Jasmin Theuringer
Vor dem Landesarbeitsgericht Köln ging es um die Frage, wie weit der Arbeitgeber in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingreifen darf, wenn dies mit Rücksicht auf betriebliche Belange erforderlich scheint (LArbG Köln, Urteil vom 18. August 2010, AZ: 3TaBV 15/10).
Bei der Frage nach der Zulässigkeit eines islamischen Kopftuchs dagegen geht es neben dem Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmerin auch um deren Religionsfreiheit sowie um die so genannte negative Religionsfreiheit der Kollegen und nicht zuletzt um Ressentiments gegenüber dem Islam.
Religionsfreiheit vs. betriebliche Interessen
Das Grundgesetz garantiert in Artikel 4 die ungestörte Ausübung der Religion. Dadurch wird nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, gewährleistet, sondern auch diesen zu äußern.
Das Kopftuch auch als öffentliches Bekenntnis der Religion fällt daher grundsätzlich in den Schutzbereich des Grundgesetzes. Untersagt der Arbeitgeber das Tragen eines Kopftuchs am Arbeitsplatz, greift er damit in die grundgesetzlich geschützte Freiheit der Religionsausübung ein – und das bedarf eines handfesten Grundes. Anerkannt ist das Recht des Arbeitgebers, seinen Angestellten eine Dienstkleidung vorzuschreiben. So kann zum Beispiel das Tragen eines Kittels in der Apotheke Kraft des Weisungsrechts des Arbeitgebers durchgesetzt werden, was in der Praxis aber regelmäßig kein Problem darstellen sollte.
Greifen aber die Kleidervorschriften in die Religionsfreiheit ein, so hat dem bereits im Jahre 2002 das Bundesarbeitsgericht einen Riegel vorgeschoben: Die bloße Befürchtung des Arbeitgebers, das Tragen eines Kopftuchs könne zu Störungen im Betrieb führen, reiche für ein Verbot nicht aus (BAG Urteil vom 10. Oktober 2002, AZ: 2AZR 472/01). Fürchtet oder erlebt der Arbeitgeber tatsächlich negative Reaktionen seiner Kunden auf das Kopftuch, kann das allein also ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz nicht rechtfertigen.
Auch aus der so genannten negativen Religionsfreiheit kann nichts anderes hergeleitet werden. Negative Religionsfreiheit bedeutet, dass niemand zum Glauben oder zur Ausübung einer Religion gezwungen werden kann. Das bedeutet aber nicht, dass auch anderen die Ausübung religiöser Handlungen verboten werden kann. Ein Atheist kann sich nicht unter Berufung auf seine negative Religionsfreiheit gegen den unerbetenen sonntäglichen „Weckdienst“ durch Kirchenglocken wehren. Das gilt entsprechend für den Anblick eines religiös motivierten Kopftuchs.
Diskriminierungsverbot
Zu beachten ist auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sowie Art. 3 des Grundgesetzes, wonach eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern aufgrund der Religion unzulässig ist. Mit diesem Argument hatte auch das Bundesverfassungsgericht das Kopftuchverbot an Schulen in Nordrhein-Westfalen gekippt: Wenn es Regeln bezüglich der äußerlichen religiösen Bekundung gebe, dann müssen diese Regeln für alle Religionen unterschiedslos gelten und die Darstellung christlicher Werte dürfe nicht privilegiert werden (BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2015, 1BvR 471/10).
Kurz gesagt: So lange eine Kette mit einem Kruzifix-Anhänger geduldet wird, kann auch das Kopftuch nicht verboten werden.
Umfassendes Neutralitätsgebot
Es stellt sich die Frage, ob ein Betrieb seinen Mitarbeitern das Tragen jedweden Zeichens einer religiösen, politischen oder philosophischen Überzeugung verbieten darf. Diese Frage hat der Europäische Gerichtshof zu entscheiden, mit einem Urteil wird noch in diesem Jahr gerechnet. Dem Verfahren liegt die Klage einer Arbeitnehmerin zu Grunde, die trotz eines umfassenden Verbots des Arbeitgebers – einem Anbieter für Rezeptionsdienstleistungen – künftig an ihrem Arbeitsplatz ein Kopftuch tragen wollte und deshalb gekündigt worden ist.
Der EuGH entscheidet über die Auslegung und Anwendung einer europäischen Richtlinie. Das Urteil ist daher auch für deutsche Gerichte bindend. In dem Verfahren wurde der so genannte Schlussantrag gestellt. Dabei handelt es sich um eine Empfehlung des Generalanwalts. An diese Empfehlung ist das Gericht zwar nicht gebunden, dennoch wird nur selten davon abgewichen.
In diesem Schlussantrag heißt es nun, ein Kopftuchverbot könne zulässig sein, wenn es sich auf eine allgemeine Regelung stützt. Möchte ein Arbeitgeber aus nachvollziehbaren Gründen in seinem Betrieb insgesamt eine religiöse und politische Neutralität gewährleisten, dann könne ein Kopftuchverbot nicht diskriminierend sein. Schließlich seien dann genauso auch andere religiöse Zeichen verboten, unabhängig von der jeweiligen Religion.
Aufgrund des umfassenden Verbots religiöser Zeichen ist tatsächlich wenig Raum für die Annahme einer unzulässigen Diskriminierung wegen der Religion. Ein solches betriebliches Neutralitätsgebot kann also weder an Art. 3 GG noch am AGG scheitern. Es bleibt aber die Frage nach der Abwägung zwischen dem betrieblichen Interesse des Arbeitgebers an der Neutralität seiner Arbeitnehmer und deren Religionsfreiheit. In dem vom EuGH zu entscheidenden Fall bietet der Arbeitgeber Rezeptionsdienstleistungen an. Sein Interesse daran, dass die Mitarbeiter auf religiöse und politische Meinungsäußerungen am Arbeitsplatz angesichts des Umgangs mit unterschiedlichsten Kunden verzichten, dürfte daher recht hoch anzusiedeln sein.
Ob und inwieweit dies auch für ein betriebliches Neutralitätsgebot in Apotheken gilt, wird erst nach Vorliegen der Entscheidungsgründe des EuGH zu beantworten sein.
Hier wird auch zu berücksichtigen sein, ob sich die Apotheke in einer Großstadt oder in einer eher kleinen Gemeinde befindet, wie sich der Kundenstamm zusammensetzt und ob tatsächlich mit erheblichen betrieblichen Einbußen nur aufgrund der Tatsache, dass eine Mitarbeiterin ein Kopftuch, eine Kette mit einem Kruzifix-Anhänger oder auch eine Atomkraft-Nein-Danke-Plakette trägt, zu rechnen sein wird. Insgesamt dürfte die Durchsetzbarkeit einer solchen Richtlinie in Apotheken eher unwahrscheinlich sein.
Burkaverbot
Entschließt sich eine Arbeitnehmerin hingegen, künftig am Arbeitsplatz nicht nur ein Kopftuch, sondern eine Burka zu tragen, sollte das betriebliche Interesse des Arbeitgebers an einem Verbot jedoch überwiegen. Eine Burka verschleiert nicht nur die Haare ihrer Trägerin, sondern das gesamte Gesicht. Bei der klassischen Burka bleibt nicht einmal ein Schlitz für die Augen frei, diese werden hinter einem Stoffnetz versteckt. Bei einem Niqab wird das Gesicht verschleiert bis auf einen Schlitz für die Augen.
Beide Arten der Verschleierung dürften auf die Mehrzahl der Kunden einer Apotheke verstörend wirken. Gerade in dieser Branche mit Beratungsbedarf in sensiblen Themen kann nicht darauf verzichtet werden, das Gesicht, die Mimik und idealerweise auch das Lächeln seines Gegenübers zu erkennen. Anders kann ein vertrauensvolles Beratungs- und Verkaufsgespräch schwerlich geführt werden, so dass die Religionsfreiheit der Mitarbeiterinnen hier regelmäßig hinter den betrieblichen Interessen des Arbeitgebers zurückbleiben wird. Ein Verbot der Vollverschleierung am Arbeitsplatz sollte damit zumindest im HV-Bereich durchsetzbar sein.
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Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(17):14-14