Andreas Kinzel
„40 ist das neue 30“ und Senioren sind heute Best-Ager. Die Welt verändert sich, auch im Marketing. Was gestern noch gut war, ist bald möglicherweise nicht mehr aktuell. So wandeln sich die Lebensstile und rücken im Marketing mehr in den Vordergrund. Schon heute stehen in vielen Apotheken einige Lebensstile als Zielgruppe im Mittelpunkt. Typische Beispiele sind „Mutter & Kind“ sowie „Sportler“. Abseits von soziodemografischen Charakterisierungen bieten Lebensstile alters- und einkommensunabhängige Möglichkeiten, Kunden gezielt anzusprechen. Betrachtet man objektiv Madonna und Angela Merkel, so sind beides erfolgreiche Frauen um die 60 mit gehobenem Einkommen. Dennoch erscheinen sie völlig anderen Zielgruppen anzugehören, zumindest von ihrer Außenwirkung her. Hier greift die Idee, Zielgruppen nach Lebensstilen zu betrachten, abseits von klassischen Charakterisierungen.
Neue Männer überlassen den Einkauf nicht nur ihren Partnerinnen und legen mehr Wert auf anspruchsvolle Pflege als früher. Dies gilt auch für die Erhaltung der Gesundheit. In der Apotheke sind sie zwar oft noch in der Minderheit, werden jedoch immer wichtiger. Zu überlegen wäre damit ein eigenes Regal für Männer vor allem mit entsprechender Kosmetik. Dieses Sortiment sollte klar strukturiert und präsentiert sein, um ein einfaches Einkaufen zu ermöglichen.
Die Familiengründung findet heute oft später statt als noch vor zwanzig oder dreißig Jahren. Damit ergeben sich ganz andere finanzielle Möglichkeiten, um Bedürfnisse zu befriedigen, zudem sich diese mit steigendem Alter ändern. Der Apotheke als Premiumanbieter von Gesundheitsprodukten eröffnen sich hier neue Ansatzpunkte. Neben den eigentlichen Familien bieten sich durch gute Vernetzungen auch verstärkt Möglichkeiten der Multiplikation. Dies bedeutet: Durch gute Mundpropaganda „ziehen“ die Familien verstärkt andere Kunden in die Apotheke, wie weitere Familien, Großeltern und Freunde.
Kunden ab 30 für Prävention gewinnen
Kunden um die 30 Jahre bieten der Apotheke vielfältige Möglichkeiten. Neben den jungen Familien treten hier Lebensstile wie Dinks (Double income, no kids), Yuppies (young urban professionals) oder die neuen selbstbewussten Singles auf. Letztere bekennen sich bewusst zu einer partnerlosen Beziehung und vernetzen sich intensiver mit anderen wie Arbeitskollegen, Verwandten oder Freunden. Diese stellen dann wiederum Multiplikatoren dar. All diese Gruppen um die 30 entwickeln mit steigendem Alter ein größeres Gesundheitsbewusstsein, verfügen meist über gute finanzielle Mittel und schätzen Innovationen. Unterschätzt wird hier oft die Prävention in der Altersklasse um die 30, aber auch die „beginnenden“ Leiden wie am Rücken, stressbedingte Hautkrankheiten oder Herz-Kreislauf-Probleme. Ergänzend können in dieser Altersgruppe Wohlstandsbedürfnisse wie Raucherentwöhnung oder hochwertige Gesundheitskosmetik interessant sein.
Speziell Mütter mit Karrierehintergrund können in der Apotheke eine attraktive Zielgruppe sein. Sie sind eine ideale Kundengruppe mit dem Spagat zwischen Job und Familie, einem gesunden Selbstbewusstsein und dem Streben nach Selbstverwirklichung. Auf Qualität und gute Beratung legen sie Wert, informieren sich jedoch oft selbst durch moderne Medien. Sie sind bereit, viel Geld zu investieren, wenn der Gegenwert stimmt, und schätzen unkompliziertes Einkaufen. Wichtig ist hier, allgemein anerkannte Produkte zu führen, die im soziokulturellen Umfeld Anerkennung finden. Vereinzelt können dann auch unbekannte Produkte beigesteuert werden, um die Exklusivität von Apotheke und Kundin zu unterstreichen. Dabei ist die konsequente Ausrichtung am Kundenwunsch bedeutsamer als bei anderen Zielgruppen.
Die Gesellschaft verjüngt sich scheinbar stetig, zumindest relativ gesehen. Dies zieht sich durch alle Altersschichten („40 ist das neue 30“), zeigt sich allerdings besonders bei den neuen Senioren. Für sie ist das Altern der Start in ein zweites Leben. Senioren leben heute bewusster als früher, sind oft aktiv und gut informiert, auch durch das Internet. Dabei ergibt sich ein Beschäftigungsfeld zwischen Familie (Enkel), Hobby und Sport. Im Unterschied zur klassischen Zielgruppe der Senioren ist hier das Stichwort Aktivität statt Passivität. Dies bedeutet, dass die neuen Senioren ihr Leben selbst in die Hand nehmen und auch vom Apotheker nicht bevormundet werden möchten. Wichtig ist zudem, dass sie selbst körperlich stärker aktiv sind, wodurch sich wiederum Schnittpunkte mit der Apotheke ergeben. Sie möchten nicht mit „alt“ in Verbindung gebracht werden. Daher sollte man typische Alterserscheinungen in dynamische Begriffe verpacken, z.B. von der Vergesslichkeit zur Gedächtnisstütze oder der eingeschränkten Beweglichkeit zur aktiven Enkelbetreuung.
Für die Apotheke erscheint die Zielgruppe der LOHAS (Lifestyles of Health and Sustainability) sehr bedeutend. Sie sind zumeist älter als 30 Jahre und verfügen oft über ein gutes Einkommen. Ihr Konsum ist nicht quantitativ höher als bei anderen Zielgruppen, sondern qualitativ. Hier ist der Schnittpunkt mit der Apotheke als Premiumanbieter, insbesondere durch ihre Kompetenz im Bereich bewusster Leben und Verantwortungsbewusstein. Die Zielgruppe der LOHAS kann man gut mit Naturkosmetik, Phytopharmaka, vor allem jedoch durch Hersteller mit nachhaltiger und verantwortungsvoller Geschäftspolitik ansprechen. Im Verkauf bedeutet dies, bei Sortiment und Beratung ethisch qualitätsbewusst und nachhaltig zu agieren.
Das Gesamtpaket entscheidet
Richtet eine Apotheke ihr Marketing auf bestimmte Lebensstile aus, kann sie die üblichen Kriterien des Marketings (Produkt, Preis, Präsentation und Kommunikation) heranziehen, jedoch mit einer konsequenteren Ansteuerung von Gesamtpaketen. Sicherlich ist es immer sinnvoll, wenn die Apotheke ein starkes Auftreten als Marke anstrebt mit der Ansprache bestimmter Konsumgruppen bzw. einzelner Kunden. Bei den Lebensstilen jedoch muss die Apotheke als Ganzes in ihrem Auftreten einem Gesamtkonzept des Lebensstils der Kunden folgen. Dabei sollte sie gezielt Kundengruppen suchen, die sich ergänzen oder aufeinander aufbauen.
Während die Gruppe Mutter & Kind noch sehr allgemein gehalten ist, sind die jungen Familien um die 30 Jahre schon wesentlich konkreter und passen perfekt zu den neuen agilen Senioren. In der Kombination gilt der allgemeine Marketinggrundsatz: Weniger ist mehr! Ein einheitliches Markenkonzept kann viele Zielgruppen ansprechen, aber nur wenige Lebensstile. Während im „normalen“ Marketing jeder einzelne Wunsch des Kunden erfüllt sein sollte, muss hier seine Lebensweise abgedeckt sein. So ist es bei den LOHAS nicht nur wichtig, die Indikation und den Bedarf z.B. nach Phytopharmaka, sondern auch das Bedürfnis nach Nachhaltigkeit und Verantwortungsbewusstsein zu befriedigen. Dies muss die Apotheke glaubhaft transportieren, etwa durch Unterstützung wohltätiger Veranstaltungen.
Damit ist auch das Personal in seinem Wissen und Auftreten gefragt. Neben einem einheitlichen Erscheinungsbild ist eine Ausrichtung auf die jeweiligen Zielgruppen nötig. Empfängt das Team die Kunden in Kittel, Polohemd oder individuell? Auch die Begrüßung kann von einem regionalen „Grüß Gott“ über ein „Guten Tag“ bis zum lockeren „Hallo“ reichen. Wichtig ist immer ein stimmiges Gesamtkonzept. Besonders bei Zielgruppen nach Lebensstilen muss die Apotheke als Einheit wahrgenommen werden, in ihrer gesamten Präsentation, auch des Personals. Entscheidend ist, dass man nicht an den Kunden vorbei agiert, ein einheitliches Bild mit Marke abgibt und das gesamte Team hinter der Konzeption steht, auch der Chef.
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Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(02):10-10