Steuer-Spartipps

Vorsteuerabzug trotz fehlerhafter oder unvollständiger Rechnung


Helmut Lehr

Umsatzsteuer(sonder)prüfungen des Finanzamts zielen meist auf den Vorsteuerabzug des Unternehmers ab. Dabei stehen nicht nur materielle Fehler (z. B. Irrtum über den anzuwendenden Steuersatz) im Mittelpunkt, die Prüfer achten auch und gerade auf formale Unzulänglichkeiten in den (Eingangs-)Rechnungen. Enthält ein Abrechnungspapier Fehler, wird der Vorsteuerabzug daraus nicht selten vollständig versagt.

In diesen Fällen besteht zwar grundsätzlich die Möglichkeit, beim Rechnungsaussteller eine korrigierte Rechnung anzufordern. Der Vorsteuerabzug darf dann aber erst in dem Jahr in Anspruch genommen werden, in dem die berichtigte Rechnung vorliegt. Dies führt häufig zu Zinsfestsetzungen für das Jahr des ursprünglichen Vorsteuerabzugs.

Hinweis: Weil der „fiskalische Zinssatz“ derzeit 6 % beträgt, können allein die Zinsen zur Umsatzsteuer zu einer erheblichen Zusatzbelastung führen – und das, obwohl die Umsatzsteuer für den Unternehmer ja eigentlich kostenneutral sein soll!

Rückwirkende Rechnungsberichtigung möglich

Einzelne Finanzgerichte haben bereits in der Vergangenheit entschieden, dass aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Rechnungsberichtigung umsatzsteuerrechtlich Rückwirkung entfalten müsse, sodass für die Finanzverwaltung kein Raum mehr bestehe, belastende Zinsfestsetzungen vorzunehmen. Höchstrichterlich entschieden war dies bislang allerdings noch nicht – und die Finanzverwaltung ist natürlich ganz anderer Auffassung.

Mit Urteilen vom 15. September 20161) hat nun der Europäische Gerichtshof klargestellt, dass Rechnungen zumindest unter bestimmten Voraussetzungen auch mit steuerlicher Rückwirkung korrigiert werden können, sodass der Vorsteuerabzug für das Jahr des Rechnungseingangs erhalten bleibt!

Die Urteile dürfen wohl ohne zu übertreiben als Meilensteine für das deutsche und das europäische Umsatzsteuerrecht bezeichnet werden. Sie könnten dazu führen, dass Vorsteuerkürzungen aufgrund formaler Unzulänglichkeiten künftig der Vergangenheit angehören. Natürlich sind zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht alle Zweifelsfragen geklärt, sodass mit weiteren, ergänzenden Entscheidungen zu rechnen ist.

„Fest steht“ bislang Folgendes:

  • Leidet die Rechnung an Fehlern im Bereich der Nebenbedingungen, darf der Vorsteuerabzug nicht versagt werden, wenn der Rechnungsaussteller bzw. leistende Unternehmer die Rechnung umgehend korrigiert.
  • Als Nebenbedingungen zur Rechnung gelten neben der Steuernummer bzw. Umsatzsteueridentifikationsnummer wohl auch das anzugebende Leistungsdatum und die fortlaufende Rechnungsnummer.
  • Eine umgehende Korrektur liegt zumindest dann vor, wenn die Berichtigung noch vor Erlass eines entsprechenden Änderungsbescheides („Vorsteuerkürzung“) durch das Finanzamt erfolgt ist.

Hinweis: Inwieweit die positive Rechtsprechung auch bei größeren Rechnungsmängeln wie z. B. falscher Adressat oder fehlende Leistungsbezeichnung anzuwenden ist, muss abgewartet werden. Es spricht zum jetzigen Zeitpunkt allerdings viel dafür, dass künftig auch umfassendere Korrekturen rückwirkend möglich sind. Zumindest soll es laut der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zulässig sein, dass der Unternehmer die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug auch anhand anderer, ergänzender Unterlagen nachweisen kann.

Handlungsempfehlungen

Vorsteuerkürzungen aufgrund „fehlerhafter“ Rechnungen sollten künftig nicht mehr widerspruchslos akzeptiert werden. Sobald eine fehlerhafte Rechnung entdeckt wird, ist unverzüglich auf eine Korrektur durch den Rechnungsaussteller hinzuwirken. Die Korrektur sollte in der Weise erfolgen, dass lediglich die fehlenden bzw. fehlerhaften Angaben ergänzt/berichtigt werden. Dies kann durch einen einfachen Brief erfolgen, der konkret auf die fehlerhafte Rechnung Bezug nimmt (siehe untenstehendes Beispiel).

Hinweis: In der Praxis ist des Öfteren zu beobachten, dass der Rechnungsaussteller fehlerhafte Rechnungen ganz formal storniert und eine komplett neue Rechnung ausstellt. Diese Vorgehensweise ist bis auf Weiteres generell nicht zu empfehlen, ins-besondere dann nicht, wenn das Jahr des (ursprünglichen) Vorsteuerabzugs schon länger zurückliegt. Die Finanzverwaltung könnte nämlich die Stornierung der Rechnung als „Wegfall“ der ursprünglichen Rechnung deuten, sodass der Vorsteuerabzug definitiv für die Vergangenheit entfallen würde. Entsprechende Zinsfestsetzungen wären die Folge!

Rechnungsprüfung nicht vernachlässigen

Keinesfalls sollte die neue Rechtsprechung dazu verleiten, die Prüfung der Eingangsrechnungen künftig auf die leichte Schulter zu nehmen. Die Finanzverwaltung wird immer „fordern“, dass der Unternehmer seinen grundlegenden Sorgfaltspflichten nachkommt, und versuchen, „Schludereien“ zu sanktionieren. Außerdem ist derzeit noch ungewiss, wie die Verwaltung auf die neue Rechtsprechung reagiert und welche (ggf. zusätzlichen) Anforderungen an eine wirksame rückwirkende Rechnungsberichtigung gestellt werden.

Hinweis: Eine gründliche zeitnahe Prüfung der Eingangsrechnungen2) ist auch deshalb erforderlich, weil nie ausgeschlossen werden kann, dass der Rechnungsaussteller plötzlich vom Markt verschwindet (z. B. Insolvenz, Geschäftsaufgabe) und für eine spätere Berichtigung dann nicht mehr zur Verfügung steht.

1) Aktenzeichen C-518/14 und C-516/14.

2) Vgl. die Checklisten in der AWA-Ausgabe Nr. 20 vom 15. Oktober 2016, Seite 18 und 19.

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(21):18-18