Digitalisierung

Auslöser für einen Strukturwandel?


Dr. Thomas Müller-Bohn

Welche Folgen hat die Digitalisierung für die künftige Arbeit im Gesundheitswesen? Welche Chancen bieten sich? Ein Expertenworkshop der Deutschen Apotheker- und Ärztebank bot interessante Erkenntnisse und Anregungen zu den Zukunftsperspektiven unserer Apotheken.

Die Deutsche Apotheker- und Ärztebank hatte 500 Heilberufler zu zehn Entwicklungspfaden der Digitalisierung befragt. Die stärksten Veränderungen erwarten die Heilberufler demnach in den Strukturen der Gesundheitsversorgung, weniger dagegen in der Beziehung zum Patienten. Das größte Potenzial sehen die Befragten in der digitalen Vernetzung. Sie befürchten, dass hohe Investitionen nötig werden, die sich relativ wenig rentieren. Von der Digitalisierung erwarten die Befragten eine bessere Gesundheitsversorgung, eine transparentere Dokumentation und ein besseres Datenmanagement. Auf der Minus-Seite sehen sie höhere Kosten, möglichen Datenmissbrauch, die Informationsflut und noch mehr Bürokratie.

Als wichtigste Kontroverse wurde aus den Interviews die Frage herausgearbeitet, ob die Digitalisierung den Arzt unterstützt oder ersetzt: Funktioniert die Digitalisierung nur, wenn der Arzt im Mittelpunkt bleibt? Oder wird die Technik den Arzt an vielen Stellen ersetzen, weil er bei einigen Leistungen zu teuer ist?

Betroffenheit der Apotheken

Hier lohnt es sich weiterzudenken. Diese Kontroverse passt besonders nach dem Boni-Urteil des EuGH auch zur Situation der Apotheker: Lassen sich die Abläufe in der Apotheke mit technischer Hilfe so verbessern, dass Apotheker Zeit für beratende und betreuende Aufgaben gewinnen? Oder wird die Logistik komplett neu außerhalb der Apotheke organisiert und der Apotheker nur noch dort eingesetzt, wo seine Kenntnisse unverzichtbar sind?

Die erste Variante betrifft z.B. die Automatisierung von Abläufen mittels eines Kommissionierers, was einen Vorteil bietet, wenn die zusätzliche Zeit für Beratungsgespräche und möglicherweise Zusatzverkäufe genutzt wird. Der Vorteil kann sich demnach nur einstellen, wenn das Apothekenteam den gewohnten Ablauf des Kundengespräches umstellt. Die Zeit bis zur Ausgabe der Packungen am HV-Tisch muss dann sinnvoll genutzt werden und darf keine nutzlose oder gar peinliche Wartezeit sein.

Weitere Beispiele für unterstützende neue Technologien sind Softwareprogramme, die die Beratung oder das Marketing fördern. Die beklagten hohen Kosten bei geringer Rendite lassen allerdings darauf schließen, dass viele neue Technologien nicht angemessen genutzt werden. Es bringt nichts, immer mehr Software zu installieren. Für jedes neue Programm müssen die Arbeitsabläufe auch so umgestaltet werden, dass es im richtigen Moment wirklich zum Einsatz kommt. Außerdem sollte die Digitalisierung alte Arbeitsweisen ersetzen und nicht neuen Aufwand schaffen. Dies alles betrifft die innere Organisation der Apotheke.

„Jobkiller“ Digitalisierung?

Die zweite Variante, also der Ersatz des Heilberuflers durch Technik, soll dagegen primär die Strukturen im Gesundheitswesen betreffen. Für die Apotheken könnte das bedeuten, dass Beratung und Betreuung unabhängig von der Distribution stattfinden. Das wäre das Ende der klassischen Apotheke und des Apothekers als Heilberufler und Kaufmann. Wenn Ärzte sich vergleichbare Fragen stellen, sollten Apotheker solche Szenarien nicht als Übertreibung abtun.

So steht das Gesundheitswesen angesichts enormer technischer Möglichkeiten vor bedeutenden Weichenstellungen. Besonders große Folgen sind zu erwarten, wenn zeitgleich mit der unaufhaltsamen technischen Entwicklung grundlegende Strukturfragen auf der politischen Tagesordnung stehen. Nach dem EuGH-Urteil und in Erwartung des Honorar-Gutachtens im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums trifft genau dies für die Apotheken zu. Es mehren sich die politischen Stimmen, das Apothekenhonorar stärker an die Beratung zu knüpfen. Das ist zwar sinnvoll für neue Betreuungsleistungen. Eine solche Honorierung für die grundlegende Versorgungsleistung könnte es aber erleichtern, Distribution und Beratung voneinander zu trennen.

Die politische Diskussion darüber könnte gerade in eine Zeit fallen, in der die elektronische Gesundheitskarte neue Optionen bietet. So sehen Szenarien aus, die zu Strukturbrüchen führen. Gemäß E-Health-Gesetz soll die elektronische Gesundheitskarte Anfang 2019 neue Funktionen bieten, darunter auch den dann elektronischen Medikationsplan. Das Jahr 2018 ist als Testphase geplant. Das Honorar-Gutachten soll im Herbst 2017 vorgelegt werden und könnte einer neuen Bundesregierung als Arbeitsgrundlage dienen.

Disruptive Technologiesprünge

Dass die Digitalisierung Geschäftsmodelle immer wieder disruptiv verändert, wirkt wie eine Bekräftigung für solche Überlegungen. Die umwälzenden neuen Technologien kommen in Sprüngen. Daten werden erst analog, dann digital gespeichert, oder ein Kommissionierer verändert die Arbeit in der Apotheke von heute auf morgen.

Dies gilt für die Geschäftsmodelle ganzer Branchen. Der Antrieb dafür ist stets die Wirtschaftlichkeit. Der Experte Hendrik Lofruthe präsentierte dazu eine Analyse, nach der 90 Prozent der Gesundheitsausgaben mit neuen Technologien effizienter genutzt werden könnten. Die Höhe der möglichen Einsparungen blieb zwar offen, aber hier liegt offenbar ein Widerspruch zur Einschätzung der interviewten Heilberufler, die hohe Investitionen mit geringer Rendite befürchten. Die Erwartungen der Praktiker und der Analysten gehen da deutlich auseinander. Das bekräftigt wiederum die Vermutung, dass viele Heilberufler neue Technologien nur halbherzig umsetzen und darum zwar Kosten haben, aber nur eingeschränkt profitieren.

Die Investorensicht

Die Bank hat das Thema außerdem aus der Perspektive von Investoren untersucht. Fondsmanager Kai Brüning konstatierte, dass sich der Gesundheitssektor an den internationalen Börsen im Jahr 2016 schlechter als der Gesamtmarkt entwickelt hat. Medizintechnik und Dienstleister hätten besser als die Pharmaindustrie abgeschnitten. In der Biotechnologie seien nach fünf erfolgreichen Jahren Gewinne mitgenommen worden.

Nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten hätten die Pharmaindustrie und die Biotechnologie jedoch aufgeholt. In den USA werde die Diskussion über Arzneimittelpreise künftig wohl an Schärfe, aber nicht an Bedeutung verlieren.

Insgesamt sei der Gesundheitssektor im Marktvergleich attraktiv bewertet. Damit bestehe für diesen Bereich Nachholbedarf bei den Aktienkursen, u.a. gestützt durch weitere Übernahmen, die durch (noch) niedrige Zinsen erleichtert würden. Viele Innovationen wirken zudem als Wachstumstreiber. Für Investoren bietet das Gesundheitswesen demnach gute Chancen. Doch auch hier gilt es weiterzudenken.

Angesichts der obigen Überlegungen müssen Apotheker Geschäftsmodelle aufbauen, die auch noch in einer ganz anders organisierten Versorgungslandschaft Vorteile bieten. Damit drängt sich die Vernetzung als Strategie auf. Wenn die Apotheke in Netzwerken wie bei der Versorgung von Pflegeheimen über die reine Distribution hinaus einen Mehrwert bietet, werden die Partner auch künftig eine solche Versorgung aus einer Hand bevorzugen.

Distribution allein können auch andere, wahrscheinlich sogar billiger. Doch Distribution plus Beratung plus Organisation für die Arzneimittelversorgung von Alten- oder Pflegeheimpatienten als Leistungspaket aus einer Hand können nur die Apotheken bieten. Das wissen Pflegeheime, Ärzte und Patienten zu schätzen.

Solche Leistungspakete könnten auch für andere Patienten entwickelt werden. Gefragt sind Ideen, mit denen Apotheker den Strukturwandel selbst sinnvoll gestalten können – zum Nutzen der Patienten und der eigenen Apotheke.

Hier schließt sich der Kreis zu den Studienergebnissen: Die Heilberufler erwarten durch die Digitalisierung primär strukturelle Veränderungen und sehen die größte Chance in der Vernetzung.

Die Studie im Internet: 360grad.apobank.de

Dr. Thomas Müller-Bohn, Apotheker und Dipl.-Kaufmann, Seeweg 5 B, 23701 Süsel, E-Mail: mueller-bohn@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(01):7-7