Krankheitsbedingte Kündigung

Nicht ohne betriebliches Eingliederungsmanagement


Jasmin Theuringer

Für Arbeitnehmer, die innerhalb eines Jahres mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt sind, ist nach § 84 SGB IX ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen. Unterbleibt dies, wird eine krankheitsbedingte Kündigung kaum Bestand vor dem Arbeitsgericht haben.

Ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) soll die Gesundheit des Arbeitnehmers schützen und dabei helfen, eine bestehende Arbeitsunfähigkeit zu überwinden und erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen. Das BEM dient der Gesunderhaltung des Arbeitnehmers und dem Erhalt des Arbeitsplatzes. Das Gesetz lässt dabei offen, wie genau ein BEM auszusehen hat. Weder ein konkretes Verfahren noch konkrete Maßnahmen werden durch § 84 SGB IX vorgeschrieben. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) handelt es sich um einen verlaufs- und ergebnisoffenen Suchprozess, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll (Urteil vom 10. Dezember 2009, Aktenzeichen 2AZR 400/08).

Häufige Kurzerkrankungen zusammenrechnen

Das Gesetz verpflichtet jeden Arbeitgeber zur Durchführung des BEM, unabhängig von der Größe des Betriebs. Alleinige Voraussetzung ist eine mehr als sechs Wochen andauernde Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers. Es muss sich dabei nicht um eine andauernde Arbeitsunfähigkeit handeln, häufige Kurzerkrankungen sind zusammenzurechnen. Betrachtet wird stets ein Zeitraum von einem Jahr. Entscheidend ist nicht das Kalenderjahr, sondern zwölf zusammenhängende Monate.

Es ist sodann Aufgabe des Arbeitgebers, dem erkrankten Arbeitnehmer die Durchführung des BEM anzubieten. Dabei ist der Arbeitnehmer auf die Ziele des BEM sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, im Rahmen des BEM seine Diagnose gegenüber dem Arbeitgeber offenzulegen. Ohne jedoch die beteiligten Ärzte über die Art der Erkrankung zu informieren und gegebenenfalls Untersuchungen zuzustimmen, wird ein BEM unter Umständen wenig zielführend sein. Darauf sollte der Arbeitnehmer im Rahmen des Angebots zur Durchführung des BEM hingewiesen werden.

In größeren Betrieben werden der Betriebs- oder Personalrat sowie die Schwerbehindertenvertretung am BEM beteiligt, ebenso können Betriebsärzte oder Fachkräfte für Arbeitssicherheit einbezogen werden. Sind all diese nicht vorhanden – wie es in Apotheken der Regelfall sein dürfte – ist der Arbeitgeber selbst der einzige innerbetriebliche Beteiligte. Der behandelnde Arzt des Arbeitnehmers sollte ebenso einbezogen werden wie die zuständige Krankenkasse. Insbesondere die Krankenkassen bieten Hilfestellungen beim BEM an – von Informationen des Arbeitgebers und notwendigen Reha-Maßnahmen für den Arbeitnehmer bis hin zu einer finanziellen Beteiligung bei der stufenweisen Wiedereingliederung in den Betrieb.

BEM ist für Arbeitnehmer freiwillig

Wichtigster Beteiligter ist natürlich der Arbeitnehmer selbst. Für ihn ist die Durchführung des BEM zu jeder Zeit freiwillig. Er kann dem BEM von vornherein widersprechen oder auch seine bereits erteilte Zustimmung in jedem Stadium des BEM widerrufen. Er muss seine Entscheidung nicht begründen. Negative Konsequenzen hat dies für den Arbeitnehmer nicht – bis auf die Tatsache, dass seine Verteidigungsmöglichkeiten in einem etwaigen Kündigungsschutzprozess nach Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung geschwächt werden. Ihm wird das Argument genommen, er sei nach einer Anpassung der Arbeitsbedingungen wieder an seinem Arbeitsplatz einsatzfähig, da er durch seine Weigerung entsprechende Überlegungen von vornherein vereitelt.

Der Verlauf des BEM ist gesetzlich nicht vorgegeben und richtet sich nach den Bedürfnissen des Arbeitnehmers. Sinnvollerweise beginnt das BEM mit einem Erstgespräch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, um den Arbeitnehmer über das geplante BEM zu informieren und herauszufinden, ob er grundsätzlich zur Teilnahme bereit ist.

Inhalt des Gesprächs kann weiterhin die Klärung sein, ob die Arbeitsunfähigkeit betriebliche Ursachen hat und eine Änderung der Arbeitsbedingungen möglich und sinnvoll ist. Sodann sollte ein konkreter Maßnahmenplan vereinbart und – gegebenenfalls unter Einbeziehung von Arzt und Krankenkasse – umgesetzt werden.

Externer Dienstleister für Kleinbetriebe sinnvoll

Gerade in kleinen und mittleren Betrieben ist es wenig sinnvoll, ein standardisiertes Verfahren oder gar besondere Zuständigkeiten für die Durchführung des BEM zu schaffen. Unter Umständen sollte die Inanspruchnahme eines externen Dienstleisters, der sich auf die Durchführung von BEM in Kleinbetrieben spezialisiert hat, erwogen werden.

Das Gesetz schreibt zwar jedem Arbeitgeber die Durchführung eines BEM vor. Es knüpft jedoch keine Rechtsfolgen daran, wenn der Arbeitgeber dies, beispielsweise aus Scheu vor dem organisatorischen Aufwand, unterlässt. Gerade Betriebe, in denen das Kündigungsschutzgesetz gilt, sind jedoch gut beraten, das BEM nicht unter den Tisch fallen zu lassen.

Dies hat das Bundesarbeitsgericht beispielsweise in seinem Urteil vom 20. November 2014 (Aktenzeichen 2AZR 755/13) anschaulich dargelegt: Das BAG hatte über eine krankheitsbedingte Kündigung zu entscheiden, zu der sich ein Arbeitgeber nach insgesamt 1.061 Krankheitstagen des Arbeitnehmers innerhalb von zehn Jahren, davon allein 524 Tage in den letzten fünf Jahren, gezwungen sah. Der gekündigte Arbeitnehmer war also in den letzten fünf Jahren vor Ausspruch der Kündigung durchschnittlich an mehr als zwanzig Wochen im Jahr arbeitsunfähig erkrankt. Der Arbeitgeber hatte zudem insgesamt drei Versuche unternommen, mithilfe des Betriebsarztes zu einer Lösung zu gelangen, um künftige Krankheitszeiten zu vermeiden. Trotz alledem befand das BAG die Kündigung als unwirksam mit der Begründung, es fehle das BEM.

Kündigung als Ultima Ratio

Um diese Entscheidung zu verstehen, muss man sich kurz das System der krankheitsbedingten Kündigung vor Augen führen: Eine Kündigung wegen – wie hier – häufiger Kurzerkrankungen ist dann möglich, wenn die Häufigkeit der bisherigen Erkrankungen den Schluss nahelegt, dass auch in Zukunft mit erheblichen Ausfallzeiten zu rechnen sein wird. Die Kündigung wird also nicht wegen der vergangenen Erkrankungen ausgesprochen, sondern im Hinblick auf zukünftig zu erwartende weitere Ausfallzeiten. Diese Ausfallzeiten müssen dem Betrieb des Arbeitgebers nicht länger zumutbar sein und schließlich darf es sich bei der Kündigung stets nur um die Ultima Ratio handeln. Ist ein milderes Mittel zur Abwendung künftiger Ausfallzeiten denkbar, muss dieses gewählt werden.

An dieser letzten Voraussetzung einer Kündigung hat das BAG angesetzt und erklärt, die Durchführung des BEM sei zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. § 84 Absatz 2 SGB IX konkretisiere aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mithilfe des BEM könnten möglicherweise mildere Mittel als die Kündigung erkannt und entwickelt werden. Das Unterlassen eines BEM führe dazu, dass die Kündigung unverhältnismäßig ist. Alternativ sei möglich gewesen darzulegen, dass auch ein tatsächlich durchgeführtes BEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. Dazu sah das BAG die erfolglose Einschaltung des Betriebsarztes jedoch nicht als ausreichend an.

Fazit: Vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung sollte dem Arbeitnehmer die Durchführung eines BEM angeboten werden. Lehnt der Arbeitnehmer dies ab, ist das BEM damit beendet. Andernfalls ist mit Beteiligung des behandelnden Arztes, der Krankenkasse und des Arbeitgebers ein BEM durchzuführen. Erst wenn dies erfolglos bleibt, kann eine krankheitsbedingte Kündigung in Betracht gezogen werden.

Jasmin Theuringer, Rechtsanwältin, Bellinger Rechtsanwälte und Steuerberater, 40212 Düsseldorf, E-Mail: theuringer@bellinger.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(15):15-15