Dr. Bettina Mecking
§ 11 Apothekengesetz (ApoG) verbietet es Apotheken, mit Ärzten oder anderen Personen, die sich mit der Behandlung von Krankheiten befassen, Absprachen einzugehen, die insbesondere eine bevorzugte Lieferung von Arzneimitteln, die Zuführung von Patienten oder die Zuweisung von Verschreibungen zum Gegenstand haben. Ferner dürfen Rezepte nicht unerlaubt entgegen § 24 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) in Gewerbebetrieben oder bei Angehörigen der Heilberufe gesammelt werden. Die Grenze zwischen einer zulässigen Kooperationsvereinbarung und einem unzulässigen Geschäftsgebaren ist oft schwer auszumachen. Entsprechende Modelle von Leistungserbringern, die Patientenströme lenken, sind daher vermehrt Gegenstand einer gerichtlichen Prüfung.
Keine Rezeptsammelstellen
Große Verunsicherung gab es durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Saarbrücken vom 25. September 2013 (1U42/13). Danach dürfen Rezepte nicht mehr direkt vom Arzt an diejenige Apotheke gefaxt werden, die der Patient dem Arzt als „zuständige“ Apotheke mitteilt. Die Originalrezepte wurden hier von den Boten der Apotheke bei den beteiligten Praxen abgeholt. Ein Apotheker dürfe mit den Ärzten in deren Arztpraxen keine ungenehmigten Rezeptsammelstellen unterhalten. Ausdrücklich erstreckte das OLG die Unzulässigkeit derartiger Absprachen auch auf Vereinbarungen zwischen einem Pflegeheim und seiner Vertragsapotheke nach § 12aApoG. Die Pflegeeinrichtung (!) habe die Aufgabe, die Rezepte bei den Ärzten ihrer Bewohner abzuholen und zur Vertragsapotheke zu bringen.
In der Folge haben viele Ärzte die Verschreibungen nur noch zur Abholung für die Rezeptinhaber oder deren Vertreter bereitgelegt. Im Spannungsfeld zwischen bester Versorgung und verbotener Zuweisung bleibt fraglich, ob die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker in der Heimversorgung aus rechtlichen Gründen derartig eingeschränkt werden muss. Das System der Vertragsapotheke soll ja gerade die Versorgung von Patienten in Heimen durch die direkte Kooperation zwischen Ärzten, Apotheken und Einrichtung verbessern.
Um Beanstandungen vorzubeugen, wird vorgeschlagen, dass die von der Apotheke ausgehende Rezeptanforderung einer Folgemedikation nur an das Heim geht und die Rezepte nicht direkt von der Apotheke in der Arztpraxis abgeholt werden.
Entlassungsmanagement
In dem nachfolgend vom BGH entschiedenen Fall (Urteil vom 13. März 2014 – IZR120/13) hatte die Patientenring GmbH, an der die Universitätsklinik Freiburg sowie drei Sanitätshäuser beteiligt sind, das Entlassungsmanagement für die Universitätsklinik übernommen. Im Rahmen dessen war die Patientenring GmbH verschiedene Kooperationen mit Leistungserbringern eingegangen. Die mitwirkenden Apotheken lieferten den Patienten die unmittelbar nach ihrer Entlassung benötigten Medikamente – die der behandelnde Arzt verordnet hatte – direkt ins Krankenhaus, nachdem sie von der Patientenring GmbH in Absprache mit den Patienten das Rezept erhalten hatten.
Der BGH entschied, dass dies keinen Verstoß gegen § 11 ApoG darstelle, da die Regelung zum Entlassungsmanagement als speziellere Regelung vorrangig vor dem Zuweisungsverbot des § 11 ApoG gelte. Eine solche Kooperation könne regelgerecht laufen, wenn die Patienten einverstanden seien, die Versorgung verbessert werde und ein „neutraler Mittler“ zwischengeschaltet sei, damit die Zuweisung nicht direkt von Leistungserbringer zu Leistungserbringer erfolge.
Dieser Rechtsprechung hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung des §39SGB V Ende 2015 eine Absage erteilt, denn ausweislich der Gesetzesbegründung wurde der Hinweis auf die Geltung des § 11 ApoG gerade mit Blick auf die Patientenring-Entscheidung aufgenommen. Die Neuregelung in § 39 Absatz 1a Satz 4 SGBV weist ausdrücklich auf die Geltung des § 11 ApoG hin. Fraglich ist, welche Bedeutung der Verweis auf § 11 ApoG für Kooperationen mit anderen Leistungserbringern hat, insbesondere ob Kooperationen mit nachversorgenden Leistungserbringern im Rahmen des Entlassungsmanagements generell unzulässig sein sollen oder ob dies im Gegenteil so zu verstehen ist, dass nur Kooperationen mit Apotheken unzulässig sind. Hier bedarf es einer weiteren Klarstellung.
Applikationsarzneimittel
Nach dem Urteil des BGH vom 18. Juni 2015 (I ZR 26/14) dürfen Praxen bei der ersten Einstellung von Hepatitis-C-Patienten die Rezepte nicht direkt an eine Apotheke schicken. Die Arzneimittel lieferte eine Regensburger Apotheke direkt an die Praxis. Die Patienten mussten die Apotheke nie aufsuchen, da die Rezepte direkt zu der kooperierenden Apotheke gelangten. Darin sah ein anderer Apotheker am Ort einen Verstoß gegen das Zuweisungsverbot. Auch nach Auffassung des BGH rechtfertigen Applikationsarzneimittel, die also in der Arztpraxis am Patienten angewendet werden, keine Ausnahme vom grundsätzlichen Abspracheverbot. Die Praxis hätte nämlich ohne Umgehung des Patienten leicht telefonisch sicherstellen können, dass die Mittel in einer Apotheke verfügbar sind. Diese Mittel könnten von jeder Apotheke innerhalb eines halben Tages beschafft und einer Praxis zu einem vereinbarten Zeitpunkt in der richtigen Verabreichungsform zur Verfügung gestellt werden. Der Patient könnte sein Rezept selbst einlösen und die Medikation mit in die Praxis bringen – oder sich die Anwendung der Fertigspritzen gleich im Beratungsraum der Apotheke erklären lassen.
Der BGH deutet aber an, dass keine unzulässige Absprache vorliegen könnte, wenn die beanstandete Verfahrensweise aus medizinischen Gründen notwendig sei, etwa wenn ein Patient so hilfsbedürftig sei, dass der Therapieerfolg in Gefahr ist oder wenn der Arzt dem Patienten vor der Anwendung des Applikationsarzneimittels verschiedene Beschaffungsmöglichkeiten an die Hand gibt.
Empfehlung des Arztes
Das Landgericht Dessau-Roßlau hat mit seinem viel beachteten Urteil vom 25. September 2015 (3O22/15) einem Arzt erlaubt, Rezepte direkt an bestimmte Apotheken zu schicken. Der Allgemeinmediziner nutzt das Portal Health Network (HNW) und ist darüber mit zwei Apotheken in Nachbarorten vernetzt. Auf Wunsch der Patienten werden die Rezepte direkt digital an eine dieser Apotheken übermittelt, welche die Arzneimittel dann ausliefert. Das Papierrezept wird nachgereicht. Apotheker und Arzt zahlen für die Mitgliedschaft bei HNW. Die Weiterleitung allein stelle keinen Verstoß dar, so das Gericht. Der Verweis an eine bestimmte Apotheke sei nicht verboten, wenn ein Patient gezielt um Auskunft bitte. In diesen Fällen dürfe der Arzt Anbieter benennen, denn der Patient signalisiere mit seinem Verhalten, dass er seine Wahlfreiheit durch die Empfehlung des Arztes unterstützt wissen will. Aufgrund seiner Fürsorgepflicht dürfe der Arzt dann eine Empfehlung aussprechen, die Entscheidung bleibe beim Patienten. Entscheidend für das Gericht war, dass die Patienten zuvor schriftlich eingewilligt hatten.
Die Weiterleitung betreffe überwiegend Patienten, die in ihrer Mobilität eingeschränkt seien. Mehr als 60 % der Patienten seien Rentner. Laut Gericht darf ein Arzt auch ohne Nachfrage des Patienten einen Leistungserbringer empfehlen, wenn hierfür ein hinreichender Grund bestehe. Die Vermeidung von Wegen zähle dazu. In den betreffenden Teilen Sachsen-Anhalts gebe es so wenig Apotheken und die meisten Patienten seien alt und nicht besonders mobil. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Die Wettbewerbszentrale hat Berufung eingelegt.
Die aufgezeigten Rechtsprechungsgrundsätze fallen nicht einheitlich aus. Zunehmend spielen besondere Bedürfnisse der Patienten sowie ihr Wille eine Rolle. Eine juristische Einzelfallberatung ist zur Abklärung der rechtlichen Rahmenbedingungen eines Kooperationskonzepts im Vorfeld daher dringend anzuraten.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(08):14-14