Optimierungspotenziale nutzen

Brennpunkt Öffnungszeiten


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Die Öffnungszeiten sind die Fessel des stationären Einzelhandels und einer der wichtigsten Gründe für die Selbstausbeutung der Inhaber insbesondere in Zeiten angespannter Personalsituation. Im Zweifel „steht der Chef selbst in der Bütt“ und gleicht eben die Engpässe aus.

Es ist schon verrückt: Da bezahlt man übertariflich, gewährt Sonderleistungen aller Art. Dienstpläne werden immer ausgefeilter und komplexer auf die Vorlieben und Einschränkungen der Mitarbeiter abgestimmt. Trotzdem kommt laufend irgendetwas dazwischen, flattert der „gelbe Zettel“ (sprich Krankschreibung) auf den Tisch, gern für den Rest der Woche, sind diffizile Urlaubs- und Fortbildungswünsche zu erfüllen. Wer dann noch im Einkaufscenter sitzt und 12 oder mehr Stunden an sechs Tagen abzudecken hat, steht schnell dumm da – oder eben selbst im Laden.

Das Internet hat immer offen

Zudem tritt man gegen 24/7-Öffnungszeiten „rund um die Uhr“ an, denn das Internet kennt kein Ladenschlussgesetz und keine Feiertage – der Versand lässt grüßen. Das und der starke allgemeine Konkurrenzdruck haben in der Vergangenheit zu immer gewagteren Experimenten mit den Öffnungszeiten geführt. Viele Lebensmittler haben von 7:00 Uhr oder 8:00 Uhr bis 22:00 Uhr geöffnet, vereinzelt sogar bis Mitternacht. Andererseits beginnt in etlichen Flaniermeilen mit einem hohen Anteil an nicht Lebensnotwendigem der Tag erst um 9:00 Uhr oder gar 9:30 Uhr.

Auf dem Land ist hingegen gern noch über Mittag und dann spätestens um 18:30 Uhr „Schicht im Schacht“. Wie sortiert man sich nun als Apotheke in dieses Gefüge ein, ohne anzuecken und die Kunden zu vergraulen, andererseits aber die Selbstausbeutung und das Thema Personalabdeckung im erträglichen und wirtschaftlich vernünftigen Rahmen zu halten?

Öffnungszeiten berechnen

Im ersten Schritt gilt es, die regulären Öffnungszeiten pro Jahr zu ermitteln. Nach einer Faustformel, welche die Feiertage mit einbezieht, nehmen Sie dazu Ihre Wochenöffnungszeit mal 51. Der exakte Wert schwankt je nach Lage der Feiertage von Jahr zu Jahr etwas, das ist aber für unsere Betrachtungen hier kaum von praktischer Relevanz. Notdienstzeiten kommen obenauf und sollten stets separat betrachtet werden (zumal sie eigenständig honoriert werden). Die erste Tabelle zeigt bereits die Spannbreite, die wir in der Apothekenlandschaft vorfinden.

Es liegt auf der Hand, dass eine 2.400-Stunden-Apotheke nicht mit einer Center-Apotheke und regulären 3.700 Betriebsstunden vergleichbar ist, ein Faktum, das übrigens in der Honorar- und Versorgungsdiskussion (noch) viel zu kurz kommt. Denn weitergedacht könnte die Frage aufkommen: Wie viele Stunden sind für die „Basisversorgung auf Krankenschein“ an welchem Ort nötig und insoweit auf Kassenkosten honorierungswürdig? Bei den Ärzten erleben wir, wie diese solche Diskussionen clever durch Limitierung ihrer Praxiszeiten inklusive Schließungen am Quartalsende gelöst haben.

Kosten ermitteln

Im nächsten Schritt errechnen Sie die Kosten je Öffnungsstunde. Hier gibt es nicht unterschreitbare Minimalkosten, die immer anfallen.

Das sind stets die Kosten eines Approbierten und die betriebsstundenabhängigen, v.a. verbrauchsabhängigen Kosten für Energie, Wasser etc., genau gerechnet auch die zusätzliche Abnutzung der Einrichtung und Geräte im Vergleich zum Ruhezustand, was aber schwer zu fassen und allenfalls durch einen angemessenen (praktisch geringen) Pauschalansatz zu lösen ist.

Die Schlachten werden jedoch beim Personal geschlagen. Es stellt sich z.B. lageabhängig die Frage, ob Sie überhaupt die Apotheke nur von einer einzelnen Person betreiben lassen können (auf versicherungsrechtliche und berufsgenossenschaftliche Fragestellungen, z.B. bei Laborarbeit oder Unfällen, sei hier nur am Rande hingewiesen).

So wird die Minimalkalkulation oft etwa wie folgt aussehen (Faustformel Personalkosten je Stunde: Vollzeit-Bruttogehalt x 16 geteilt durch 1.700 effektive Jahresarbeitsstunden p.a.):

  • Kosten Approbierte(r) je Stunde: 30 € bis über 45 €.
  • Kosten Assistenz (PTA/PKA) je Stunde: 15 € bis über 25 €, im Schnitt um 20 €.
  • Energiekosten: v.a. Strom für Beleuchtung, EDV, Geräte; Heizung/Klima vernachlässigbar, da im Wesentlichen öffnungszeitenunabhängig durchlaufend; angenommen großzügig 10 Kilowattstunden je 30 Cent = 3 € je Stunde.
  • Zusätzliche Abnutzung: Großzügig 12.000 € pro Jahr, umgelegt auf 3.000 Stunden pro Jahr = 4 € je Stunde.

Damit ergeben sich Gesamtkosten von knapp 40 € als absolute Untergrenze bis in den Bereich von 60 € bis 80 € im Zwei-Mann-Betrieb mit erfahrenen Kräften. Bei großen Apotheken mit Stoßbetrieb, höheren Kundenzahlen und laufend besetztem „Backoffice“ sind über 100 € als Untergrenze mit dann drei oder mehr Personen möglich. Sie sollten das für sich individuell ermitteln.

Erforderliche Kundenzahl

Um dies zu erwirtschaften, benötigen Sie heute den vierfachen Umsatz (nämlich bei einer Spanne von 25%), etwas weniger in Lauflagen, etwas mehr in hochpreisig-rezeptlastigen Apotheken. Ziehen Sie nun Ihren durchschnittlichen Umsatz oder besser gleich Ertrag je Bonkunde („Korbertrag“) heran, lässt sich die Mindestkundenzahl zur Kostendeckung oder auch für einen Mindest-Deckungsbeitrag darüber hinaus errechnen. Dies ist in der zweiten Tabelle getan worden. Ehrlicherweise sollte dieser Deckungsbeitrag nochmals im Bereich der Minimalkosten liegen, also gern um 50 € (wie in unserer Rechnung).

Überschlägig entspricht eine zusätzliche Öffnungsstunde am Tag etwa 300 Stunden im Jahr. Das würde sich also bei 50 € Ertrag über die unabweisbaren Betriebskosten hinaus pro Jahr mit 15.000 € zusätzlichem Deckungsbeitrag (= hier annähernd Gewinn) bemerkbar machen. Das ist gar nicht einmal so viel, wenn man bedenkt, wie viele Kunden dazu regelmäßig in dieser Zeit kommen müssen. Teilweise ist die Mindestkundenzahl so hoch, dass Sie bereits mehrere HV-Kräfte benötigen. Umgekehrt könnten Sie bei einer Kürzung der Öffnungszeiten die oben errechneten Kosten einsparen (also eine ähnliche Größenordnung) – wenn Sie denn Ihre Personalstunden eins zu eins anpassen würden.

Die Kosten und Erträge sehen über den Tag verteilt natürlich ganz anders aus, wenn die Personalbesetzung variiert. Profis erstellen daher ein Kosten-Ertrags-Profil über den Tagesverlauf, etliche Apothekencomputer beherrschen so etwas. Dazu werden die Kundenzahlen, Umsätze und Erträge in Stunden- oder Halbstunden-Rastern über die einzelnen Tage hinweg aufgetragen (siehe Abbildung). Sie können auch nach einzelnen Wochentagen filtern und einiges mehr.

Im Geiste ziehen Sie nun Ihre variablen Kosten je Stunde ab und sehen die gewinn- und verlustträchtigen Stunden. Idealerweise erkennen Sie eine Regelmäßigkeit, auf welche Sie reagieren können. Im Grafik-Beispiel sind wie so häufig die Randstunden kritisch, die Kosten (Besetzung?) laufen zu unflexibel durch und passen sich zu wenig dem Kundenfluss an.

Reaktionsmöglichkeiten

Bevor Sie aber nun einfach in verlustträchtigen Randstunden schließen, sollten Sie einige Überlegungen voranstellen:

  • Wie sieht Ihre unmittelbare Konkurrenzsituation aus?
  • Müssen Sie aus Konkurrenzüberlegungen heraus geöffnet halten? Faktenuntermauerte Begründung?
  • Welche Frequenzbringer und Praxen führen Ihnen welche Kunden zu (Prioritätenliste)?
  • Wie steht es um die dortigen Öffnungszeiten? Sind Sie hier noch in einem sinnvollen Gleichtakt?
  • Können Sie die Öffnungszeiten überhaupt anpassen und in welchem Maße (Stichwort Betreiberpflicht in Centern; hier gibt es oft eine sogenannte Kernzeit)?
  • Wie kommunizieren Sie das gegenüber den Kunden, ohne diese abzuschrecken? Im Idealfall verlieren Sie kaum Kunden, sondern lotsen sie in die neuen Zeiten, was aber stets eine Frage der Konkurrenzlage und Alternativen ist.

Gleichwohl ergibt es natürlich Sinn, die Öffnungszeiten sinnvoll zu konzentrieren. Je größer das Bedürfnis und die Not der Kunden und je weniger die Alternativen, umso mehr sitzt der Anbieter „am Drücker“. Im wirtschaftlichen Idealfall würden Sie „Schalterstunden“ mit konstant hoher Auslastung und damit Ertrag anbieten; wer nicht drankommt und nicht gerade ein Notfall ist, erscheint anderntags wieder. Das wäre das „Behörden-Modell“. Im anderen Extrem rennen Sie dem letzten Kunden hinterher, der sich noch um 21.00 Uhr in die Apotheke verirrt.

Die Zauberformel aus diesem Konflikt lautet Kundenlenkung und -kanalisierung sowie Lenkung des Arbeitsanfalls. Den Werkzeugkasten können Sie ganz gut bestücken:

  • Definieren Sie Kernzeiten, in welchen Sie Ihre Aktivitäten (inklusive Warenwirtschaft, Labor, Verwaltung etc. und darauf aufbauend die Personalbesetzung) konzentrieren. So reduzieren Sie wenigstens die Kosten für Schwachlastzeiten und können tatsächlich mit Minimalbesetzung fahren.
  • Lenken Sie die Kunden in die Kernzeiten: Sonderpreise, „Happy Hour“, Aktionen, Boni etc. werden möglichst nur in diesen Zeiten eingeräumt.
  • Bieten Sie Sprechzeiten für außergewöhnlich aufwändige Beratungsfälle in genehmen Zeiten an (wer wirklich etwas auf dem Herzen hat, hält sich daran, vgl. andere beratungsintensive Berufe). Wer hohe Qualität bietet, hat eine weitaus stärkere Position, als viele Kollegen meinen. Selbst in der qualitativ entsprechend aufgestellten Gastronomie wird teils Wochen vorher reserviert, obwohl es nun wirklich reichlich Kneipen gibt!
  • Bieten Sie vielfältige Bestellmöglichkeiten an, auch über die neuen Medien. Blockadehaltung ist fehl am Platz! Bieten Sie einen entsprechenden Lieferservice. Wer bereits ein ausgefeiltes Botensystem unterhält, tut sich hier leichter. Ansonsten ist es ein Rechenexperiment: Zusätzliche Lieferkosten versus Kosten des stationären Betriebs.
  • Abholfächer sind ein sehr interessanter Baustein auf dem Weg zur Öffnungszeiten-Optimierung, oder auch andere Varianten eines reinen Abholservice.

Im Idealfall lenken Sie Ihre Kunden so, dass Sie tatsächlich nach einer gewissen Zeit die Öffnungszeiten reduzieren bzw. neu ausrichten können. Das Ziel ist eine möglichst konstante und hohe Auslastung mit wenig Leerlauf – der Erfolgsfaktor aller Einzelhandelsunternehmen, und nicht nur dieser. Die Anpassung nehmen Sie dann allerdings auf präziser Datenbasis und nicht aus dem Bauch heraus vor – Sie sehen ja an den Kundenzahlen, wie Ihre Maßnahmen wirken.

Apotheker Dr. Reinhard Herzog 72076 Tübingen E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(02):4-4