Karin Wahl
Jeder Apothekeninhaber muss sich jedoch zuerst fragen, ob er mitdenkende, unternehmerisch denkende Mitarbeiter wirklich will und damit umgehen kann!
Für autoritäre Chefs und „Kontrollfreaks“ könnte daraus nämlich eine betriebliche Katastrophe entstehen, wenn ein Mitarbeiter dann womöglich anders handelt oder entscheidet, als es der Chef selbst in der Situation getan hätte, und das dann noch lautstark rügt. Die so vor allen gerügte Person wird nie mehr eine eigene Entscheidung fällen und lieber die Aufgaben aus Unsicherheit zurückdelegieren.
Erste Stufe: Delegation
Schon die Delegation von bestimmten Aufgaben fällt vielen Chefs schwer, deshalb muss man es als langwierigen Prozess sehen, der nicht von heute auf morgen ohne Pannen funktionieren wird. Dazu ein Zitat des Gründers einer Münchner Gebäudereinigungsfirma, Markus Wasserle, als Vertreter einer anderen Dienstleistungsbranche:
“Das ist ein langwieriger Prozess, zunächst muss das in den Werten und Normen eines Unternehmens verankert sein, dann müssen Geschäftsführung und Führungskräfte das täglich vorleben, indem sie beispielsweise Ideen und Anregungen ihrer Mitarbeiter aufnehmen. Chefs, die demokratisch führen, benötigen viel Zeit für Personalführung, müssen zuhören lernen, die Sichtweise der Mitarbeiter annehmen können, viel erklären und viele einzelne Fäden zu einem Strang flechten“.
Was heißt das auf die Apotheke übertragen?
- Zunächst müssen alle Aufgaben definiert werden, die absolute Chefsache bleiben und nicht auf andere Mitarbeiter übertragen werden können.
- Dann gilt es die Aufgaben zu selektieren, die nach dem Aufgabengebiet und der Kompetenz einer Person delegiert werden können. Nicht jeder Mitarbeiter ist geeignet für die Übernahme von Verantwortung!
In einem Führungsseminar sagte einmal der Referent: „Bedenken Sie stets: Es hat ja wohl einen Grund, dass Sie Chef geworden und nicht abhängig beschäftigt sind und vice versa.“
Die „Richtigen“ auswählen!
Sie sollten deshalb bereits bei der Zusammenstellung Ihres Teams sorgfältig prüfen, welche Mitarbeiter zum gelebten oder geplanten Führungsstil passen. Will ich Befehlsempfänger, muss ich Mitarbeiter mit anderen Persönlichkeitsmerkmalen einstellen, als wenn ich mitdenkende und eigenverantwortliche Teammitglieder haben will. Sonst sind die Konflikte vorprogrammiert und Sie werden mit einem in der Not falsch gewählten neuen Mitarbeiter nicht glücklich werden.
Ein Beispiel: Eine große Stadtapotheke mit hoher Kundenfrequenz übernahm eine Pharmaziepraktikantin als Approbierte. In ihrem Praktikumshalbjahr hatte sie sich als sehr freundliche und sachlich kompetente Mitarbeiterin gezeigt. Sie ließ jedes Rezept vor der Abgabe prüfen und fragte generell immer sehr verantwortungsvoll andere Kollegen. Man war sich im Team einig, dass man sie als Approbierte übernehmen wolle.
Dann kam die Stunde der Wahrheit, als sie nach drei Monaten den ersten Nachtdienst übernehmen sollte. Der Inhaber blieb bis kurz vor Mitternacht, um ihr das ganze Prozedere anschaulich erklären zu können. Als er dann ging, bemerkte er eine Panik in ihren Augen, was er als erstes Lampenfieber interpretierte. Sie schloss dann gründlich ab, schaltete nicht wie empfohlen das Licht zurück und kontrollierte von außen erkennbar alles doppelt und dreifach.
Am nächsten Morgen war sie total erschöpft, obwohl nur 10 Kunden in der sonst gut frequentierten Innenstadt an der Notdienstglocke läuteten. Man schickte die junge Kollegin erst einmal nach Hause, am nächsten Tag kam dann die Krankmeldung.
Situationsanalyse
Was war passiert? Die Kollegin war hochgradig unsicher und absolut nicht geeignet, Verantwortung zu übernehmen und eigene Entscheidungen zu fällen. Also die falsche Person am falschen Platz. Die während der Praktikumszeit missgedeuteten löblichen Verhaltensweisen der hohen Verantwortlichkeit wandelten sich im Job als Apothekerin und angehende Führungskraft in Unsicherheit und baldige Phobien gegenüber Kunden.
Da die Apotheke groß war und eine PTA, die bisher die Verwaltung und das QMS gemanaged hatte, in Mutterschutz ging, übertrug man der jungen Approbierten diese Aufgabe, die sie dann hervorragend, wenn auch etwas überqualifiziert übernahm.
Will ich, dass Mitarbeiter zukünftig Verantwortung und neue Aufgaben übernehmen sollen, dann muss ich sie zuerst geduldig in diese neuen Aufgaben einführen und ihnen sinnvolle Schulungen in diesem Bereich ermöglichen. So kommt dann noch ein Wissenszuwachs für die Apotheke dazu, wenn dort die neuesten Erkenntnisse aus den verschiedensten, insbesondere zukunftsträchtigen Bereichen vermittelt werden. Ob rein fachlicher Natur zu bestimmten Arzneimitteln, Abrechnung oder Rezeptur, eher marketingorientiert oder auch ein dezidiertes Nachwuchs-Führungskräfteseminar – die Entwicklung von fähigen „Teamleadern“ ist ein vielstufiger Prozess. Nicht umsonst haben alle größeren Unternehmen seit vielen Jahren regelrechte Entwicklungsprogramme aufgelegt, abgestuft nach dem jeweils eingeschätzten Karrierepotenzial, vom „kleinen Sachbearbeiter“ bis zum „High Potential“.
„Leitplanken“ einziehen
Um Mitarbeiter auf die neuen Aufgaben vorzubereiten, muss man zudem „Leitplanken“ definieren. Was darf er bis zu welchem Grad eigenständig entscheiden und ab wann ist die nächste Instanz oder der Chef selbst in die Entscheidung mit einzubeziehen?
Dazu wieder ein Beispiel: Eine sehr gute PTA mit Zusatzqualifikation als Kosmetikerin (finanziert durch die Apotheke) soll die Kosmetik-Direktbestellungen übernehmen und gute Konditionen, Abverkaufshilfen und Unterstützung bei Kosmetikseminaren für Kunden verhandeln. Dabei wurde nicht daran gedacht, dass Kosmetik meist nur direkt in größeren Stückzahlen zu bekommen ist und die Auftragswerte hoch ausfallen können. Die PTA ging begeistert und erfolgreich an ihre Aufgabe. Das Erwachen kam, als eine komplett neue Sonnenkosmetik von ihr im Wert von stolzen 3.000 € geordert wurde!
Leider war nicht abgesprochen, dass sie normale Nachbestellungen nur bis 500 € alleine entscheiden darf, aber alle darüber hinausgehenden Beträge abzusegnen sind. Im konkreten Fall gab es gerade finanzielle Engpässe wegen anderer Anschaffungen und einer Steuernachzahlung. Das Konto des Chefs rutschte deutlich ins Soll.
Das Verhältnis war zunächst gestört, weil die PTA das nicht wissen konnte und gutgläubig sogar wirklich gute Konditionen herausverhandelt hatte. Sie erwartete ein Lob und keine Schelte.
Man darf getrost davon ausgehen, dass viele Dinge schief laufen, weil die Aufgabenstellung
- nicht klar genug formuliert,
- nicht schriftlich fixiert,
- nicht durch stetes Feedback hinterfragt und
- nicht beispielhaft die Konsequenzen bei bestimmten Handlungsoptionen dargelegt wurden.
Macht ein Mitarbeiter Fehler, muss man zuerst fragen, warum wurde die Aufgabe so und nicht anders gelöst. Wo war der Fehler in der Kommunikation? Habe ich als Chef etwas nicht gut genug erklärt, oder hat es der Mitarbeiter einfach nicht richtig verstanden und sich nicht getraut zurückzufragen?
Auftretende Fehler erfordern Geduld und Optimierung, bei allem verständlichen Ärger. Grundsatz: Jeder darf mal einen (verschmerzbaren) Fehler machen, aber jeden Fehler nur einmal!
Bis hier haben wir uns nur im Bereich der Delegation bewegt und sehen, wie viele Fußangeln da schon vorhanden sind und wie viele Fehler gemacht werden können, wenn man nicht sorgfältig eine Struktur hineinbringt.
So funktionieren gut geführte und geschulte Teams auf der Ebene der Delegation sehr erfolgreich, wenn man die richtigen Personen mit den richtigen Aufgaben betraut. Manch ein Chef ist damit vollauf zufrieden. Doch eine Steigerung ist möglich, wenn Mitarbeiter nicht nur delegierte Arbeiten erledigen, sondern dabei noch unternehmerisch zu denken lernen. Hier muss der Mitarbeiter sich nämlich eigenständig fragen: Wie nützt meine Entscheidung meinem Arbeitgeber und dem Betrieb? Oder schadet sie gar?
Die Kür: Unternehmerisches Handeln „everywhere“
Ein praktisches Beispiel: Es ist kurz vor Geschäftsschluss. Eine Kundin kommt mit einem Rezept über eine N2-Packung eines Antibiotikums als Notfallmedikament für ihren gerade aus der Klinik entlassenen Mann. Es sind aber nur N1 Packungen vorhanden. Die PTA will die Kundin für den nächsten Tag wiedereinbestellen, da sie nicht stückeln will, dies sei ja nicht statthaft. Die Kundin rebelliert und besteht auf sofortiger Belieferung des Notfallmedikaments. Die zuständige Approbierte mischt sich ein und beliefert zwei Packungen N1 als Notfallmedikation. Die Kundin ist überglücklich und bedankt sich für die unbürokratische Hilfe. Sie wird das der Apotheke nicht vergessen!
Zwischen den Mitarbeiterinnen bricht Streit aus, was korrekt sei. Das gesetzeskonforme Bestellen des Präparates wäre allerdings nicht im Sinn von unternehmerischem Denken gewesen und hätte dazu geführt, dass die Kundin verloren gewesen wäre. Die „unbürokratisch handelnde“ Apothekerin, die unter Anwendung der Sonder-PZN den akuten Notfallbedarf geltend macht und ihre pharmazeutischen Bedenken gleich mit anbringt, hat unternehmerisch gehandelt, den Kunden behalten und das Image der Apotheke als kundenorientierten Betrieb verbessert.
Unternehmerisches Denken fängt jedoch schon bei der Warenbestellung an. Wenn beim plötzlichen Einsatz des Pollenflugs die Nachfrage nach Antihistaminika exponentiell ansteigt, bestellt eine unternehmerisch denkende PKA im Laufe des Tages nicht 5 x je 1 Packung, sondern in weiser Voraussicht gleich 5 Packungen auf einmal, um die Lieferfähigkeit der Apotheke zu erhalten. Sie setzt sich dabei im Sinne des Unternehmens über die Bestellvorschläge der EDV hinweg, die den Beginn des Pollenflugs nicht vorhersehen kann.
Unternehmerisch denken –nicht nur in Zahlen!
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Unternehmerisches Denken beinhaltet also sowohl wirtschaftliches als auch menschliches, empathisches Verhalten im richtigen Umgang mit dem Patienten in Not. Das Tückische dabei ist, dass die gleiche Situation nicht immer gleich behandelt werden kann, sondern jeder Fall differenziert geprüft werden muss. Das macht das „richtige“ unternehmerische Verhalten für Mitarbeiter oft so schwer. Deshalb sollten solche Fälle immer wieder im gesamten Team diskutiert werden und die verschiedenen Handlungsoptionen bewusst gemacht werden.
Sowohl Verstand als auch Fingerspitzengefühl sind gefragt. Das stupide Vorgehen nach Schema F sollte gerade im Kundenumgang die Ausnahme bleiben. Allen-falls standardisierbare, einfachste Routinetätigkeiten – die künftig gar automatisiert werden – lassen sich derart schematisch handhaben.
Ein kundenorientiert ausgebildetes Team wird schnell von den Menschen erkannt und die Apotheke gewinnt damit an Image und Beliebtheit. Der Kunde muss das Gefühl haben, dass nach dem Motto gearbeitet wird: „Ich habe ein Problem, und meine Apotheke hat die Lösung!“
Das muss geübt werden, und es braucht Zeit bis zur perfekten Umsetzung im gesamten Team. Dann macht das verantwortliche pharmazeutische Arbeiten auch Freude und ist nicht mehr nur langweilige Routine.
Viel Erfolg auf dem Weg zur kundenfreundlichsten Apotheke mit unternehmerisch denkenden Mitarbeitern!
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(12):8-8