Chaotische Apothekenschließung

Lassen Sie es nicht so weit kommen!


Karin Wahl

Apothekenschließungen gab es schon immer, sei es wegen Änderungen der Verkehrsführung, einem Wechsel der Bevölkerungsstruktur oder der umliegenden Frequenzbringer, oder aufgrund von persönlichem Missmanagement. Wichtig ist in jedem Fall, rechtzeitig zu handeln.

Seit vielen Jahren hat sich bei Apotheken der Verkäufermarkt zu einem Käufermarkt gewandelt. Apotheken, die vor 15 oder 20 Jahren noch verkäuflich waren, sind heute unverkäuflich. Nur wenige Käufer sind bereit, selbst bei im Prinzip lohnenden Standorten alles umzubauen und zu sanieren. Da ist es häufiger die lukrativere und kostensparendere Variante, in der Nähe eine neue moderne Apotheke aufzumachen. Der „alte“ Apotheker, der verkaufen will, hat dann das Nachsehen.

Apothekenleiter im Alter 60 plus sind oft erschreckend wenig versiert im Bereich der Betriebswirtschaft. Das überlassen sie ganz dem Steuerberater und wollen auch nicht viel davon hören, solange sie ihr Auskommen haben und sich an der Beschaulichkeit des langjährigen Standortes nichts ändert. Erst wenn sich Veränderungen nicht mehr übersehen lassen oder Umsatz und Ertrag sich durch neue aktive Mitbewerber so stark reduziert haben, dass es schmerzt, wachen sie auf.

Hektisch werden dann Maßnahmen ohne langfristigen Plan eingeleitet und Mitarbeiter sowie Geschäftspartner durch Aktionismus in verschiedene Richtungen aufgescheucht. Geld für einen Berater kann oder will man nicht in die Hand nehmen nach dem Motto: Das bekomme ich selbst hin. Erst wenn dann das Kind komplett im Brunnen liegt, wird händeringend nach einem Retter aus der Krise gesucht.

Einfach abschließen geht nicht

Manchmal schafft man noch einen Turnaround, aber häufig bleibt nur eine einigermaßen geordnete Abwicklung, um zu retten, was noch zu retten ist. Besonders bitter ist es dann, wenn eine schwere Erkrankung des Inhabers dazukommt und er selbst nicht mehr ins Geschehen eingreifen kann. Immer wieder hört man dann den verzweifelten Spruch: „Ich will und kann nicht mehr! Am besten den Schlüssel rumdrehen und wegwerfen!“

Damit ist es aber leider nicht getan. Apotheken als Einzelhandelsunternehmen der besonderen Art sind in Verträge und gesetzliche Rahmenbedingungen eingebunden, die erfüllt werden müssen. Selbst wenn jemand aus Verzweiflung so handelt oder – noch schlimmer – sich dem Ganzen durch Suizid entzieht, einer muss die Hinterlassenschaften aufräumen und abwickeln, als da sind:

  • Miet- oder Pachtvertrag,
  • Arbeitsverträge mit Mitarbeitern (Zeugnisse erstellen),
  • Betriebserlaubnis für die Apotheke (Aufsichtsbehörde),
  • Erfüllung der Vorgaben der Apothekenbetriebsordnung,
  • Lieferverträge mit Großhandlungen und anderen Anbietern,
  • Leasingverträge,
  • Zahlungen von laufenden Steuern wie Umsatz- und Gewerbesteuer,
  • Abonnements von Fachliteratur,
  • Einteilung zum Notdienst (Apothekerkammer),
  • Gespräche mit den Banken und dem Steuerberater.

Hier soll ein Beispiel aufgezeigt werden, das leider in Variationen immer wieder so vorkommt. Eine Apotheke mit 1,8 Mio. € im Vorort einer Großstadt wurde vor 15 Jahren einem „prominenten“ Kollegen völlig überteuert abgekauft. Es gab noch eine zweite Apotheke in der Nähe. Der Vorbesitzer hatte aufgrund seiner „Prominenz“ Kunden gebunden und versucht, den Mitbewerber „kleinzuhalten“. Da er aber häufig nicht präsent war, entsprach der Umsatz von 1,8 Mio. € eigentlich schon zum Zeitpunkt der Übernahme nicht dem Potenzial, das die Apotheke an diesem Standort mit sehr viel Wohnbevölkerung und allen Geschäften des täglichen Bedarfs sowie Bank- und Postfilialen hatte. Auch die Ärztestruktur hätte mehr Umsatz erwarten lassen können.

Die übernehmende Apothekerin, bar jeglicher betriebswirtschaftlicher Kenntnisse, war allerdings finanziell durch eine Erbschaft gut aufgestellt. So bezahlte sie blauäugig den geforderten Preis. Sie wollte einfach im Alter von 45 Jahren selbstständig sein. Der junge Steuerberater hatte neben anderen Sparten nur diese eine Apotheke als Mandant. Somit war von ihm nicht viel Beratung außerhalb der reinen Buchhaltung zu erwarten.

Im Laufe der folgenden 15 Jahre wirtschaftete die Kollegin die Apotheke auf 800 Tsd. € Nettoumsatz herunter. Sie beschäftigte zwei Teilzeit-PTAs und eine PKA, die unzulässigerweise im Handverkauf eingesetzt wurde. Zusätzlich beschäftigte sie eine pensionierte Approbierte für drei Wochenstunden an einem Nachmittag. Die Öffnungszeiten entsprachen der Wochenarbeitszeit der Vollzeitkraft und es war über Mittag geschlossen.

Die Kollegin war eine starke Raucherin und ernährte sich ungesund. Ihr Übergewicht und die allmählich auftretenden gesundheitlichen Probleme ließen sie immer weniger im Handverkauf erscheinen. Ihr fensterloses dunkles Büro war überladen mit Papierstapeln und Krimskram.

Da sie inzwischen eine zweite Erbschaft gemacht hatte, schoss sie der Apotheke immer wieder Privatvermögen zu und ließ ansonsten alles laufen. In die Ausstattung und Einrichtung wurde nichts investiert. Der Mitbewerber war mittlerweile zum Platzhirsch geworden.

An Ostern erlitt die Kollegin einen Schlaganfall und kam in die Klinik, wo man zusätzlich eine Tumorerkrankung diagnostizierte. Sie erkannte, dass sie die Apotheke nicht mehr würde führen können, und beauftragte mangels Verwandten oder Freunden ihren etwas unbedarften Steuerberater mit dem Verkauf der Apotheke.

Er schrieb die Apotheke aus und vereinbarte unzählige Besichtigungstermine, die von vielen neugierigen Kollegen wahrgenommen wurden, allerdings ohne Erfolg.

Da die Apotheke über eine sehr alte Sonderausnahmegenehmigung wegen der Nicht-Einheit der Räume verfügte (die Sanitärräume und ein Lagerraum lagen jenseits des Treppenhauses), war allen Interessenten klar, dass sie hier ohne große Umbaumaßnahmen keine neue Betriebserlaubnis bekommen würden.

Mitbewerber freut sich über kostenlosen Mehrumsatz

Auch der Platzhirsch, der die „Konkurrenz“ genüsslich inspizierte, erkannte sofort, dass er für den Restumsatz kein Geld in die Hand nehmen musste, da dieser ihm ohnehin bald kostenfrei zufallen würde.

Man „wurstelte“ sechs Wochen lang ohne ordnungsgemäße Besetzung weiter, bis der Großhandelsaußendienst dringend anmahnte, jemanden zu suchen, der die Apotheke professionell und zeitnah abwickelt. Diese Person wurde gefunden.

Gemeinsam mit dem Steuerberater und dem kleinen Team, das zuerst sein Schicksal nicht wahrhaben wollte, wurde dann ein Plan erstellt, wie man die Apotheke bis zum 31. Juli geordnet abwickeln und für die kranke Inhaberin noch etwas Ertrag erwirtschaften könnte.

Folgende Maßnahmen wurden auch mit Hilfe des EDV-Hauses als Aufgaben an die Teammitglieder verteilt:

  • Chaos aufräumen und die Arbeitsplätze entmüllen,
  • Keller entmüllen,
  • Labor von allem befreien, was dort nicht hingehört,
  • Erstellen einer Inventur, da nach POR gearbeitet wurde,
  • Listen Renner und Penner erstellen, getrennt nach Rx und OTC,
  • Verfalldatenlisten erstellen, getrennt nach Rx und OTC,
  • Vereinbarung eines neuen bewussten Bestellverhaltens mit der PKA,
  • Anrufliste aller Stammkunden erstellen,
  • Erstellen einer Liste der noch verkäuflichen Gegenstände im Labor und in der Rezeptur,
  • Kontaktaufnahme mit Antiquitätenhändler wegen alter Standgefäße etc.,
  • Einstellung von Inventarteilen zum Verkauf im Internet und
  • entsprechende Kleinanzeige in der Fachpresse unter Chiffre,
  • Erstellen von Arbeitsplänen für die Restzeit bis zur Schließung,
  • Ermittlung von nicht genommenem Urlaub,
  • Befreiungsantrag bei der Apothekerkammer für zwei noch in diese Zeit fallenden Notdienste und für die Samstage,
  • Liste aller zu kontaktierenden Personen und Institutionen rund um die Schließung der Apotheke.

Mangels Familienangehöriger mussten die meterhohen Papierstapel im Chefbüro vom Steuerberater durchgesehen und wichtige Dokumente, beispielsweise der damalige Kaufvertrag, von Werbung und alten Zeitschriften getrennt werden.

Die letzte Revision lag über sechs Jahre zurück, sodass man damit rechnen musste, dass die Aufsichtsbehörde unangekündigt vor der Tür steht, vor allem, weil die Apothekerkammer die Meldung wegen der Befreiung von Not- und Samstagsdienst weitergab. Man erfüllte zwar ab sofort alle Vorgaben einer geordneten Apothekenführung, baute aber das Warenlager dramatisch ab und dafür den Bringdienst für die Kunden durch die PKA aus.

Sommerschlussverkauf in der Apotheke

Es wurden leere Standgefäße und Teedosen veräußert. Man suchte nach Käufern für Labor- und Rezepturgeräte, für die Ziehschränke und sonstiges Inventar. Man rief alle Stammkunden an, noch einmal ihr Standardrezept einzulösen, um die Rx-Arzneimittel zu reduzieren. Eine große Sommer-Reise-Aktion wurde im Schaufenster offeriert mit Rabatten für Artikel der Sicht- und Freiwahl zwischen 10 % und später 25 %.

Der Großhandel hatte klar dargelegt, dass er nur einen Teil des vorhandenen Warenlagers mit Abschlag (33 %) zurücknehmen würde. Somit bestand die Notwendigkeit, so viel wie möglich zu verkaufen, was lege artis zu verkaufen war!

Erschwerend kam hinzu, dass plötzlich die Inhaberin die Apotheke aus dem Krankenhaus dirigieren wollte. Ihr schien klar geworden zu sein, was da am Laufen war und dass dies das Ende ihrer Apotheke sein dürfte. Sie machte völlig unrealistische Vorgaben zu Verkaufspreisen von veralteten Geräten, die noch zu DM-Zeiten erworben worden waren. Man hätte sich gewünscht, dass sie sich all die Jahre vorher genauso um ihren Betrieb gekümmert hätte.

Man formulierte alle nötigen Briefe an Institutionen und Geschäftspartner, die Kündigungen der Mitarbeiter wegen Geschäftsaufgabe sowie Zeugnisse und brachte diese in die Klinik zur Unterschrift.

Natürlich hatten die Kunden inzwischen auch herausgefunden, dass die Schließung bevorstand.Viele kauften noch einmal sehr solidarisch größere Mengen ein, natürlich mit ordentlichen Rabatten. Am letzten Öffnungstag wurde noch ein Flohmarkt mit Inventarteilen und Verschenkartikeln, die kartonweise im Keller gefunden worden waren, veranstaltet. Hätte man sie doch nur zu besseren Zeiten als Incentive eingesetzt!

Zuletzt blieben noch folgende Aktivitäten zu erledigen:

  • die ordnungsgemäße Entsorgung von Chemikalien,
  • Vorbereitung des Rückkaufs der restlichen Ware und der BtM an den Großhandel,
  • Organisation der Abholung der geleasten EDV,
  • Sperrmüll, da die Räume besenrein hinterlassen werden mussten,
  • Weiterleitung aller persönlichen Gegenstände der Inhaberin an deren Wohnung,
  • Ablesung und Abschaltung des Stroms,
  • Abschaltung und Abbau des Telefons durch die Telekom,
  • postalische Versendung bzw. Abholung der Gegenstände, für die Käufer gefunden wurden,
  • Übergabe der Belege an den Steuerberater,
  • Umleitung der Post,
  • letzte Einzahlung des Barbestands aufs Konto der Inhaberin,
  • letzte Rezeptabrechnung aller in der Apotheke befindlichen Rezepte,
  • Übergabe der leeren besenreinen Apotheke an den Vermieter,
  • Abkleben aller Schaufenster mit Packpapier und einem letzten Dank an alle Kunden für ihre Treue.

Ein kleiner Umtrunk beendete eine großartige Leistung der Mitarbeiter, die im Angesicht des Jobverlustes trotzdem sehr beherzt angepackt hatten. Die Inhaberin starb ein Jahr später und war froh, dass die Abwicklung der Apotheke noch einen Ertrag erwirtschaftet hatte. Die Beschreibung ist deshalb so ausführlich, weil man es einfach nicht zu so einem Ende kommen lassen sollte!

Man muss als verantwortlicher Inhaber die Zeichen der Zeit erkennen und Maßnahmen treffen. Möglich ist z. B., dass man dem Mitbewerber anbietet, gegen Bezahlung die Apotheke zu schließen, oder eine Apotheke, die gut in Schuss ist, doch noch als Filiale veräußert. Dies hat den großen Charme, dass man sich weder um das Warenlager, die Laborsubstanzen noch um die Räumung der Apotheke persönlich kümmern muss, was eine sehr belastende Arbeit darstellt.

Karin Wahl, Fachapothekerin für Offizinpharmazie, Unternehmensberatung e.K., 70195 Stuttgart, E-Mail: karin.wahl@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(15):11-11