Rationelle Apothekenführung

Kommissionierautomaten – heute ein Muss?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Die Zahlen zeigen seit Jahren beständig nach oben, zwischenzeitlich dürften um die 4.000 Lagerautomaten im Einsatz sein. Bei Neugründungen sind sie schon fast Standard. Kommt eine progressive, wachstumsorientierte Apotheke heute überhaupt noch ohne „Automat“ aus?

Sinkende Preise, ein hoher technischer Reifegrad, verbunden mit kurzen Reaktions- und Transportzeiten machen Kommissionierautomaten zu einem verbreiteten Standardgerät. Berührungsängste sind heute fehl am Platz. So ziemlich jeder kennt Kollegen, die einen solchen Helfer ihr Eigen nennen. Über das Thema ist bereits viel geschrieben worden. Wir möchten es anhand einiger durchaus provokativer Thesen (und Contra-Argumente) beleuchten.

„The trend is your friend“

...oder gewendet: Gegen den Strom schwimmen wird immer schwerer! Wer in der heutigen Zeit des Bürokratieirrsinns mögliche Rationalisierungs- und Effizienzpotenziale nicht hebt, gerät schnell ins Hintertreffen. Dies gilt vor allem gegenüber starken Konkurrenten im Umfeld, die effizient arbeiten und ihren Abstand so vergrößern können – sie haben schlicht mehr Valenzen für einen guten Service, pfiffiges Marketing oder großzügigere Angebote. Dabei geht es immer mehr um die Ressourcen Zeit und Personal. Hat man mit Mühe ein funktionierendes Team beisammen, sollten die Mitarbeiter möglichst wertschöpfend arbeiten, und das ist nun einmal möglichst konzentriert und unabgelenkt im Handverkauf! Das kommt auch den Mitarbeiterbedürfnissen am nächsten. Wer bekommt schließlich „Kilometergeld“ für unnötige Rennerei oder eine Prämie für möglichst schnelles Ein- und Umräumen von Schubladen?

Viel zu viel Zeit wird heute noch für langweilige und eben automatisierbare Tätigkeiten verschwendet – ein Luxus, den wir uns immer weniger leisten können. Das Thema Kostenersparnis rückt demgegenüber schon fast nach hinten, auch wenn natürlich die Gleichung „Zeit ist Geld“ nach wie vor stimmt. Aber es ist in Zeiten knapper Personalressourcen nur noch ein Teilargument. Vielmehr geht es darum, z.B. Spitzenzeiten ohne die (vielfach nicht mehr vorhandene bzw. finanziell leistbare) Personalreserve überbrücken zu können, und trotzdem ein hohes Serviceniveau zu halten. Zudem ist das Backoffice in Zeiten ständig wechselnder Sortimente (Rabattverträge!) und straffer Warenlagerführung ein Kampfplatz, der förmlich nach Automation und Vereinfachung ruft. Die dort gebundenen personellen Ressourcen switcht man heute besser in den HV-Bereich oder Marketing um.

Wenn schon, denn schon

Klotzen statt kleckern heißt die Devise bei der Anschaffung! Dies gilt zuerst einmal hinsichtlich der Packungskapazität. Größere, selbst mittlere Apotheken wundern sich, wie schnell 15.000 oder mehr Packungen eingelagert sind und selbst ein großer Automat sich rasch füllt. Das passiert, wenn man nicht nur das Generalalphabet, sondern auch Teile der Sicht- und gar Freiwahl und den einen oder anderen Übervorrat dort einlagert.

Möchte man gar modernste Methoden der elektronischen Warenpräsentation (Bildschirm-Sichtwahl, Bildschirm-Freiwahlmodule) nutzen, führt an einem Kommissionierer praktisch kein Weg vorbei – oder soll der Kunde auf eine Packung auf einem hochmodernen Screen zeigen und Sie „dackeln“ nach alter Väter Sitte los, um diese zu holen?

Und so lautet heute die Philosophie: Möglichst viel in den Automaten packen (statt wie früher schnelldreherorientiert oder auf das Generalalphabet fixiert), d.h., auch einen großen Anteil der OTC-Produkte und sogar Freiwahl-Artikel, die bevorzugt mündlich am HV-Tisch nachgefragt werden. Mit anderen Worten: Sie haben den Erfolg Ihrer Investition ein Stück weit selbst durch Ihre Einlagerungspolitik und damit den Auslastungs- und Nutzungsgrad in der Hand!

Tätigt man eine so hohe Investition, sollte stets eine Lösung aus einem Guss mit höchstmöglichem Nutzwert angestrebt werden. Zusatzmodule, wie eine automatisierte Einlagerung („live“ prüfen, denn manche sind recht langsam bei großen Packungszahlen!) oder ein Kühlfach sind eine Überlegung wert. Die Zusatzkosten sind im Kontext der Gesamtinvestition meist verschmerzbar, Sie erreichen aber einen deutlich höheren Effizienzgrad.

Überschlägig-pragmatisch rechnen genügt

Ja, man kann natürlich exakt rechnen: Kunden- und Packungszahlen, Warenlagerumfang, wie hoch ist der erreichbare „Automatisierungsgrad“ (d.h., welcher Prozentsatz der Packungen bzw. welcher Anteil an Kunden kann vollständig per Automat bedient werden?) und anderes mehr. Dagegen gestellt werden die Kapitalkosten (= Wertverlust bzw. AfA plus Zinsen) sowie die laufenden Unterhaltskosten.

Wer dies im Detail rechnen möchte, kann dies gerne tun: Ein entsprechendes Excel-Rechenwerkzeug finden Sie hier.

Sie können das Ganze allerdings auch pragmatisch abkürzen, wie unsere Tabelle zur überschlägigen Kalkulation zeigt. Hier werden die harten Fakten in Form der Ersparnisse aufgeführt; geht diese Rechnung bereits auf, liegen Sie immer im grünen Bereich, denn Effekte wie mehr Zusatzverkäufe, eine höhere Beratungsqualität (nicht mehr durch die „Rennzeit“ unterbrochen!) sowie bessere Platzverhältnisse und Raumausnutzung gibt es ja noch obenauf.

Man kann die Wirtschaftlichkeit sogar auf eine noch einfachere Formel bringen: Mit einer gesparten Vollzeitstelle im Backoffice rechnet sich ein Kommissionierautomat in jedem Fall, je nach Lohnniveau und Investitionsbetrag reicht schon eine 70 %- oder 80 %-Stelle.

Die beste Zeit kommt erst!

Künftige 2D-Codes werden Verfalldatum und Chargennummer enthalten, sodass diese Daten beim Einlagern übernommen werden können. Allerdings: Der 2D-Code wird wohl nur Stück für Stück kommen und auf absehbare Zeit bei Weitem nicht alle Produkte umfassen. Der Verfallproblematik kann man durch geschickte Warenlagerführung (u.a. mit regelmäßiger Warenlagerbereinigung, nur Mindestlaufzeiten bei den Lieferanten akzeptieren) allerdings schon heute die Spitze nehmen.

Somit dürfte das irgendwann kommende elektronische Rezept den größten Schub auslösen, erspart man sich doch das Eintippen des Rezeptes, was den Anforderungsvorgang drastisch beschleunigen wird.

Wie schon erwähnt, ergeben neue Präsentationsformen wie die elektronische Bildschirmsichtwahl nur mit einem Kommissionierautomaten ein stimmiges Gesamtkonzept. Dass hier ein Wandel der Warenpräsentation stattfinden wird, darf zumindest für Lauflagen- und Center-Apotheken als sicher gelten.

Abwarten kostet bares Geld!

Diese Schlussfolgerung liegt auf der Hand, wenn eine Rentabilität und deutliche Arbeitsentlastung schon heute bei Ihnen plausibel ist. Abwarten ist dann eine teure (und im täglichen Geschäft nervenzehrende) Lösung. Auch sind bei den Automaten selbst keine technischen Durchbruchsinnovationen zu erwarten, der Fortschritt spielt sich vor allem in der Peripherie und bei den Zusatzmodulen und -funktionen ab.

Ebenso dürften sich die zu erwartenden Kostenrückgänge insoweit im Rahmen halten, dass dies kein Argument für ein längeres Abwarten sein sollte – wenn denn die Rentabilität mit den heutigen Preisen bereits stimmt.

Contra 1: Abhängigkeit total – nicht mit mir!

In der Tat: Fällt der Automat aus, schauen Sie dumm aus. Zwar gibt es einen Notbetrieb (Begehbarkeit des Automaten und Produktsuche nach Positionscodes, da die Automaten alle „chaotisch“ nach ausgefeilten Algorithmen einlagern und nicht alphabetisch), dennoch: Das wünscht man sich nicht! Meist ist aber innerhalb einiger Stunden das Problem durch bundesweit verteilte Servicetechniker behoben.

Dennoch: Es bleibt ein Gefühl einer weiteren Abhängigkeit und ein Stück weit die ungute Stimmung, dass fremde Anbieter so tiefgehend in den Betrieb eingreifen. Bei Licht betrachtet gibt es aber die Abhängigkeiten auch andernorts: EDV (was geht heute noch ohne Rechner?), Internet- und Mobilfunk-Verbindung, die Beziehungen zu den Krankenkassen, die Abhängigkeit von einzelnen Personen (Ihren Hauptverordnern!): Sie stecken auch so in einer „Zwangsjacke“, ob Sie wollen oder nicht.

Contra 2: Tote Pferde lernen nicht mehr laufen!

Ein ernstes Gegenargument: Investieren gegen am Ende doch unumkehrbare Trends macht vor allem Ihre Taschen leer und dafür die zahlreicher Ratgeber und Anbieter voll. Stimmen also harte Standortfaktoren nicht (vor allem Ärzteumfeld, Passantenfrequenz, Einzugsgebiet, Demografie), ändert daran eine Rationalisierung und Automatisierung auch nichts, allenfalls wird der „Sterbeprozess“ verzögert. Wenn überhaupt, können nur Sie selbst und Ihre Mitarbeiter die schwierige Standortsituation „übertönen“ – durch Ihre Persönlichkeit, die Einzigartigkeit der Apotheke, das gewisse Etwas, was die Kunden an anderen Apotheken vorbeigehen und gerade zu Ihnen kommen lässt.

Solche Beispiele gibt es, und da machen Investitionen wieder Sinn. Wenn Sie dagegen nicht als ausgesprochener Kundenmagnet negative Trends drehen können, investieren Sie nicht hohe Beträge in fallende Märkte, sondern schauen Sie lieber nach besseren Lokalitäten!

Contra 3: Meine Apotheke ist zu klein

Ja, es gibt sie, die untere Auslastungs- und auch Personalgrenze – und damit zu kunden- und umsatzschwache Betriebe, bei denen eine sechsstellige Investition nicht lohnt. Die durchautomatisierte „Ein-Mann-Roboter-Apotheke“ hat sich als Illusion erwiesen. Zu viel Kleinkram ist im Alltag zu erledigen, Telefonanrufe gibt es auch noch und etliches mehr. An einer gewissen Mindestbesetzung führt kein Weg vorbei, die aber umgekehrt mit oder ohne Automat ihre 100 oder 120 Kunden am Tag bewältigen kann. Eine vernünftige Untergrenze für eine Lagerautomation dürfte somit vielfach bei etwa 150 bis 200 Kunden pro Tag liegen, manchmal deutlich mehr.

Apotheker Dr. Reinhard Herzog, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(04):4-4