Prof. Dr. Reinhard Herzog
Schauen wir zuerst auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Für Deutschland wird eine Fortsetzung des gemäßigten Wachstumspfades erwartet, mit etwas abgeschwächten Wachstumsraten der Wirtschaftsleistung im Bereich von 1,2 % bis 1,5 %. Die bislang noch schwer berechenbare Wirtschaftspolitik eines neuen amerikanischen Präsidenten Donald Trump könnte indes für einige temporäre Verwerfungen und Missstimmungen nicht zuletzt an den Kapitalmärkten sorgen. Schließlich sind die USA immer noch die größte Wirtschaftsmacht der Erde. Es ist Obacht angesagt.
Für 2017 spricht hierzulande jedoch alles dafür, dass sich das hohe Beschäftigungsniveau zumindest hält und das Gespenst der Arbeitslosigkeit einstweilen in der Flasche bleibt. Die Löhne klettern seit einigen Jahren beständig auch real (d.h. über Inflationsrate), was für eine recht gute Konsumstimmung sorgt.
Die Rentner haben bereits Mitte 2016 mit plus 4,25 % bzw. gar 5,95 % in den neuen Bundesländern kräftig mehr Rente bekommen. In 2017 wird die Erhöhung deutlich schwächer ausfallen, aber es wird wieder eine spürbare Aufbesserung geben. Eingetrübt wird das Ganze durch die gerade in den Städten beträchtlich anziehenden Wohn- und Lebenshaltungskosten.
Apotheken: Positive Signale
Für die Apotheken sind das unter dem Strich positive Entwicklungen. Die Rentnereinkommen und allgemeine Stimmung im Einzelhandel sind durchaus bedeutsame Parameter, wenngleich das meiste freilich aus Verordnun- gen herrührt. Demografisch setzen sich die positiven Zuwanderungssalden, wenn auch vorerst abgeschwächt, fort. Diese Netto-Bevölkerungszunahmen von 0,5 % bis 1 % p.a. stehen für etliche Probleme und Herausforderungen, aber eben auch wachsende Märkte insbesondere bei lebensnotwendigen Gütern und Gesundheitsleistungen. Tatsächlich sind es diese (vielfach durch Umverteilung bzw. aus der „Substanz“ finanzierten) Migrationsbewegungen, welche inzwischen einen erheblichen Teil des Wirtschaftswachstums ausmachen.
Ein Teil des Gesagten spiegelt sich im prognostizierten Ausgabentableau des GKV-Schätzerkreises vom Oktober 2016 wider (siehe Tabelle). Man achte auf die zunehmende Zahl an GKV-Versicherten bzw. Mitgliedern und die um fast 4 % steigenden Bemessungsgrundlagen (Löhne und Renten), der wichtigste Grund für die entspannte GKV-Finanzlage trotz weiter wachsender Ausgaben und Zusatzbelastungen, ob für die Folgen der Alterung, immer mehr Hochkostentherapien oder verstärkt ins GKV-System rutschende Migranten.
Insgesamt sollen 2017 über 10 Mrd. € mehr in der GKV ausgegeben werden; der entscheidende Wert „Ausgaben je Versicherten“ steigt um 3,9 % auf dann 3.171 € pro Kopf. Diese Wachstumsraten übertreffen die Raten des Wirtschaftswachstums um mehr als das Doppelte und sind auf Dauer nicht darstellbar. Im Moment funktioniert es noch traumhaft gut durch genügend Umverteilungsmasse und die positive Beschäftigungs- und Lohnentwicklung. Kippt dies, sehen die Zahlen ganz schnell hässlicher aus.
Diese positiven Entwicklungen gelten nicht für die privaten Krankenversicherer. Hier ist in 2016 wieder ein deutlich fünfstelliger Mitgliederschwund festzustellen, wobei die einzelnen Gesellschaften sehr unterschiedlich betroffen sind. Dies dürfte sich 2017 fortsetzen. Zusammen mit einer stärkeren Ausgaben- und Erstattungsdisziplin resultiert das schon länger in stagnierenden oder gar leicht rückläufigen Privatverordnungen.
Die KBV-Rahmenvereinbarung
Die kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV, www.kbv.de) schließt jährlich mit den Vertretern der Kostenträger Rahmen- und Zielvereinbarungen zu Arznei- und Heilmitteln in der GKV ab. Sie lassen sich auf den Webseiten der KBV einsehen. Da sie das Verordnungsgeschehen maßgeblich beeinflussen, sollen sie näher beleuchtet werden. Die wesentlichen Vereinbarungen auf Bundesebene:
Das Ausgabenvolumen für GKV-Arzneimittel soll um 3,3 % steigen, das sind etwa 1,0 Mrd. € brutto. 3,2 % sind für innovative Arzneimittel vorgesehen, 0,5 % durch die Verschiebung bisher stationär erfolgter Versorgung in den ambulanten Bereich. Die Preisentwicklung wird ansonsten mit minus 0,4 % angenommen, was auf gesenkte Festbeträge zurückzuführen sein soll.
Ein Sonderausgabenvolumen von 500 Mio. € ist für die innovative Hepatitis-C-Therapie reserviert (fallend). Diese „Sonderbudgets“ bewegen sich außerhalb der Richtgrößenprüfungen. Diese Werte werden je nach Versichertenzahl, Alter und Morbidität modifiziert und noch weiter zu den dann regionalen Ausgabenvolumina aufgeschlüsselt.
Nebenbei: Für Heilmittel (gut 80 % sind Physiotherapie) gibt es beachtliche 4,9 % mehr, absolut sind das rund 280 Mio. €.
Ertragsprognose 2017
2017 dürfte hinsichtlich des Umsatzwachstums knapp an 2016 anschließen. Wir rechnen mit einer Zunahme des Rx-Umsatzes im Bereich von 2,5 % bis 3 % und der Packungsmenge um 0,5 % bis 1 %. Je einzelne Apotheke fällt der Zuwachs statistisch noch um etwa 0,5 % bis 0,7 % höher aus – die berühmt-berüchtigte „Schließungsdividende“ angesichts einer weiterhin um rund 1 % p.a. abnehmenden Zahl allerdings meist kleinerer Apotheken. Das wirkt sich aber nur lokal und deshalb sehr unterschiedlich aus.
Der Rohertrag aus dem Rezeptumsatz sollte insgesamt um reichlich 1 % steigen, plus die erwähnte Neuverteilung (~0,5 %) aus Schließungen. Der durch die Hepatitis-C-Therapien angefachte „Hochpreiserboom“ flaut indes wieder etwas ab. Die Absatzkomponente (Packungsanzahl bei Rx und Non-Rx) dürfte sich trotz demografischer „Zuwandererdividende“ weiterhin verhalten entwickeln, zumal junge Migranten einen auf längere Sicht unterdurchschnittlichen Mengenbedarf haben.
Wird uns der Rx-Versandhandel 2017 ernsthaft bedrängen können? Betrachten Sie dazu einmal die Rätselauflösung der Gripsgymnastik (www.dav-awa.de/aktuelles-heft/15-dezember-2016/article/2016/12//gripsgymnastik-16.html); selbst eine sehr unwahrscheinliche Verdreifachung des Rx-Marktanteils von heute 1 % auf 3 % in so kurzer Zeit würde am Ende den Rx-Rohertrag „nur“ um 1 % schmälern. Allerdings wäre eine Abwärtsspirale mit unbekanntem Ende angestoßen!
Die Honorarerhöhungen für Rezepturen und BtM-Belege werden wohl ab dem 2.Quartal wirksam und bessern den Rohertrag 2017 dann im Schnitt um etwa 3.000 € bis 4.000 € auf. Auf ein ganzes Jahr hochgerechnet betragen die Aufbesserungen ab 2018 rund 5.000 € im statistischen Mittel. Ein Fragezeichen bleibt: Wie stark werden sich die Rezepturzahlen, die schon länger um einige Prozent jährlich zurückgehen, durch die spürbare Verteuerung weiter reduzieren? Manch Anfertigung („Standard-Corticoidcreme“) wird womöglich durch dann günstigere Fertigprodukte ersetzt, komplizierte Rezepturen wie spezialdosierte Kapseln für Kinder etc. bleiben. Immerhin: Eine Rx-Fertigpackung macht weniger Arbeit und ist insoweit eher ein Gewinn.
Das OTC-Segment scheint in das alte Muster der Sättigung zurückzufallen, zumal der Versandhandel weiter Marktanteile gewinnt und hier 2017 die 13 %-Marke überschreiten dürfte. Nur außergewöhnliche, nicht prognostizierbare Krankheitswellen (Grippe, Erkältung, Durchfälle) durchbrechen dies. Somit ist eine weitgehende Stagnation bei den Packungseinheiten zu erwarten. Der OTC-Umsatz sollte durch Substitutionseffekte (z.B. Ibuprofen statt Paracetamol) und Preiserhöhungen etwas steigen. Die spürbaren Lohn- und Rentenzuwächse aus 2016 könnten für etwas Zusatzkonjunktur in den Apothekenkassen sorgen und insbesondere die „Geiz ist geil“-Mentalität etwas abmildern. Lauflagen mit attraktiver Frei- und Sichtwahl sollten besonders profitieren.
Was wieder zeigt: Das Apothekengeschäft ist und bleibt von lokalen Standortgegebenheiten geprägt, sodass Durchschnittszahlen nicht mehr als eine „allgemeine Peilung“ sein können.
Fazit
Sofern nicht schon knapp in diesem Jahr erreicht, dürfte spätestens 2017 unser Branchenumsatz die magische 50-Mrd.-€-Grenze durchstoßen. Auf der Rohertragsebene sorgen die erhöhten Rezeptur- und Dokumentationshonorare für einen ca. 0,6 % höheren Rohertrag, die leicht steigenden Rx-Packungszahlen tragen weitere 0,5 % bis 1 % bei. Mit dem Umverteilungseffekt durch aufgebende Apotheken sollte der Rohertrag aus Verschreibungen um gut 2 % je Betrieb wachsen.
Der Versandhandel wird dies selbst in „Worst-Case-Szenarien“ nicht so rasch abspenstig machen können, sofern der Gesetzgeber nicht sowieso einschreitet. Fraglich ist, ob das OTC-Geschäft mithalten kann. Hier ist eher Stagnation zu erwarten, und der Versand wildert hier absehbar weiter. So liegt es an jedem selbst, trotzdem durch eine eigene clevere und aktive Preispolitik Ertragspotenziale zu heben. Der problematische Hilfsmittelbereich steht durch die nun erlaubten und bewerbbaren Zuzahlungsnachlässe unter Druck.
Somit sollte 2017 ein wirtschaftlich eher ruhiges Jahr werden. Wären da nicht die vielen Störfeuer und Unwägbarkeiten: die quälende Unsicherheit beim Rx-Versandhandel, das Honorargutachten im Herbst 2017, die wieder auflebenden allgemeinen Grundsatzdiskussionen über die Aufgaben und Bezahlung der Apotheken, und dann die Bundestagswahl ...
Allgemeine Marktentwicklungen sind das eine, die Gewinne unter dem Strich nach Abzug aller Kosten das andere. Mit einer Detailprognose bis herab auf die Ebene des EBITDA und Gewinns nach Steuern für verschiedene Apothekentypen beschäftigen wir uns in der nächsten Ausgabe.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(24):4-4