Verkaufspsychologie

Die Reise des Kunden


Andreas Kinzel

Der Kunde ist bei der Suche nach dem richtigen Arzneimittel ständig auf der Reise. Durch die persönliche Beratung kann der Apotheker ihn dabei führen und lenken. So kann er aktiv eingreifen und den Kunden auf seiner Reise begleiten. Doch diese beginnt schon viel früher ...

Der Kunde steht vor Ihnen. Bravo! Er hat sich nicht für das Internet oder den Mitbewerber entschieden, sondern für Ihre Apotheke. Jetzt können Sie durch aktives Zuhören und entsprechende Fragen die Bedürfnisse des Kunden ausloten. Sie sollten ihn so auf seiner Reise zum richtigen Arzneimittel begleiten und ihn kompetent durch das Verkaufsgespräch lenken und führen. Zwar sollte der Kunde selbst entscheiden, was er kauft, dennoch benötigt er meist Hilfe auf seinem Weg dorthin.

Kontaktpunkte schaffen

Doch die Reise des Kunden durch die bunte Warenwelt beginnt bereits vor dem Beratungsgespräch. Wichtig ist, zunächst sein Interesse an der Apotheke zu wecken. Auf der Suche nach Produkten trifft der Kunde an vielen Stellen auf Anregungen und entscheidet erst dann. Dies kann neben dem Schaufenster auch Werbung von Herstellern sein, sodass das Sortiment der Apotheke hier einen hohen Stellenwert einnimmt. Nur was im Sortiment ist, kann verkauft werden. Sicherlich kann man den Kunden in vielen Fällen beeinflussen, dennoch bedeutet eine Bestellung immer eine Unterbrechung seiner Reise zum Produkt.

Eine gut gestaltete Homepage ist ebenfalls ein früher Kontaktpunkt. Sie muss verständlich, möglichst individuell und funktionell sein. Dazu zählt die Möglichkeit der Vorbestellung, aber auch Informationsangebote über Personal- und Sachthemen. Zufriedene Kunden erinnern sich bei entsprechendem Bedarf noch vor dem Einkauf an „ihre“ Apotheke.

Daher ist es wichtig, potenzielle Konsumenten, aber auch Stammkunden, möglichst früh „abzufangen“. Sind sie erst einmal woanders gelandet, sind sie meist verloren. Zufriedene Kunden sind als Wiederholungskäufer sehr wertvoll und keinesfalls selbstverständlich. Selbst sie neigen zum Wechsel, wenn die Sympathie nachlässt. Auch Bequemlichkeit führt oft dazu, die eigene Stammapotheke zu übergehen, etwa wenn eine andere Apotheke direkt neben der Arztpraxis liegt. Erinnert sich der Kunde daran, dass ihm in genau „seiner“ Apotheke geholfen und seine Anliegen ernst genommen wurden, dann wird er wiederkommen, auch wenn der Weg weiter ist. Alleinstellungsmerkmale und Spezialisierungen können ebenfalls die Aufmerksamkeit der Kunden hervorrufen.

Auch in der Apotheke selbst kann man Kontaktpunkte schaffen – sowohl im persönlichen Gespräch („Darf ich Ihnen ... zeigen?!“), als auch optisch durch vereinzelt auffällig angebrachte Packungen („Eyecatcher“) oder Aufsteller, Regalstopper und Wobbler. Dabei sollte man den Kunden jedoch nicht durch zu viel Angebot überfordern. Manchmal ist weniger mehr.

Sind Inspiration und Interesse geweckt, muss im Kunden der Wunsch nach dem Produkt entstehen. Dafür ist es wichtig, dass man in ihm Bedürfnisse hervorruft. Diese gehören zu jedem guten Verkaufsgespräch, wobei man sie dort meist gut erkennen und steuern kann. Durch aktives Zuhören und Nachfragen wird erkennbar, welche Bedürfnisse der Kunde hat, bestenfalls lassen sich diese auch wecken.

Kennt der Apotheker den Kunden gut, kann er das Gespräch nicht nur besser steuern, er kann ihn auch auf Neuheiten und Interessantes aufmerksam machen. Wichtig ist deshalb, dass man den Kunden auf der Reise zum Kauf locker und ungezwungen begleitet und ihm nicht voreilig etwas anbietet. Er soll das Gefühl bekommen, selbst die Auswahl und Entscheidung getroffen zu haben. Vorschläge sind natürlich erlaubt, jedoch soll es nicht wie ein Aufdrängen wirken.

Kennt der Apotheker den Kunden nicht so gut oder weiß er nicht einzuschätzen, wonach der Kunde sucht, kann er ihm Hilfe und Kontaktpunkte anbieten, indem er ihm z. B. das Sortiment vorstellt. Jeder kennt sicher die Situation: Der Kunde steht am Kosmetikregal und ist nicht nur von der Produktvielfalt, sondern auch von seinen eigenen unentdeckten Bedürfnissen überfordert. „Ich schaue mich nur um!“, ist dabei eine geläufige Redewendung. Wo schaut sich der Kunde um? Gibt es Alternativen dazu? Was könnte ihn hindern zu kaufen? Steht er beispielsweise vor dem Regal mit Sonnenschutz, kann man ihn darauf gezielt ansprechen und ihm andere Hersteller mit entsprechenden Produkten anbieten. Bestenfalls spricht man ihn auf einen möglichen Urlaub an und empfiehlt ihm hierfür Medikamente.

Die Entscheidung bleibt dem Kunden vorbehalten

Wichtig ist, den Kunden durch das Beratungs- und Verkaufsgespräch zu lenken, aber letztlich ihm die Entscheidung zu überlassen – bzw. ihn dies zumindest glauben zu lassen. Dabei wird der POS (Point of Sale) zum POP (Point of Purchase). Der HV-Tisch betrachtet aus Sicht des Kunden: Hier wird nicht verkauft, sondern gekauft. Die Ware wird nicht im „Push-System“ zu ihm „gedrückt“, sondern er entscheidet im „Pull-System“ (vermeintlich) selbst. Der Apotheker führt, bestimmt aber nicht. Sieht man den Verkauf aus Sicht des Kunden, fällt die Individualisierung auch leichter. Ibuprofen bleibt Ibuprofen – chemisch gesehen. Doch die individuellen Bedürfnisse des Kunden widerlegen dies. Eignet sich ein NSAR-Mittel oder gibt es Kontraindikationen? Ist vielleicht Ibuprofen mit Lysin zur schnelleren Wirkung besser geeignet? Zusätzlich kann der Apotheker auch emotionale Punkte abdecken. Wie steht der Kunde zu einer bestimmten Marke? Verbindet er sie mit guten oder schlechten Eigenschaften?

Ist der Kunde interessiert und ist man mit ihm bereits auf der Reise zum Verkaufsobjekt, sollte man einen Anstoß zum Kauf geben. Man beschreibt ihm die Vorzüge des Produkts, stellt bei Medikamenten sicher, dass die Symptome dazu passen und keine Kontraindikationen vorliegen. Dennoch fehlt zum Kauf manchmal nur ein kleiner Anstoß, wie z. B. „Ist es das Richtige für Sie? Es ist sehr beliebt!“ Manchmal hilft auch ein einfaches „Möchten Sie es kaufen?“

Nach dem Kauf ist vor dem Kauf

Hat der Kunde etwas gekauft, ist eine After-Sales-Betreuung wichtig. Bei vielen Apotheken endet der Verkauf mit einem „Tüte? Quittung? Danke!“, doch besonders die Betreuung nach dem Verkauf ist zur Pflege der Stammkunden wichtig. Der Kunde muss in allen Gesundheitsfragen Vertrauen zu „seiner“ Apotheke haben. Daher können auch Informationen für ihn hilfreich sein, beispielsweise bei (Chargen-)Rückrufen oder Neuheiten.

Wichtig ist hier, nicht aufdringlich zu wirken. Der Kunde sollte den Apotheker als Begleiter im Gesundheitswesen wahrnehmen, nicht nur als Kaufmann oder Fachmann in Arzneifragen. Dabei ist auf eine Begegnung „auf Augenhöhe“ zu achten. Weder der Kunde noch der Apotheker sollte das Beratungsgespräch dominieren. Läuft es an den Bedürfnissen des Kunden vorbei, neigt dieser zum Nichtkauf. Entscheidend ist daher, dass der Apotheker den Kunden begleitet und ihn nicht alleine lässt. Steht dieser in der Freiwahl verlassen am Regal, dreht er sich oft um und verlässt die Apotheke mit einem „Danke!“.

Auch im persönlichen Gespräch muss sich der Kunde verstanden fühlen – und den Apotheker verstehen! Er darf nicht durch Fachsprache oder Überangebot überfordert werden. Nicht eine primäre und kurzfristige Umsatzsteigerung und verschiedene Kostensenkungen bringen nachhaltigen Gewinn, sondern eine gute Kundenbetreuung.

Andreas Kinzel, Apotheker und Diplom-Kaufmann (FH), 80637 München, E‑Mail: a-kin@web.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(08):12-12