresor)!
  • Die Lagerorte sollten von Kunden nicht eingesehen werden können.
  • Gestalten Sie das Handling sehr teurer Packungen (vor allem auch im Kundenkontakt) diskret und unauffällig.
  • Machen Sie Ihre internen Abläufe „wasserdicht“ – Dauerthema Rechnerzugriff und Bestandsmanipulationen!

Thema Gefahrstoffe

Chemie ist, was knallt und stinkt. Das scheinen auch viele Kriminelle so zu sehen. Terror und Sprengstoff gehören untrennbar zusammen, und die Drogenproblematik ist immer noch akut. So muss man heute sagen (unabhängig von der Rechtslage), dass zumindest für unbekannte Kunden alle Gefahrstoffe tabu sind, die es nicht auch ohne jede Auflagen an der Tankstelle oder im Bau- oder Drogeriemarkt gibt. Real sieht es so aus, dass die genannten Läden immer noch sehr viel freiverkäufliches Material liefern, mit welchem man eine ganze Menge dummes Zeug anstellen kann – weit mehr als mit ein paar Gramm aus der Apotheke.

Bei „exotischeren“ Wünschen kann man sicher den rechtlichen Rahmen bei einem bekannten Stammkunden mit plausiblem Anwendungszweck ausschöpfen. Ansonsten sollten Sie sich das Risiko nicht antun und nicht lange diskutieren, ein Belieferungsanspruch besteht nicht. Zur Not ist die gewünschte Substanz eben einfach nicht lieferbar.

Einbruchsicherheit

Apothekeneinbrüche spielen seit jeher eine große Rolle, häufig begangen von Süchtigen. Kommerzielle Gründe könnten zunehmen, wenn sich herumspricht, was wo zu holen ist. Und: Wie schon erwähnt, verschieben sich perspektivisch die Maßstäbe. Wofür sich heimische Ganoven nicht mehr die Finger schmutzig machen, stellt das für andere einen enormen Betrag dar. Nicht wenige Apotheken verzichten heute noch ganz auf einen wirksamen Einbruchschutz oder sind nur rudimentär geschützt. Das Gemeine: Wenn Ihre Konkurrenten im Umfeld erkennbar „aufgerüstet“ haben, liegt es auf der Hand, dass Sie auf der Zielliste nach oben rutschen...

Trumpfkarte Technik

Die Entwicklungen der Elektronik in Verbindung mit der Internet- und Mobilfunktechnik haben eine Fülle von Sicherheitslösungen für erstaunlich wenig Geld hervorgebracht. Schauen Sie einmal bei den Elektronik-Händlern, die sich seit Jahren auf das Thema Haustechnik und Sicherheit konzentrieren, wie z.B. www.conrad.de, www.elv.de, www.voelkner.de u.a.

Viele Angebote richten sich an Privatanwender, und so stellt sich die Frage nach der Professionalität und Eignung für betriebliche Belange – „Bastlerlösung“ versus „Profi-Lösung“. Um die Möglichkeiten der Technik kennenzulernen, eignet sich das Studium dieser Katalogangebote aber sehr wohl. Hier ein Auszug aus dem heutigen Repertoire:

  • Nachtsichttaugliche Überwachungskameras mit Internet-Anbindung und laufender Einsichtsmöglichkeit in den Betrieb,
  • Lichtschranken, Bewegungsmelder und Einbruchssensorik an Türen, Fenstern etc. mit Alarmruf auf das Mobiltelefon,
  • automatische oder via Internet ferngesteuerte Reaktionsmöglichkeiten (Licht an, Beschallung u.a.m.),
  • digitalisierte Haustechnik mit Fernsteuerung aller wichtigen Funktionen und elektronischer, videoüberwachter Zutrittskontrolle (cave: Hackerangriffe!),
  • Mini-Drohnen (aber: sehr begrenzte Flugzeit).

James Bond hätte seine Freude an den heutigen Möglichkeiten, und der technikbegeisterte Apotheker mag an unkonventionelle Methoden denken, um Eindringlinge abzuschrecken oder gar niederzustrecken. Vor solchen „Stand Your Ground“-Aktionen mit hohem Schädigungspotenzial, technisch durchaus leicht realisierbar, muss eindringlich gewarnt werden. Die rechtlichen Konsequenzen sind gravierend und gehen über das Strafrecht weit hinaus.

Am Ende wird es dann doch in der Regel auf eine Fachfirma hinauslaufen, die Ihnen eine mehr oder weniger technisch ausgefeilte Lösung präsentiert. Schon mit einfachen mechanischen Hindernissen lässt sich viel erreichen, viele Einbrecher lassen sich recht schnell abschrecken, sobald sie auf größere Schwierigkeiten stoßen.

Mitarbeitersicherheit

Ereignisse wie die in der Silvesternacht haben gerade in der heutigen Internet- und Social-Media-Welt einen exorbitanten Nachhall. Unabhängig von der tatsächlichen eigenen Bedrohungslage ziehen zunehmend Angst und Misstrauen ein, was speziell von organisierten Unruhestiftern oder gar Terroristen ja ganz gezielt beabsichtigt ist. Nun kann man dies totschweigen oder verharmlosen (welche Konsequenzen das hat, erleben wir zurzeit in den Diskussionen „vor“ und „hinter“ den Kulissen), oder aber wir stellen uns den Herausforderungen nüchtern, realistisch, konstruktiv, ohne Panikmache. Als Arbeitgeber, zumal mehrheitlich von Frauen aus bürgerlich-behütetem Milieu, tun Sie gut daran, Ängste und Sorgen Ihrer Mitarbeiter frühzeitig wahr- und aufzunehmen.

Hier gibt es zwei neuralgische Bereiche. Zum einen kann der Arbeitsweg eine zunehmende Belastung unter Sicherheitsaspekten darstellen, vor allem zu einsameren Zeiten (lange Centeröffnungszeiten, Notdienste). Lösungen sind hier:

  • apothekennahe Mitarbeiterparkplätze (wobei man natürlich die meist knappen Parkmöglichkeiten lieber den Kunden zur Verfügung stellt),
  • Fahrgemeinschaften, Mitarbeiter kommen bzw. gehen nicht alleine,
  • in Einzelfällen (Notdienst, Sonderzeiten) sorgen Sie als Chef(in) für ein Heimkommen per Taxi oder fahren auch mal selbst jemanden heim (was Ihr Ansehen erheblich steigert – Sie kümmern sich persönlich),
  • Eruierung alternativer Wege und Verkehrsmöglichkeiten,
  • Intervention bei der Gemeinde und den Verantwortungsträgern, um z.B. gewisse chronischen Störer und Rudel von Belästigern in die Schranken zu weisen,
  • Zusammenschluss mit benachbarten Geschäftsleuten und Ladeninhabern, Organisation gemeinsamer Aktionen, gemäß dem Motto: Gemeinsam stark und Flagge zeigen.

Im Apothekenbetrieb sind neben dem Überfallrisiko Belästigungen, Beleidigungen und Bedrohungen durch rabiate und übergriffige Kunden ein Thema, vor allem in schwach besetzten Randzeiten oder im Notdienst.

Kunden-Benimmregeln

In der Geschäftswelt gilt: Je nobler der Laden, umso schneller fliegt man raus. Wer beispielsweise bei einem Edel-Juwelier laut herumpöbelt, dürfte sehr rasch vom heute meist auch hierzulande vorhandenen Sicherheitsdienst höflich-bestimmt „hinauskomplimentiert“ werden. „Benimm-Regeln“ für Kunden sollten Sie gerade in Problemvierteln auch aufstellen – mit Augenmaß, an der jeweiligen Klientel orientiert, aber bestimmt und konsequent. Wird es turbulent, sollten Ihre Führungskräfte bzw. Sie als Chef(in) rasch und deutlich intervenieren und den Mitarbeiter nicht im Regen stehen lassen. Und: Keine Angst vor einem Rausschmiss, wenn das Benehmen über Maßen frech-aggressiv ist und keine medizinische Bewandtnis hat (Behinderte, psychisch schwer Kranke). Es spricht sich rasch herum, dass die „Methode Krawallo“ bei Ihnen fruchtlos bleibt.

Sie sollten es deshalb akzeptieren, wenn Mitarbeiter nicht allein arbeiten wollen, Kosten hin oder her. Kündigungen und Neubesetzungen werden teurer.

Aufrüsten?

Ein Wort zur „Selbsthilfe“, vielleicht wird auch bei Ihnen darüber diskutiert, was man so alles in Hand-, Hosentasche und Schublade tun kann. Waffengeschäfte erleben einen Ansturm auf frei verkäufliche Verteidigungsmittel aller Art. Nur: Viele davon sind in der Hand von Untrainierten eher gefahrerhöhend. So mögen ohrenbetäubende Kleinsirenen einen Überraschungseffekt haben, bereits der Einsatz von Pfefferspray hat jedoch viele „Freiheitsgrade“ (bis zur Selbstschädigung) und kann einen aggressiven Gegner noch brutaler werden lassen. Wer im Ernstfall aktiv agieren möchte, sollte nicht die Mühe scheuen, sich körperlich zu ertüchtigen und professionell in Selbstverteidigung ausbilden zu lassen. Alle anderen „Sesselhelden“ werden im Zweifelsfall gegen harte, entschlossene Gegner den Kürzeren ziehen. Unterhalten Sie sich einmal mit Sicherheitsfachleuten oder Bank-Mitarbeitern, wie dort die Anweisungen lauten!

„White-collar-Kriminalität“

Vergessen Sie bei der Fixierung auf die „harte Kriminalität“ nicht die „Weiße-Kragen-Täter“. Nach wie vor gibt es viele „Interessenten“ für Ihr Geld: Finanzbetrüger, Computer-Hacker, Internet-Betrüger, so manch „Partner“ (Motto: an, nicht mit der Apotheke verdienen ...). Wer sich zu sehr auf ein Thema fixiert, verliert schnell anderes aus den Augen. Dabei droht gerade von der „White-collar-Kriminalität“ oft weit größerer Schaden. Gerade im Finanzsektor und im täglichen Geschäftsleben bewegt sich vieles im Graubereich zur Legalität bzw. Kriminalität. Wenn Sie sich in ein schlechtes Investment locken lassen, heißt das noch lange nicht, dass Sie in strafrechtlich relevanter Weise betrogen wurden. Dergleichen gilt für diverse Marketingmaschen und Abofallen. Die „Abzock-Profis“ wissen das.

Umgekehrt dürfen Sie jetzt nicht in den totalen Misstrauensmodus verfallen. Das kostet nicht nur manch Chance, sondern vor allem sehr viel Lebensqualität auch und gerade im Umgang mit Ihren Mitmenschen. Mit einem überängstlichen und allzu misstrauischen Zeitgenossen arbeitet niemand gerne zusammen, und das Privatleben kann ganz empfindlich leiden! Übersteigertes Misstrauen wächst sich zudem bisweilen zu Boshaftigkeit und Misanthropie aus – für einen Heilberufler keine guten Voraussetzungen.

Fazit

Das Leben ist ein einziges Risiko, beginnend mit der Zeugung und erst endend mit dem Tod. Lassen Sie sich und Ihre Mitarbeiter nicht verrückt machen, sondern unterziehen Sie Ihren Betrieb einer Risiko- und Gefährdungsanalyse einschließlich der richtigen Gewichtung der Gefahren. Mit Augenmaß, Vernunft, wachem Verstand und sensibler Wahrnehmung der Umwelt erreichen Sie das Meiste für Ihre Sicherheit!

Apotheker Dr. Reinhard Herzog 72076 Tübingen E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(03):4-4