Karin Wahl
Die Verknappung ist im Marketing eine bewährte Methode, unschlüssige Menschen zu einer schnellen und womöglich unüberlegten Handlung zu bewegen. Typisch dafür sind Werbesprüche wie „Nur noch wenige Plätze frei“ bei Seminaren, „Nur noch 2 Paar an Lager“ bei Onlinebestellungen von Schuhen oder „Dieses Superangebot ist nur 24 Stunden gültig, der Countdown läuft“ bei Smartphones.
Unentschlossene, die sich schon länger mit dem Gedanken tragen, eine bestimmte Anschaffung zu tätigen, lassen sich mit solchen ultimativen Werbeaussagen leicht ködern und kaufen dieses angepriesene vermeintliche Schnäppchen, was sie dann hinterher häufig bereuen.
Als Interessent muss man sich nicht auf Druck einlassen!
Immer wieder werden auch Apothekenkäufer und -verkäufer unter Druck gesetzt. So ist es natürlich ein übliches Handelsgebaren, dass man mehrere Interessierte gegeneinander auszuspielen versucht. Das ist zwar durchaus legitim, aber ein Interessent muss sich nicht darauf einlassen. Er muss sich sorgfältig informieren können und darf sich nicht durch ein Ultimatum zwingen lassen, eine rasche Entscheidung zu fällen. Druck und Emotionalität haben bei Apothekenkäufen und -verkäufen nichts zu suchen!
Beispiel: Unfaires Kaufangebot des Mitbewerbers
Nehmen wir zunächst ein Beispiel von einem Apothekenverkauf. Ein älterer Kollege plant, in den nächsten zwei bis drei Jahren seine gut geführte Apotheke in einem Ort mit insgesamt drei Apotheken abzugeben. Sein Umsatz beläuft sich auf 1,8 Mio €. Die anderen beiden Apotheken gehören einem sehr aktiven Apotheker-Ehepaar, das bereits im Nachbarort weitere Apotheken besitzt und natürlich gerne seine Marktvorherrschaft mit dieser Apotheke zusätzlich ausbauen würde. Die beiden haben über Außendienste erfahren, dass sich der Kollege auf den Verkauf der Apotheke vorbereitet, und gehen auf ihn zu.
Das kollegiale Verhältnis war bislang eher ambivalent, weil das Ehepaar eine recht aggressive Marketingstrategie verfolgt und dem Kollegen, der zuerst am Ort war, schon einiges an Umsatz abgenommen hat. Der ältere Kollege empfängt beide trotzdem freundlich und hört sich ihr Angebot, die Apotheke zu übernehmen, ruhig an. Er fragt nach den vom Ehepaar angebotenen Modalitäten wie dem Kaufpreis und dem zeitlichen Rahmen. Dabei betont er, dass er seine Apotheke sehr gerne an einen Existenzgründer, wie er es selbst vor 40 Jahren war, abgeben würde, sich aber das Angebot des Ehepaares durch den Kopf gehen lassen werde. Die Apotheke ist, wie so oft im ländlichen Bereich, in der eigenen Immobilie, die der Apotheker mitverkaufen will. Deshalb hat er auch eine Präferenz für einen Existenzgründer, der mit seiner jungen Familie einziehen sollte.
Das aktive Ehepaar ist zwar an der Apotheke, aber aus finanziellen Gründen weniger an der Immobilie interessiert. Die Aussagen des Inhabers sind für sie somit alarmierend. Im Familienrat werden Strategien entwickelt, wie man den „alten Herrn“ etwas unter Druck setzen könnte. Schließlich unterbreitet man ihm mithilfe eines pfiffigen Beraters ein Angebot, in dem man noch einmal die Bereitschaft signalisiert, diese Apotheke zu übernehmen.
Die Bedingungen sind:
- zeitnahe Abgabe der Apotheke bis zum Jahresende,
- ein Kaufpreis von 60.000 € plus Warenlager,
- ein Kaufpreis für die Immobilie von 190.000 €,
- Übernahme des Personals,
- Angebot, den Kollegen als Aushilfe oder Urlaubsvertretung zu beschäftigen,
- Gültigkeit des Angebotes drei Wochen,
- alternativ noch die Mitteilung, dass man in einem leerstehenden Geschäft in nächster Nähe der Ziel-Apotheke ansonsten selbst eine neue Apotheke errichten würde. Ein Vorvertrag mit dem Vermieter sei bereits vereinbart.
Der ältere Kollege fällt aus allen Wolken, als er das Schreiben in Händen hält. Er ist empört, verärgert und kann kaum noch schlafen. Damit hat er nicht gerechnet. Eine vierte Apotheke würde der Ort nicht verkraften und seine Apotheke vollends in den Untergang treiben. Dabei weiß er nicht, ob die Gegenseite nur blufft oder ob sie Ernst machen würde.
Erfahrenen Berater zuziehen
Der Vermieter des freien Ladengeschäftes in unmittelbarer Nähe bestätigt auf Nachfrage, dass tatsächlich ein Vorvertrag mit dem Ehepaar geschlossen wurde. Somit muss sich der ältere Kollege entgegen seinen ursprünglichen Plänen akut mit der Sache befassen. Er sucht sich ebenfalls einen erfahrenen Berater und spricht mit ihm den Fall durch. Sein Ärger und seine Wut sind groß.
Der Berater erstellt eine sorgfältige Standortanalyse, spricht mit der örtlichen und einer überregionalen Bank, die beide den Wert der Apotheke plus Immobilie auf Basis der Bilanzen und aktuellen BWA schätzen. Die Schätzungen beider Institutionen liegen ähnlich, da sowohl die Apotheke als auch die Immobilie gut gepflegt sind. Zudem ist die Apotheke barrierefrei und wurde vor fünf Jahren modernisiert. Sie hat auch Zukunftspotenzial, da ein neues Baugebiet gerade erschlossen wird, das näher bei dieser Apotheke liegt als bei den Mitbewerbern vor Ort.
Die Banken schätzen gemeinsam mit dem Berater einen für die Apotheke zu erzielenden Kaufpreis von ca. 100.000 € plus Warenlager und ca. 300.000 € für die Immobilie. Beide signalisieren, dass sie zu diesen Bedingungen das Objekt auch für einen potenziellen Käufer finanzieren würden.
Das motiviert den älteren Kollegen, wieder Mut zu fassen und sich nicht erpressen zu lassen. Durch Zufall erfährt er von einem Freund, der in einem 3 km entfernten Ort wohnt, dass der örtliche Apotheker für seinen Sohn eine eigene Apotheke in der Nähe sucht. Man setzt sich zusammen und stellt fest, dass die „Chemie“ stimmt und der junge Kollege gerne mit seiner Familie auch in die Immobilie einziehen würde. Er erklärt die Absicht, das Objekt zu übernehmen.
Die gut geführte Apotheke würde einen ausreichenden Ertrag abwerfen, um den jungen Kollegen und seine Familie zu ernähren sowie Zins und Tilgung zu begleichen. Da kein Investitionsrückstau besteht, müsste auch aktuell nichts in die Räumlichkeiten investiert werden. Zudem bietet sich der Vater des jungen Apothekers als Bürge bei der Bank an.
Dank dieser alternativen Option ist der ältere Kollege wieder zuversichtlich und selbstbewusst. Jetzt kann er dem aggressiven Angebot des Kollegenehepaares souverän begegnen und ein Gegenangebot zu seinen Bedingungen unterbreiten. Damit hatten die Eheleute nicht gerechnet. Sie waren sicher, dass der ältere Kollege unter der Drohung einknicken und zu ihren Bedingungen verkaufen würde.
Da das Ehepaar durch seine vielseitigen Investitionen bereits ziemlich verschuldet ist, lehnt die Hausbank die Finanzierung der neuen Apotheke zudem ab. Der ältere Apotheker verkauft zufrieden mit einem freiwillig gewährten Nachlass das Objekt an den jungen Kollegen und unterstützt ihn tatkräftig als Aushilfe und im Urlaub. Die Apothekenübergabe verläuft zwar anders als ursprünglich vom abgebenden Apotheker geplant, aber glückliche Umstände sorgen dafür, dass er nicht unter Druck und zu den Bedingungen der Konkurrenz verkaufen musste.
Bloß nicht aufgeben!
Viele bekannte Fälle enden anders, weil die Kollegen in Panik geraten, sich hilflos erpressen lassen und dann unter Preis verkaufen. Andere beschließen voller Emotionen, die Apotheke unter Totalverlust lieber zuzumachen, als sie dem ungeliebten Kollegen zu überlassen.
Diese Handlungsweise ist zwar im ersten Moment verständlich, aber nicht rational! Eine Apotheke hat, selbst wenn ihr Umsatz nur um 800.000 € bis 1 Mio. € liegt, in jedem Fall noch einen (ggf. nur strategischen) Marktwert. So kann eine 1-Mio.-€-Apotheke möglicherweise als Filiale zur Marktabdeckung eines Kollegen dienen.
Eine weitere Möglichkeit ist, dass ein nahe liegender Konkurrent ein gewisses Entgelt im Gegenzug zur Schließung der Apotheke bezahlt und so einen Mehrumsatz von – selbst bei pessimistischer Schätzung – ca. 500.000 € erzielt. Oft stabilisiert so ein Vorgehen Umsatz und Gewinn des Mitbewerbers langfristig.
Warum also unversucht einfach alles wegwerfen? Zum einen können das Warenlager und gewisse Inventarteile veräußert oder weitergenutzt und damit viel Ärger und Kosten für die Entsorgung vermieden werden, zum anderen bekommt man mit der „Schließprämie“ zumindest noch einen kleinen Ausgleich für den Verlust des Lebenswerkes. Das ist zwar eine schlechtere Variante als die zuerst geschilderte, aber besser, als auf allen Kosten und Verlusten sitzen zu bleiben.
Es kostet einen neutralen Berater oft viel Überredungskunst, die aufgestauten Emotionen und den ganzen durch einen starken Konkurrenten erfahrenen Verlust und Frust beiseitezuschieben. Aber wird das geschafft, sind die Kollegen schließlich froh, doch noch eine rationale Lösung gefunden zu haben.
Beim Bieterwettbewerb rechtzeitig aussteigen
Ähnlich problematische Situationen gibt es beim Kauf von Apotheken. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, das heißt wenn der Standort sehr gut und die Zukunftsfähigkeit gesichert ist und die Apotheke genügend Ertrag für den neuen Inhaber erwirtschaftet, werden sich mehrere Interessenten finden. Auch hier ist es natürlich legitim, dass der Verkäufer so viel wie möglich an Erlös aus seinem Lebenswerk erwirtschaften will und an denjenigen verkaufen wird, der am meisten dafür bietet.
Dabei kommt es mitunter zu Bieterwettbewerben, wenn ein Käufer diese Apotheke aus strategischen Erwägungen unbedingt haben will und ein zweiter auch genau diese Apotheke erwerben möchte, weil sie zu 100 % in sein familiäres Lebenskonzept passt.
Man schaukelt sich zur Freude des Verkäufers hoch und überbietet den Kontrahenten. Der Ehrgeiz und der unbedingte Wille, auf jeden Fall diese Apotheke erwerben zu wollen, lässt plötzlich den rationalen Verstand aussetzen. Alle sich selbst gesetzten und mit der Bank und dem Steuerberater vereinbarten Vorgaben werden schlicht vergessen und missachtet. Man glaubt, das schon so irgendwie hinzubekommen.
Solche Situationen erlebt man besonders in Gegenden mit geringerer Apothekendichte und wenigen interessanten Objekten sowie bei Kollegen, die vor Ort verwurzelt sind. Man redet sich ein, dass man auch einen höheren Preis bezahlen könne, wenn man Ersparnisse angreift, die als eiserne Reserve gedacht waren, oder kalkuliert damit, dass der Ehepartner das laufende Einkommen der Familie mit seinem Beruf erwirtschaftet und man alle Gewinne der ersten Jahre in Sondertilgungen stecken kann.
Dieses Denken und Handeln ist hochriskant! Nichts darf so auf Kante genäht sein, dass man mit dem Rücken an der Wand steht. Sollte dem Ehepartner etwas zustoßen oder erlebt man eine politisch ausgelöste Krise in der Apotheke, kann von heute auf morgen die gesamte Existenz gefährdet sein.
Wird das gesetzte und mit der Bank vereinbarte Limit durch diesen Bieterstreit überschritten, muss man sich von dem Objekt verabschieden, um sich nicht am Ende finanziell zu übernehmen. Kaufen wollen ja, aber nicht um jeden Preis!
In der Realität zeigt sich immer wieder, dass sich später womöglich eine noch viel besser geeignete Apotheke findet und man damit mehr Erfolg und weniger Aufwand hat als mit dem so sehr angestrebten Objekt.
Auch hier sind zu große Emotionalität und der Ehrgeiz, unbedingt „gewinnen“ zu wollen, kontraproduktiv und zerstörend. Man sollte zwar engagiert, aber mit der nötigen Portion Gelassenheit in Kauf- oder Verkauf- Situationen gehen! Alles andere kann zur Zerstörung der beruflichen und privaten Existenz führen – oft noch ehe diese richtig begonnen hat.
Kommt man bei einem Objekt nicht zum Zuge, sollte man das nicht als Niederlage betrachten, sondern als Chance und Ansporn, es beim nächsten Mal anders oder besser zu machen. Die Zwischenzeit sollte zur eigenen Qualifizierung genutzt werden, indem man Seminare für Existenzgründer besucht. Denn die hier abgehandelten wirtschaftlichen Themen sind für den Erfolg der Apotheke mindestens genauso wichtig wie eine gute fachliche Qualifikation!
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(10):13-13