Doris Zur Mühlen
Was zeichnet einen erfolgreichen Apothekeninhaber aus? Neben der pharmazeutischen Kompetenz ist er sich der Führungsverantwortung bewusst und nimmt die Aufgaben auch als Manager seines Unternehmens wahr. Er erkennt entstehende Risiken und sich bietende Chancen, legt Maßnahmen fest und handelt proaktiv. Voraussetzung hierfür ist, dass sich anbahnende Veränderungen sehr früh wahrgenommen werden – Zeit ist ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor.
Insofern gehört die Etablierung eines Informationssystems, das mögliche Potenziale und Gefährdungen mit zeitlichem Vorlauf signalisiert, zu den Managementaufgaben jedes Unternehmers. Kein Apothekeninhaber kann auf die Entwicklung und Nutzung eines Frühwarnsystems für das Unternehmen verzichten.
Frühwarnsysteme basieren auf dem Prinzip der „schwachen Signale“. Tiefgreifende Veränderungen entstehen nicht spontan. Sie laufen nicht zufällig ab, sondern kündigen sich lange im Voraus durch entsprechende Signale an. Die Herausforderung besteht darin, diese rechtzeitig wahrzunehmen und strategisch zu verarbeiten, bevor die Ereignisse effektiv eintreten. Je früher die künftigen Ereignisse signalisiert werden, desto mehr Zeit und Handlungsalternativen stehen zur Verfügung, um sich abzeichnende Potenziale zu erschließen oder bei Gefährdungen bzw. Fehlentwicklungen gegenzusteuern. Zu beachten ist, dass notwendige Maßnahmen zum Teil mit langen Reaktionszeiten verbunden sind. Das betrifft Kontaktaufnahmen zu neuen Geschäftspartnern genauso wie Standortverlagerungen, Investitionen oder Kündigungen. Die Kündigung von Verträgen ist z.B. an die Einhaltung von Fristen gebunden. Wer diese verpasst, verlängert üblicherweise die Vertragslaufzeit und unnötige Kosten entstehen. Durch vorausschauendes Agieren lassen sich solche Fehler und Kosten vermeiden.
Das Frühwarnsystem hat eine äußere und eine innere Funktion. Es muss zum einen Tendenzen (Potenziale und Risiken) des Unternehmensumfeldes erfassen, ist also „strategisches Radar“. Zum anderen muss es Entwicklungen, insbesondere kritische, der einzelnen Apotheke rechtzeitig signalisieren.
Äußere Funktion
Im Hinblick auf die äußere Funktion des Frühwarnsystems sollte der Apothekeninhaber insbesondere branchenrelevante Rechtsprechungen sowie anstehendeGesundheitsreformen, Entwicklungen im Gesundheitsbereich und das Voranschreiten der Digitalisierung bis hin zur Thematik des elektronischen Rezeptes verfolgen. So stellen sich aktuell z.B. folgende Fragen: Was wird aus der EuGH-Entscheidung zu Rx-Boni? Wie geht der beim BGH anhängige „Skontoprozess“ aus? Welche Chancen und Risiken bieten sich im Rahmen der AMTS oder bei einer Neugestaltung des Honorarsystems?
Um zu erkennen, in welche Richtung die Entwicklung gehen könnte, sind Positionierungen von Politikern und Standesvertretern genauso von Bedeutung wie das Verfolgen passender Informationsquellen (Fachpresse, andere Medien). Das Beobachten einzelner Bereiche kann auch einer geeigneten Führungskraft übertragen werden. Bestärken sich Sachverhalte, dann geht es darum, die betriebswirtschaftlichen Auswirkungen (Ertrags- oder Risikopotenziale) zu quantifizieren und Handlungsstrategien zu entwickeln. Das kennzeichnet unternehmerisch vorausschauendes Handeln im Vergleich zum „Vogel-Strauß-Verhalten“, das unter Umständen die gesamte Apotheke gefährden könnte.
Beispiel: Würde im Rahmen des oben erwähnten Skontoprozesses entschieden, dass Skonti in die Deckelung der Einkaufskonditionen im Rx-Bereich einzubeziehen sind, dann könnte das bei einer Apotheke mit einem Umsatz von etwa 2 Mio.€ eine Reduzierung des Rohertrags in fünfstelliger Höhe bedeuten. Je früher der Apothekeninhaber dies erkennt, desto eher kann er gegensteuern.
Zur äußeren Funktion gehört auch die Beobachtung des eigenen Standorts. Neben allgemeinen Veränderungen im Einzugsgebiet (Bevölkerungsentwicklung, Wohnungsbau) und bei Frequenzbringern (Einzelhandel, Haltestellen) gilt dies insbesondere für Ärzte. Jeder Apothekeninhaber sollte die Entwicklung bei seinen Hauptverordnern genau kennen in Bezug auf Rezept-, Packungszahl, Umsatz und Rohertrag. Letzterer ist dabei das entscheidende Kriterium. Denn aufgrund des individuellen Verordnungsverhaltens der Ärzte gibt es durchaus erhebliche Abweichungen, auch bei gleichen Umsatzgrößen in der gleichen Facharztgruppe. Des Weiteren sollten Informationen über das Alter und im Idealfall über die Pläne (Praxisverkauf, -verlagerung, Wechsel in ein MVZ usw.) des Praxisinhabers vorhanden sein. Solche Informationen erhält man nur durch regelmäßige persönliche Beziehungen zu den Hauptverordnern.
Innere Funktion
Um Ertragsreserven und Fehlentwicklungen im Unternehmen selbst rechtzeitig zu erkennen, sind in das Frühwarnsystem geeignete Kennzahlen (Signalkennzahlen, Eckkennziffern) der Apotheke aufzunehmen. Hierzu gehören neben den Umsatzerlösen die Wareneinsatzquote, der Rohertrag, die Personalkostenquote, die Kostenquote insgesamt sowie der Ertrag und die Rendite. Bei den Umsatzerlösen sollte möglichst eine Differenzierung nach GKV-, PKV- und Barerlösen erfolgen. Realisiert die Apotheke spezifische Geschäftsbereiche, wie zum Beispiel Versandhandel, Großhandelstätigkeit oder auch Zytostatikaversorgung, dann sollten diese separat ausgewiesen werden. Ohne eine Differenzierung können im Frühwarnsystem kaum belastbare Rückschlüsse aus den Kennzahlen gezogen werden.
Weiterhin zu empfehlen ist, die eigene BWA um zusätzliche Kennzahlen zu erweitern. Diese können sowohl aus der BWA und dem Warenwirtschaftssystem als auch aus betriebswirtschaftlichen Auswertungsmodulen des Softwarehauses generiert werden. Neben den Kunden-, Rezept- und Packungszahlen (ebenfalls wie bei den Umsatzerlösen differenziert nach GKV, PKV und OTC) sollten noch spezifische Kennzahlen in das Frühwarnsystem aufgenommen werden, z.B. kundenbezogene Kennzahlen wie (OTC-)Umsatz, Packungen, Rohertrag, Personalkosten und Gewinn je Kunde sowie packungsbezogene Kennzahlen wie Personalkosten, Werbekosten und Gewinn je Packung.
Einen Mehrwert erhält der Apotheker allerdings nur, wenn er eine monatliche Auswertung des Frühwarnsystems durchführt. Bewährt hat sich eine Zeitreihenbetrachtung der ausgewählten Kennzahlen. Außerdem sollte immer der Abgleich mit den dazugehörigen Planzahlen (Soll-Ist-Vergleich) erfolgen. Die Entwicklung der eigenen Werte ist auch stets im Vergleich zu anderen Apotheken zu sehen. Für einen externen Betriebsvergleich ist es jedoch notwendig, differenzierte Vergleichszahlen nach Versorgungsprofilgruppen zur Verfügung zu haben. Erfolgt dieser lediglich im Vergleich zu Durchschnittszahlen, hat der externe Betriebsvergleich keinen Wert.
Fazit: Gefahren bahnen sich in der Regel über einen längeren Zeitraum an. Wer aus den Fehlern der Vergangenheit lernt und sich anbahnende Veränderungen in die Unternehmensstrategie seiner Apotheke miteinbezieht, kann den Kurs für die Zukunft mitbestimmen. Deswegen sollte kein Jahr ohne Festlegung und Kontrolle von Zielwerten erfolgen. Neben den Risiken ist es wichtig, auch die sich ergebenden Chancen zu erkennen und zu nutzen. Denn die besten Analysen sind nutzlos, wenn der Apothekeninhaber die Ergebnisse nicht zur Optimierung verwendet. Durch eine gezielte Anpassung der eigenen Strategie werden die nachhaltige Entwicklung und der langfristige Erfolg der eigenen Apotheke gesichert.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(24):7-7