Steuer-Spartipps

Erbschaft- und Schenkungsteuer: Die Frist für den Gesetzgeber läuft ab


Helmut Lehr

Mit seinem Urteil vom 17. Dezember 2014 hat das Bundesverfassungsgericht bestimmte Teile des aktuellen Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes für verfassungswidrig erklärt1). Im Kern geht es darum, dass die bisherigen Verschonungsregelungen („Steuerbefreiungen“) für die Übertragung von Betriebsvermögen in ihrer jetzigen Form nicht mehr beibehalten werden dürfen. Dies betrifft insbesondere den „Lohnsummentest“. Danach ist eine steuerbegünstigte Übertragung von Betriebsvermögen nur möglich, wenn der Erwerber die bisherigen Arbeitsplätze für eine gewisse Dauer erhält2).

Bislang findet der die Steuervergünstigungen unter Umständen einschränkende Lohnsummentest bei Apothekenübertragungen oft keine Anwendung, weil Betriebe mit maximal 20 Mitarbeitern ausgenommen sind. Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts muss die Lohnsummenregelung im „neuen Erbschaftsteuerrecht“ aber auch für Klein- bzw. Kleinstbetriebe gelten.

Hinweis: Nach einem ersten Gesetzesentwurf entfällt der Lohnsummentest nur bei Betrieben mit bis zu drei Arbeitnehmern vollständig, danach erfolgt eine abgestufte Prüfung3).

Gesetzgeber muss handeln

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist für eine verfassungskonforme Neuregelung bis zum 30. Juni 2016 zugestanden. Bis dahin „muss“ die Regelung in trockenen Tüchern sein – eigentlich!

Kurz nach der Entscheidung der Karlsruher Richter durfte man davon ausgehen, dass der Gesetzgeber die Frist mehr oder weniger problemlos einhalten könne. Zwischenzeitlich wurden jedoch vielfach Änderungen des bisher vorliegenden Gesetzesentwurfs gefordert. Nun wird befürchtet, dass der Gesetzgeber dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts nicht rechtzeitig nachkommen wird und die Frist „30. Juni“ fruchtlos verstreicht. Der Streit in der Koalition dreht sich insbesondere um weitergehende Erleichterungen für Firmenerben.

Hinweis: Verstreicht die Frist, stellt sich die überaus praxisrelevante Frage: Was ist denn ab dem 1. Juli 2016 Sache? Gibt es dann womöglich gar kein geltendes Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz mehr, sodass auch Übertragungen bzw. Erbschaften nicht mehr besteuert werden dürfen? Oder fallen nur die Vergünstigungen für das Betriebsvermögen weg, während die Steuersätze etc. erhalten bleiben und Festsetzungen weiter zulässig sind?

Experten diskutieren verschiedene Rechtsfolgen

In der steuerrechtlichen Fachliteratur wurden bislang insbesondere die folgenden Szenarien erörtert4):

Erbschaftsteuer läuft aus Diese Auffassung darf wohl als die herrschende Literaturmeinung bezeichnet werden. Danach wird es ohne gesetzgeberische Erfüllung des Reformauftrags ab dem 1. Juli 2016 keine Erbschaft- und Schenkungsteuer mehr geben. Soll heißen: Ab dem 1. Juli dürfte keinerlei Erbschaft- und Schenkungsteuer mehr erhoben werden, was den betroffenen Erben/Beschenkten sicherlich „entgegenkommen“ würde. Auch die Übertragung von Betrieben an die nächste Generation dürfte dann nicht mehr besteuert werden.

Das bisherige Recht gilt „unbefristet“ weiter

Nach dieser Auffassung sind die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts, dass das bisherige Recht bis zu einer Neuregelung weiter anzuwenden ist und dass der Gesetzgeber den Auftrag hat, eine Neuregelung bis zum 30. Juni 2016 zu schaffen, getrennt zu beurteilen. Das hätte die Weiteranwendung des bisherigen Rechts zur Folge und die unterlassene Nachbesserung durch den Gesetzgeber müsste erneut gerichtlich gerügt werden.

Isolierter Wegfall der Begünstigungen für Betriebsvermögen

Es wird auch für möglich gehalten, dass die für verfassungswidrig erklärten Verschonungsregelungen (für Betriebsvermögen) isoliert wegfallen, während das übrige Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht weiterhin gilt. Das stünde aber so gar nicht in Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers, grundsätzlich an einer Verschonung für Betriebsvermögen in gewissem Umfang festzuhalten.

Paukenschlag in der Presse

Nachdem sich kürzlich der Pressesprecher des Bundesverfassungsgerichts in einer überregionalen Tageszeitung zu dem Thema geäußert hat, wurden die Experten hellhörig. Auf konkrete Nachfrage teilte das Bundesverfassungsgericht dann mit, dass die alten Regelungen gültig bleiben (siehe oben, Variante b), sofern der Gesetzgeber die Frist zur Neuregelung verstreichen lässt5). Das Gericht würde nach Ablauf der Frist auch nicht von sich aus tätig werden.

Weil sich zuvor bereits ein Richter des Bundesverfassungsgerichts auf einer Steuerfachtagung entsprechend geäußert hatte, dürfte dies die allgemeine Rechtsauffassung des Gerichts darstellen.

Hinweis: Vor diesem Hintergrund könnten die derzeitigen Regelungen auch noch eine gewisse Zeit über den 30. Juni 2016 hinaus gelten, sofern der Gesetzgeber nicht doch noch einen fulminanten Endspurt hinlegt. Für die Übertragung der Apotheke an die nächste Generation bleibt deshalb womöglich noch etwas länger Zeit, bevor die einschränkenden Regelungen (gestaffelter Lohnsummentest für Kleinbetriebe etc.) in Kraft treten. Wer die Übertragung von Vermögen zeitnah nach dem 30. Juni 2016 plant und auf eine generelle Nichtanwendung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes spekuliert, wird beim Gang durch die Instanzen vermutlich keinen Erfolg haben.

1) Aktenzeichen 1 BvL 21/12.

2) Vgl. hierzu AWA-Ausgabe Nr. 16 vom 15. August 2015, Seite 14-16.

3) Vgl. hierzu AWA-Ausgabe Nr. 16 vom 15. August 2015, Seite 14-16.

4) Vgl. insbesondere Drüen, Deutsches Steuerrecht 2016, Seite 643.

5) Vgl. Handelsblatt, News am Abend vom 4. April 2016, Seite 5.

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(10):18-18